Thüringer Tagespost 05/13
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Pressefreiheit und Zeitungsgründungen Warum der "Pressefrühling" 1990 ein jähes Ende fand

03. Mai 2022, 16:13 Uhr

Mehr als 100 Zeitungen wurden bis Mitte 1990 in der DDR gegründet. Die neue Pressefreiheit machte es möglich. Übrig geblieben sind genau zwei - die Dresdner Morgenpost und die Altmarkzeitung. Als im Januar 2020 bekannt wurde, dass die "Mitteldeutsche Zeitung" aus Halle von der Bauer Media Group übernommen wird, bedeutete das für den Zeitungsmarkt im Osten eine weitere Verdichtung. In Sachsen-Anhalt beherrscht seither nur noch ein Verlag das Geschäft der Tageszeitungen. Eine Entwicklung, die bereits 1990 begann.

Nach der ersten freien Wahl zur Volkskammer standen die Chancen schlecht für eine freie Presselandschaft in der DDR. Nur 336.000 Menschen machten ihr Kreuz beim Bündnis 90 - Die Grünen, welches die Bürgerbewegungen vereinte. Das entsprach gerade einmal 2,9 Prozent aller Wählerstimmen. Für all jene, die die Umwälzungen im Herbst '89 auf den Weg brachten ein Schock! Darunter etliche, die mit neuen Zeitungen und dem Anspruch freier, kritischer Öffentlichkeit ein neues Zeitalter der DDR-Presse einzuläuten begannen.

"Demokratisierung der Deutschen Demokratischen Republik"

Schriftsteller Ingo Schulze ist damals Dramaturg am Theater Altenburg und Mitglied des Neuen Forums. 1990 wird er plötzlich Journalist und Verleger in Personalunion, gründet 1990 mit Freunden das "Altenburger Wochenblatt": "Wir haben ja die Zeitung nicht aus journalistischem Interesse gegründet, sondern eigentlich aus einem politischen Interesse. Wir wollten die Demokratisierung der Deutschen Demokratischen Republik begleiten und dachten, da muss jeder an seinem Ort etwas tun. Das war wunderbar, aber auch so schockierend, weil man dachte: Jetzt gibt’s gar keine Grenze mehr. Jetzt haben wir so einen direkten Zugang zur Öffentlichkeit, das hatte auch was fast Erschreckendes. Und war natürlich toll."

Reißender Absatz für das "Altenburger Wochenblatt"

Das Gefühl, zum ersten Mal Politik im Land ungefiltert abbilden und unzensiert kommentieren zu können, beflügelt. Binnen Kürze entstehen in der DDR über 100 neue Zeitungen. Mit beachtlicher Reichweite. Auf bis zu 40.000 Exemplare etwa bringt es die "andere Zeitung" aus Leipzig. Und auch von Ingo Schulzes "Wochenblatt" laufen zu Anfang 12.000 Stück pro Ausgabe übers Band. Und das ohne Kapital im Rücken. "Das klingt sehr unglaubwürdig", sagt Ingo Schulze, "aber wir hatten nie über Geld nachgedacht. Und dann brauchten wir zum Glück keine Ersparnisse, weil die Zeitung immer schneller verkauft war, als die Druckrechnung kam. Wir waren Provinzzeitung, hatten also den Riesenbonus, dass wir der Platzhirsch in der Kleinstadt waren. 16 Seiten, das war damals sensationell."

Westdeutsche Verlage stehen in Startlöchern

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Was Schulze und die anderen Neugründer nicht sehen: Zeitgleich mit ihnen nehmen auch andere den Umbau der DDR-Presselandschaft ins Visier. Finanzstarke Groß-Verlage aus dem Westen wollen das in Auflösung befindliche Pressemonopol der SED schnellstmöglich übernehmen. Erste Offerten zur Beteiligung am DDR-Pressevertrieb gehen beim zuständigen Postministerium bereits Ende 1989 ein. "Gruner + Jahr hat schon am 29. November 1989 ein komplettes Geschäfts- und Finanzierungskonzept zum Umbau des Pressevertriebswesens in der DDR vorgelegt", erzählt Medienwissenschaftlerin Mandy Tröger. Sie erforscht an der der Ludwig-Maximilians-Universität München den "Pressefrühling" und den Zusammenbruch des DDR-Zeitungsmarktes. "Da wollte Gruner + Jahr der alleinige Partner sein. Springer kam dann am 20. Dezember 1989 und wollte ebenfalls alleiniger Partner nicht nur in der Infrastruktur sein, sondern auch bei Neugründungen von Zeitungen."

DDR-Markt aufgeteilt

Der Politik, vor allem dem "Runden Tisch", geht das viel zu weit. Ein neuer, von allen Parteien, Kirchen und Verbänden besetzter DDR-Medienrat soll ab Februar 1990 diesen Umbau der Zeitungslandschaft selbst auf den Weg bringen. Doch dazu wird es nie kommen. Denn die "großen Vier" des westdeutschen Verlagsgeschäfts, neben Springer, Gruner + Jahr, auch Bauer und Burda ersinnen eine neue Strategie. Und haben dafür Rückendeckung aus Bonn. Mandy Tröger sagt: "Das Bundesinnenministerium hat sich schon Mitte Februar 1990 mit den Verlagen getroffen und gesagt, das Ziel Nummer Eins ist es, Informationen, also westdeutsche Informationen, in den Osten zu kriegen für die anstehenden Wahlen. Und hier wurde Eigeninitiative der Verlage ganz klar gutgeheißen." Am 30. März 1990 vermeldet die "Aktuelle Kamera" schließlich: "Vier bundesdeutsche Großverlage haben den DDR-Markt im Prinzip unter sich aufgeteilt, ohne die Regierung geschweige denn den Medienkontrollrat zu befragen."

DDR-Zeitungen chancenlos: Preisdumping und fehlende Unterstützung

Dass die politische Entwicklung hin zur Vereinigung beider deutscher Staaten nicht ohne Auswirkung auf die Presselandschaft im Osten bleiben wird, ist klar. Nur, wie schnell und wie massiv die Ost-Presse binnen Wochen "unter Druck" gerät, hat dann doch alle überrascht. Einer der wichtigsten Beschlüsse der alten Volkskammer nach dem Mauerfall war die Gewährleistung der Meinungs-, Medien- und Informationsfreiheit. Die nun neu gewählte Volkskammer sollte dies neue Gut gewährleisten. Doch zwei Wochen nach der Wahl herrscht auf dem Zeitungsmarkt Hektik. Die komplette DDR-Presse- und Vertriebslandschaft droht abgewickelt und aufgelöst zu werden. Und das ausgerechnet zu einem Zeitpunkt, als die lang ersehnte Meinungs- und Informationsfreiheit sich gerade voll entfaltet.

Keine drei Monate nach der Wahl diskutieren Politiker und Journalisten in Ost und West darüber, ob die DDR eine Medienkolonie des Westens wird. Zu einem Zeitpunkt freilich, als die politischen und wirtschaftlichen Weichen dafür bereits gestellt waren.

Mädchen vor einem Kiosk des Post-Zeitungs Vertriebes PZV der DDR in der Dunkerstrasse, das Sortiment besteht aus Zeitungen und Zeitschriften der DDR
Zeitungskiosk in Ost-Berlin 1985 Bildrechte: imago images / imagebroker

Aggressive Verkaufspolitik

Mit einem eigenen Vertriebsnetz von über 3.000 Verkaufsstellen fluten die "großen Vier" noch vor der Wahl den Pressemarkt des Ostens und setzen die DDR-Verlage zusätzlich unter Druck: mit einer aggressiven Preispolitik! Statt zum allgemein üblichen Wechselkurs 1:3 wird die Westware im Verhältnis 1:1 verkauft. Weit unter den Produktionskosten. Die DDR-Jugendsendung "Elf 99" fragt deshalb: "Sind die 1:1 Preise für West-Zeitschriften nicht Dumpingpreise?" und bekommt von Helmut Reinke vom Springer Verlag die Antwort: "Das würde ich nicht so sehen. Mich hat 1:3 immer gestört. Ich bin der Meinung, das Dreifache sind sie auch im Westen nicht wert."

Regierung taucht ab

Allerdings – parallel zur West-Offerte der Verlage wurden am 1. April 1990 die Subventionen für DDR-Zeitungen gestrichen. DDR-Zeitungen mussten nun ihre Preise verdoppeln, teilweise verdreifachen. Die DDR-Verlage protestieren. Und wissen dabei den neuen Medienrat hinter sich. Doch das Recht einzugreifen hätte allenfalls die Regierung. Und die taucht ab. Professor Heinz Odermann, damals stellvertretender Vorsitzender des DDR-Medienkontrollrats, am 30. März 1990 in einem Interview mit "Elf 99": "Wir haben der Regierung das erste Mal Anfang März und das zweite Mal Mitte März Vorstellungen für ein Pressevertriebssystem unterbreitet. Leider hat darauf die Regierung bis heute nicht reagiert. Wir haben acht Wochen lang keine Antwort bekommen. Letztlich hat sich die Mehrheit im Rat mit der neuen historischen Situation abgefunden."

DDR-Zeitungen abhängig vom Westen

Im Mai 1990 weist DDR-Medienminister Gottfried Müller in einem Brief an den Springer Verlag auf die drohende "faktische Einschränkung der Pressefreiheit" hin. Ein Appell, der ohne Folgen bleibt. Die in die Ecke gedrängten DDR-Verlage ziehen daraus ihre Konsequenzen. "Man kann im April, Mai 1990 sagen, dass es fast keine ostdeutsche Zeitung mehr gab, die nicht in irgendeiner Weise mit einem westdeutschen Verlag kooperierte. Und da wurden früh, unabhängig vom Inhalt, Abhängigkeitsstrukturen geschaffen, die es bis heute gibt", erklärt Mandy Tröger.

Bildzeitungsleser
Bild-Leser 1990 in Ost-Berlin Bildrechte: imago/Jürgen Ritter

Kartellrecht hat vollkommen versagt

Auch das "Altenburger Wochenblatt" von Ingo Schulze bekommt die Entwicklungen zu spüren. "Wir merkten dann schon, jetzt kommt die WAZ-Mediengruppe aus Essen. Die kauften alle Tageszeitungen in Thüringen auf. Da war schon klar, hier hat das Kartellrecht vollkommen versagt. Die ganzen Druckereien gingen in deren Besitz. Und da waren wir so das Papierschiffchen dazwischen." Dennoch halten Schulze und seine Mitstreiter noch bis Oktober 1991 durch, dann erscheint die letzte Ausgabe des "Altenburger Wochenblatts".

"Wenn man sich anschaut, was vor 30 Jahren passiert ist, wie über 100 Zeitungsneugründungen eingegangen sind, da ist", so Mandy Tröger, "durch die politischen und wirtschaftlichen Interessen eine ganz große Chance vertan worden."

"Schwarzer Tag für die Medienvielfalt"

Heute gehört jede der 13 regionalen Tageszeitungen in den neuen Ländern direkt oder indirekt einem westdeutschen Konzern. Und diese schicken in der Regel westdeutsche Verlagschefs an ihre Ost-Standorte. Nur zwei von 23 Managern ostdeutscher Zeitungen kommen aus den neuen Ländern. Und die Medienkonzentration nimmt weiter zu. Mit dem Wechsel der "Mitteldeutschen Zeitung" von Du Mont zur Bauer Media Group beherrscht letztere nun den gesamten Tageszeitungsmarkt in Sachsen-Anhalt. Der Deutsche Journalisten-Verband (DJV) sprach in diesem Zusammenhang von einem "schwarzen Tag für die Medienvielfalt" in Sachsen-Anhalt.

(Der Artikel wurde zuerst im März 2020 veröffentlicht.)

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