Interview mit Matthias Gabler Jürgen Schneider: "Ein 100-prozentiger Macher"

07. Januar 2019, 14:00 Uhr

Im Interview erzählt Matthias Gabler vom "Hoffnungsträger" Schneider, der am Ende die Handwerker betrogen hat. Als junger Bauingenieur leitete Gabler Anfang der 1990er-Jahre eines von Schneiders Prestigeprojekten: Barthels Hof.

Herr Gabler, welche Erinnerungen haben Sie noch an das Projekt Barthels Hof?

Ich kann mich noch erinnern, dass ich im Januar 1993 nach Leipzig kam und stand vor diesem wunderbaren, alten Gebäude. Es hatten noch keine Abbrucharbeiten begonnen. Die große, alte Tür ging gar nicht auf. Dahinter war viel Schutt. Ich bin dann in dieses Gebäude gegangen und es sah natürlich immer noch so aus wie nach dem Zweiten Weltkrieg. Das Gebäude war noch nicht angefasst, da war noch nichts passiert und wir haben dann das komplette Gebäude entkernt.

Wie muss man sich Leipzig Anfang der 1990er-Jahre vorstellen?

Anfang 1993 war alles noch grau. Ich bin in Ostdeutschland groß geworden und kenne die Verhältnisse, wie sich diese Stadt entwickelt hat. Aber in den ersten zwei bis vier Jahren war natürlich von der Aufbruchsstimmung noch nicht so viel zu spüren.

Durch Dr. Jürgen Schneider hat die Stadt in einer immens kurzen Zeit etwas erfahren, was vielleicht eine Dekade gedauert hätte. Ich glaube, das ist etwas positives, was man ihm, natürlich mit etwas zeitlichem Abstand, zu Gute halten muss.

Was für ein Bild hatten Sie von Schneider? War er ein Hoffnungsträger?

Also ich denke schon, dass Dr. Jürgen Schneider zur damaligen Zeit, als er begann in Leipzig zu wirken, schon so eine Art Hoffnungsträger war, weil natürlich die Leute gelechzt haben nach Investitionen in das marode Leipzig.

Ich habe ihn persönlich vier, fünf Mal kennengelernt und jedes Mal war es wie eine Inszenierung. Also für mich war das wie zu DDR-Zeiten, wenn irgendwelche Parteigrößen kamen. Dann haben wir im Barthels Hof richtig so eine Art Inszenierung gemacht, weil Fernsehteams da waren, Spiegel, Stern, die großen Zeitungen, LVZ, die über ihn berichteten. Und diese Gemengelage hat ihn etwas größer darstellen lassen und hat ihm auch persönlich gefallen, weil damit einiges leichter umzusetzen war. Im Umgang mit den Medien war er schon Profi.

Was für ein Typ war Jürgen Schneider?

Also, Schneider war ein 100-prozentiger Macher. Wenn er auf den Baustellen war, dann hat er immer das Kommando übernommen, hat seine Leute dort hin und her geschickt, antanzen lassen, und hat auch ganz klar zum besten gegeben, wie er die Gebäude umsetzen möchte, wie er etwas restaurieren möchte, wie er die Bautätigkeit haben möchte und auch in welcher Geschwindigkeit. Für ihn war auch immer wichtig, relativ zügig zu bauen, um keine Zeit zu verlieren, um die Sachen auch schnell vermieten und vermarkten zu können.

Schneider hat qualitätsbewusst gebaut. Also das, was wir dort gemacht haben, war schon eine sehr, sehr hochwertige Sanierung. Ob er das selber immer wollte, das weiß ich nicht. Er war großzügig. Aber es war auch nicht sein persönliches Geld.

Wie haben Sie erfahren, dass die Baustellen gestoppt werden müssen?

Ich bin am 12. April 1994 dreißig Jahre alt geworden und in der Nacht zuvor habe ich mit Freunden reingefeiert. Und da kam ein Straßenverkäufer der Bild-Zeitung in das Restaurant mit einer Sonderausgabe und dem großen Aufmacher: „Schneider verschwunden, Schneider untergetaucht“. Und da waren wir natürlich hellwach, erschrocken und haben gedacht: Um Gottes Willen, was passiert jetzt, was passiert mit dem Projekt, was passiert mit dem Unternehmen? Das konnten wir vorher nicht ahnen, dass er untertauchen würde.

Wie war die Stimmung in Leipzig zu diesem Zeitpunkt?

In den ersten Tagen und Wochen war die Stimmung sehr, sehr negativ ihm gegenüber. Denn genau diese Erfahrung hat man uns ja in Ostdeutschland immer wieder versucht einzuimpfen: Der böse Kapitalismus wird die Arbeiterschaft im Endeffekt betrügen. Und Schneider hat ja, wenn man das so möchte, damit ein Lehrbeispiel gegeben. Er hat nicht nur die Banken betrogen, sondern auch die Handwerker und die Unternehmen, und damit auch die Stadt Leipzig.

Was waren die nächsten Schritte?

Da war natürlich eine völlige Hektik, alle Firmen waren aufgedreht. Es wurde sofort ein Bauzaun hingestellt und zugemacht, der vorher so nicht da war. Die Leute von der Projektleitung waren völlig überrascht. Die wussten ja auch nichts und versuchten natürlich uns im positiven Sinne zu motivieren. Aber diese Meldung, die wir in den Nachrichten hörten, ließen keinen Zweifel daran, dass das ganze Imperium zusammenbricht. Und damit drohte auch für uns als Unternehmer und für die Handwerker Insolvenzgefahr.

Wer hatte am meisten unter der Schneider-Pleite zu leiden? Gab es auch Gewinner in der Geschichte?

Also ich sage mal, für Leipzig war es im Nachhinein Fluch und Segen zugleich. Fluch, weil natürlich mit seiner Flucht erstmal viele Träume geplatzt sind, viel zusammengebrochen ist. Und Segen weil viel in kurzer Zeit gebaut wurde. Schneller als in anderen Großstädten in Ostdeutschland, die das Glück nicht hatten. Uns sind die schönsten Gebäude in dieser Stadt, die ja sehr viel alte Bausubstanz hat, erhalten geblieben. Er hat angefangen, die Gebäude zu modernisieren und zu sanieren. Und die Banken hatten den politischen Druck, diese Gebäude fertig zu machen.

Und Verlierer, das waren die Handwerker, die im Endeffekt durch ihn in die Insolvenz getrieben worden sind, die größere Geldausfälle hatten und damit auch natürlich persönliche Schicksale erlitten.

Über dieses Thema berichtet der MDR in der Dokumentation "Der Auf-Schneider": TV | 13.01.2019 | 20:15 Uhr