Griechen in der DDR Kostas Kipuros: "Mir war die DDR auch Heimat"

06. April 2022, 05:00 Uhr

Die Eltern von Kostas Kipuros waren griechische Kommunisten, die ihr Land nach dem verlorenen Bürgerkrieg 1950 verlassen hatten. Sie waren sogenannte Markos-Kinder, die in den sozialistischen Staaten zu Revolutionären erzogen werden und Griechenland zurückerobern sollten. Der 1955 geborene Kostas Kipuros wuchs in der DDR auf, studierte und arbeitete als Redakteur einer Leipziger Tageszeitung. Während seine Eltern 1987 nach Griechenland zurückkehrten, lebt Kostas Kipuros bis heute in Leipzig.

Herr Kipuros, wann und unter welchen Umständen sind Ihre Eltern in die DDR gekommen? 

Meine Mutter ist 1950 mit 16 Jahren nach Radebeul gekommen, wo sie meinen Vater, der damals noch in Rumänien lebte, kennenlernte. Er arbeitete damals in der Kommission, die die Kontingentierung der griechischen Bürgerkriegsflüchtling in das sozialistische Lager organisierte. Nach der Heirat zogen beide zunächst nach Ploesti in der Nähe von Bukarest, wo ich geboren wurde, wechselten dann aber bald wieder nach Radebeul. 

Träumten Ihre Eltern davon, einmal wieder nach Griechenland zurückkehren zu können?

Ja, allerdings unterschiedlich stark. Für meinen Vater, der jedes Silvester mit dem Spruch "und nächstes Jahr in Griechenland" seiner Hoffnung Ausdruck gab, konnte es von Anfang an keinen Zweifel geben, baldmöglichst nach Griechenland zurückzukehren. Ich glaube er, hat hier nie Heimatgefühle entwickeln können. Das war bei meiner Mutter, die viel jünger war und sich auch deshalb schneller und besser einlebte, anders. Letztlich ist sie 1987 vor allem auf Drängen meines Vaters nach Athen gezogen. Im späteren Verlauf ihres Lebens hatte ich mehrfach den Eindruck, dass sie diesen Schritt bereut hat, obwohl sie es nie zugegeben hätte.

Sie sind in der DDR aufgewachsen. Wurden Sie als Kind bzw. Jugendlicher benachteiligt oder vielleicht gar bevorzugt? Wurden Sie ideologisch instrumentalisiert?

Nein, überhaupt nicht – weder wurden wir als Kinder der zweiten Emigrationsgeneration benachteiligt noch bevorzugt oder im engeren Sinne politisch instrumentalisiert. Uns standen sämtliche Bildungswege offen, wir konnten bei entsprechenden schulischen Leistungen in der DDR Abitur ablegen und später studieren, wurden also genau wie unsere deutschen Mitschüler behandelt und nahmen generell am gesellschaftlichen Leben teil. Der einzige Unterschied war, dass wir neben dem normalen Schulbesuch Griechisch-Unterricht in mehreren Fächern wie Literatur, Grammatik oder Mythologie hatten - nicht immer zu unserer Freude, da das ja ein zusätzlicher Aufwand war. Dieser Unterricht wurde von den Emigranten selber organisiert. 

Welchen Status besaßen die Griechen in der DDR? Waren sie DDR-Staatsbürger?

Nein, die meisten hatten den Status von Staatenlosen. Das war ein merkwürdiges Konstrukt, da viele der Emigranten weder die DDR-Staatsbürgerschaft noch die griechische besaßen. In der Praxis sah das dann so aus, dass wir sogenannte Aufenthaltsgenehmigungen in der äußeren Form der DDR-Personalausweise erhielten. Als Pass bekamen wir einen "Fremdenpass", mit dem die Reisemöglichkeiten allerdings noch eingeschränkter waren als die der DDR-Bürger. Vor allem mit der Einführung des visafreien Verkehrs nach Polen, in die ČSSR und nach Ungarn hatten die Emigranten Nachteile, da wir von der Visabefreiung ausgeschlossen waren. Die Zahl der Griechen, die die DDR-Staatsbürgerschaft angenommen hatten, war trotzdem sehr klein. Nach dem Sturz der Junta in Griechenland 1974 bekamen nach und nach alle Emigranten die griechische Staatsbürgerschaft zurück – bei meiner Familie war das 1982.

Träumten Sie als junger Mann noch davon, einmal den Sozialismus nach Griechenland zu bringen?

Ich persönlich – nein. Auch wenn es die offizielle Linie war, mit unserer Repatriierung, wie es hieß, einen Beitrag im internationalen Klassenkampf zu leisten, wurde das von den wenigsten Kindern, Schülern und Jugendlichen in diesem Sinn so verstanden oder gar verinnerlicht. Für die meisten von uns war das einfach nur einer der üblichen Sprüche, die nichts bedeuteten. Wie alle deutschen Gleichaltrigen träumten wir vor allem von Spaß, Unterhaltung und natürlich Freundschaften und Beziehungen.

Wann wurde Ihnen klar, dass Sie Ihr Leben in der DDR wohl verbringen werden (müssen)?

Diesen Moment gab es bei mir nie, da spätestens mit dem Sturz der Junta 1974 – ich war damals 18 Jahre – feststand, dass wir in den nächsten Jahren nach Griechenland gehen würden. 1977 reiste unsere Familie zum ersten Mal dorthin, 1982 bekam ich die griechische Staatsbürgerschaft, damit war das Thema ohnehin vom Tisch. Es gab allerdings 1989 vor dem Hintergrund der Wende bei mir den Wunsch, dieses Ereignis und die Entwicklung weiter aus nächster Nähe zu verfolgen – ich war Redakteur der Leipziger Volkszeitung – und so bin ich dann schließlich unter ganz anderen Voraussetzungen und anderen Perspektiven hier geblieben.

Existierten in der DDR auch griechische Vereine?

Ja, der wichtigste hieß "Komitee Freies Griechenland" und organisierte das Leben der Emigranten. Dafür stellte uns die DDR auch eigene Räume zur Verfügung. In Leipzig befanden sie sich in der Nikolaistraße und umfassten Büros sowie einen Versammlungs- und Freizeitbereich. Das Café hatte von Dienstag bis Sonnabend bis zum frühen Abend geöffnet, bei Feiern wie Silvester oder ähnlichen Anlässen natürlich länger.  

Das MfS interessierte sich ab den 1960er-Jahren auch für die griechischen Mitbürger in der DDR…

Ja, das habe ich Mitte des Jahres 1989 selber erlebt, als ein Offizier des MfS versuchte, mich anzuwerben und zu verpflichten. Allerdings kam das für mich überhaupt nicht in Frage, was ich auch deutlich genug kommuniziert habe. Nach zwei Gesprächen gab der Mitarbeiter dann auf. 

Welche Nachteile hatte es überhaupt, als Grieche in der DDR zu leben?

Von partiellen Reisebeschränkungen abgesehen keine, es sei denn, man wollte staatliche oder Partei-Karriere machen – oder arbeitete wie ich in den Medien. Da ich, wie bereits erwähnt, 1982 die griechische Staatsbürgerschaft bekommen hatte, war eine verantwortliche redaktionelle Funktion ausgeschlossen. Es gab sogar Versuche, mein Arbeitsverhältnis in der LVZ zu beenden und mich auf eine Stelle der damaligen staatlichen Nachrichten-Agentur ADN zu versetzen. Schließlich setzte ich mich doch durch und konnte bleiben – mit den erwähnten Einschränkungen, die mich allerdings kaum tangierten, da ich ohnehin nicht das Ziel hatte, verantwortliche Funktionen zu übernehmen.  

Gab es auch Vorteile? Durften die Griechen in der DDR beispielsweise in ihr Heimatland reisen? Oder überhaupt in den Westen?

Wer von uns einen griechischen Pass hatte, konnte ungehindert und ohne Auflagen nach Griechenland reisen, das war ab 1974 zunächst für sehr wenige möglich. Für die anderen bestand die Möglichkeit, etwa alle drei Jahre mit dem Fremdenpass nach Griechenland zu reisen. 

Ist Ihnen die DDR Heimat gewesen? Und was haben Sie am meisten vermisst?

Ja, in gewisser Weise war mir die DDR bei aller Widersprüchlichkeit auch Heimat. Das hängt vor allem mit der gesellschaftlichen Fürsorge, den Bildungsmöglichkeiten und den sozialen Kontakten, die ich über die Jahre knüpfte, zusammen. Meine engsten und besten Freunde waren und sind immer noch (ehemalige) DDR-Bürger, ich spielte bis 1989 in einer Rockband, hatte in der Leipziger Volkszeitung wunderbare Kollegen, und schließlich: Mein Sohn Nikos wurde 1982 in Leipzig geboren. Was ich vermisse? Wahrscheinlich am meisten den gesellschaftlich statusunabhängigen Umgang der Menschen miteinander, die staatliche Förderung von Kunst und Kultur und die Fähigkeit, auch unter widrigen Bedingungen Spaß und Freude am Leben zu haben.

Dieses Thema im Programm: MDR Aktuell FS | 26. November 2019 | 17:45 Uhr

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