Einstige Akten des rumänischen Geheimdienstes Securitate im Archiv der Aktenaufarbeitungsbehörde CNSAS nahe Bukarest.
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Rumänien Die Securitate lebt

04. Januar 2016, 18:16 Uhr

Viele Ex-Geheimdienstler haben sich nach der Wende in Rumänien unbeschadet ins neue System retten können. Mehr als 15 Jahre lang waren sie vor der Öffnung der Securitate-Akten sicher und machten derweil Karriere. Die meisten fanden gute Posten in Politik und Wirtschaft.

Im September 2015 schrieb Ex-Politiker und Ex-Medienzar Dan Voiculescu auf seinem Blog, dass er einen Preis für die Pressefreiheit ausgeschrieben habe, der nun vergeben würde. Wer den Blog liest, könnte meinen, der 69-Jährige verbringe seinen Lebensabend damit, sich zivilgesellschaftlich in seinem Heimatland Rumänien zu engagieren. Doch in Wirklichkeit sitzt Voiculesu, der mit einem geschätzten Vermögen von umgerechnet 360 Millionen Euro zu den reichsten Männern Rumäniens gehört, im Gefängnis. 2014 hatte ihn das Bukarester Appellationsgericht wegen Korruption und Geldwäsche zu zehn Jahren Haft verurteilt – die höchste Strafe, die je ein hochrangiger Politiker in den vergangenen Jahren erhalten hat.

Einer der prominentesten Spitzel: Dan Voiculescu

Für Voiculescu gilt: Erst Höhenflug, dann tiefer Fall. Einst war mächter Medienzar, umstrittener Parteichef und hinterlistiger Strippenzieher in einem. Eine Karriere, die er seinen guten Kontakten zur Securitate zu verdanken hat. Vor der Wende arbeitete Voiculescu in der Außenhandelswirtschaft und bespitzelte als informeller Securitate-Mitarbeiter Investoren. Einheimische Medien sagen ihm gern nach, dass er für das wirtschaftlich marode Ceausescu-System zudem die nötigen Devisen beschaffte und sich dabei selbst bereichert haben soll.

Nach 1989 baute Voiculescu ein undurchschaubares Firmengeflecht auf, gründete die Konservative Partei (PC) im Parlament und lenkte ein Medienimperium. Mittels seiner Fernsehkanäle, Internetbloggern und Zeitungen beeinflusste er jahrelang die öffentliche Meinung. Er diskreditierte politische Widersacher und erpresste Investoren, teure Werbung in seinen Kanälen zu schalten, andernfalls würde er Nachteiliges aus ihrer Vergangenheit veröffentlichen. Aus dem emsigen Securitate-Spitzel war innerhalb weniger Jahre eine der prominentesten Figuren Rumäniens geworden. Mit seiner Partei, die an den verschiedensten Regierungen beteiligt war, leitete er die Geschicke des Landes mit. Wie konnte das bloß mit dieser Vergangenheit gehen?

Zeit, das Securitate-Archiv zu säubern

Der Bukarester Historiker Cosmin Budeanca beim Studium einstiger Securitate-Akten.
Historiker Cosmin Budeanca: Die Securitate ist heute noch in allen Lebensbereichen. Bildrechte: MDR/Annett Müller

1999 verabschiedete Rumänien als eines der letzten osteuropäischen Länder ein Gesetz zur Aufarbeitung seiner Geheimdienstakten. Weitere sechs Jahre vergingen, bis die Aufarbeitungsbehörde CNSAS schließlich die Akten erhielt. Sie waren bis Ende 2005 vom Inlandsgeheimdienst (SRI) verwaltet worden - dem Nachfolger der berüchtigten Securitate. Der hatte damit ausreichend Zeit, die Akten nach seinem Gutdünken zu zerstören und zu ordnen. Bis heute sind etliche Dokumente noch als Staatsgeheimnis deklariert und damit weiter unter Verschluss. Zeit genug hatten auch die einstigen Geheimdienstmitarbeiter und Spitzel, "mit ihrem Beziehungsgeflecht, in aller Ruhe Firmen aufzubauen oder das politische Leben zu infiltrieren", sagt Cosmin Budeanca. Für den Bukarester Historiker vom Institut zur Erforschung kommunistischer Verbrechen (IICCMER) steht fest: "Die frühere Securitate findet man heute noch in allen Lebensbereichen."

Securitate-Kontakte als Kapital

In der Tat ist der Aufstieg des einstigen Securitate-Spitzels Dan Voiculescu in Rumänien kein Einzelfall. Die Mitarbeiter und einstigen Informanten kamen nach der Revolution entweder im neuen Geheimdienst SRI oder dank ihrer Kontakte in Politik und Wirtschaft unter. Sie erpressten, denunzierten, kungelten – worauf sie sich am besten verstanden und kamen damit wieder ganz nach oben. Sie zählen zu den reichsten Männern Rumäniens: wie beispielsweise der Agrar-Unternehmer Ioan Niculae (geschätztes Vermögen: drei Milliarden Euro) oder der frühere Medienzar Sorin Vantu (geschätztes Vermögen 35 bis 40 Millionen Euro). Selbst 26 Jahre nach dem Sturz des Ceausescu-Regimes gibt es auch in der Politik immer noch Entscheidungsträger mit Securitate-Vergangenheit: Parlamentarier, Kreisratschefs und Bürgermeister.

Der Ja-Sager im Europaparlament

Zu den besonders grotesken Fällen in der Politik zählt der 52-jährige Ultranationalist Dan Dumitru Zamfirescu, der es trotz seiner Securitate-Vergangenheit zwischenzeitlich bis ins Europaparlament schaffte. Im Oktober 2013 betitelte "Spiegel Online" den Politiker als "Europas obersten Ja-Sager". Er hatte Hunderte Abstimmungen durchgewinkt, ohne wirklich eine Meinung zu haben. Fast knapp zwei Jahre lang vertrat der frühere Securitate-Offizier sein Heimatland in Straßburg. Sein dortiges Grundgehalt: 8.000 Euro. Bei der Europawahl 2014 war er nicht mehr unter den Gewählten.

Bekannte Fälle wie Zamfirescu oder Voiculescu sind nur die Spitze des Eisberges. Als die Securitate am 30. Dezember 1989 aufgelöst wurde, hatte sie schätzungsweise 40.000 offizielle und 400.000 inoffizielle Mitarbeiter. Der rumänische Geheimdienst galt als besonders brutal. Er brachte in den 1950er und 1960er-Jahren bis zu 100.000 Regimekritiker hinter Gitter und wollte sie dort zu "anständigen Kommunisten" umerziehen – mit Hunger, Kälte und Misshandlungen. Fast 4.000 Menschen starben in den Gefängnissen. 

Die Herrscher von gestern, sind die Herrscher von heute

Rumänien - Rumänisches Parlament
Im einstigen Ceausescu-Palast sitzt heute das Parlament des Landes. Bildrechte: Annett Müller/MDR

Nur ein Bruchteil der einstigen Peiniger ist bis heute enttarnt: Bei den inoffiziellen Mitarbeitern sind es nach Angaben der Aufarbeitungsbehörde CNSAS nicht einmal 0,1 Prozent, bei den offiziellen Mitarbeitern rund acht Prozent. Dass sich der Clan aus einstigen Geheimdienstlern unbeschadet ins neue demokratische System retten konnte, schmerzt viele Rumänen. Die Profiteure der Ceausescu-Diktatur sind heute wieder die Gewinner  – sie haben gut bezahlte Job oder erhalten für ihre einstigen Geheimdienstfunktionen überdurchschnittlich hohe Renten. Mit diesem Kapital finanzieren sie ihren Kindern Eliteschulen und Auslandsstudien und besorgen ihnen gute Posten beim Staat. Für viele Rumänen ist die Enttäuschung darüber groß. Oft hört man resigniert: "Die Kinder unserer Herrscher werden die Herrscher unserer Kinder sein."

Die Securitate - In Zahlen 1948 gegründet, war die Securitate das Unterdrückungsinstrument der Kommunistischen Partei Rumäniens. Nach der Wende herrschte eine wahre Lynchjustiz. Sie wurden auf offener Straße zusammengeschlagen – solch ein Hass herrschte auf die einstigen Angstmacher der Partei. Als die Securitate am 30. Dezember 1989 aufgelöst wurde, hatte sie schätzungsweise 40.000 offizielle und 400.000 inoffizielle Mitarbeiter. Ein Gutteil der Securitate-Offiziere kam im neuen Inlandsgeheimdienst SRI unter. Andere machten Karriere in Wirtschaft und Politik. Bis zum Jahr 2015 war nur ein Bruchteil der einstigen Mitarbeiter enttarnt.