Jürgen Schneider: Aufstieg und Fall eines deutschen "Baulöwen"

11. Januar 2022, 17:11 Uhr

Er sorgte für eine der größten Pleiten in der deutschen Geschichte: der "Baulöwe" und verurteilte Betrüger Jürgen Schneider. In wenigen Jahren schaffte er sich ein Immobilienimperium - von der Öffentlichkeit bestaunt, von Politik und Banken hofiert. Am 22. Februar 1996 wurde der flüchtige Unternehmer von den USA an Deutschland ausgeliefert und anschließend vor Gericht gestellt.

Es ist ein einzigartiger Wirtschaftskrimi um Deutschlands berühmtesten Bauunternehmer und verurteilten Betrüger Dr. Jürgen Schneider: Im gerade wiedervereinigten Deutschland schafft er sich in wenigen Jahren ein Immobilienimperium. Seine Strategie: Er kauft Gebäude in bester Lage, lässt sie aufwändig sanieren und vermietet oder verkauft sie anschließend mit satten Gewinnen.

Doch er beginnt zu betrügen. Im Geheimen häuft er den größten Schuldenberg im Immobilienbereich im Nachkriegsdeutschland an - unterstützt durch grobe Fahrlässigkeit deutscher Banken. Als die Finanzblase platzt, hinterlässt er mehr als fünf Milliarden D-Mark Schulden. Schneider düpiert Geldhäuser und lässt hunderte Handwerker mit unbezahlten Rechnungen sowie mehr als 3.000 Mitarbeiter in hunderten Firmen ratlos zurück.

Schneiders goldene Eintrittskarte

In der Zeit des Baubooms der 1980er-Jahre wird für den hessischen Bauingenieur Schneider das Frankfurter Fürstenhof-Gebäude zur goldenen Eintrittskarte. Den ehemals glanzvollen Hotelpalast in der Bankenmeile kauft er für 40 Millionen Mark, lässt ihn für mehr als 200 Millionen Mark entkernen, aufwendig sanieren und verkauft das Gebäude schließlich für 350 Millionen Mark. Das ist für viele der endgültige Beweis, dass Schneiders Strategie aufgeht. Mit diesem Erfolg stehen ihm alle Türen offen. 1994 soll ihm sogar das Bundesverdienstkreuz verliehen werden. Schneider ist auf dem Höhepunkt seiner Karriere.

Schneider-Immobilien in Leipzig

Nach dem Fall der Mauer sucht Schneider auch in Ostdeutschland nach geeigneten Immobilien. So liegt seit Beginn der 1990er-Jahre ein Entwicklungs-Schwerpunkt in Leipzig. Hier sind auch viele ostdeutsche Firmen für ihn tätig. Die meisten wurden erst in den Jahren nach der Wiedervereinigung gegründet, viele von Handwerksmeistern, die den Traum der erfolgreichen Selbstständigkeit leben wollen. Für sie und für viele Menschen in Ostdeutschland ist Schneiders Pleite mehr als eine kalte Dusche. Der Zusammenbruch seines Imperiums ist damals auch ein großer Rückschlag für das Zusammenwachsen von Ost und West.

Die Schneider-Pleite

Monatelang stehen die Baustellen des Schneider-Imperiums in Ost und West still. Handwerksmeister bleiben auf ihren Forderungen sitzen. Auf rund 250 Millionen D-Mark addieren sich offene Rechnungen bundesweit. Es dauert, bis Notfallpläne etwa in Leipzig von Stadt und Freistaat greifen, um die Pleiten der Betriebe und drohende Arbeitslosigkeit für tausende Bauarbeiter zu verhindern.

Die Deutsche Bank, Hauptgläubiger von Schneider, übernimmt schließlich die offenen Rechnungen für ihre Objekte von mehr als 50 Millionen D-Mark. Diesen Zug macht ihr damaliger Vorstandsvorsitzender Hilmar Kopper bald wieder zunichte, als er auf einer Pressekonferenz den Schaden für die Baufirmen als "Peanuts" bezeichnet. Ein gewaltiges Eigentor und Image-Super-Gau für die Deutsche Bank. "Peanuts" wird zum Unwort des Jahres 1994 gewählt. Auch wenn am Ende keine Handwerkerfirmen direkt pleite gehen, müssen viele Bauarbeiter entlassen werden.

Das System Schneider

Schneiders Betrugssystem ist gewieft, jedoch für Profis nicht undurchschaubar. Grundsätzlich lässt der "Baulöwe" seine Immobilienobjekte immer weit höher ansetzen, als sie eigentlich wert sind. So bekommt er höhere Kredite, deren Zinsforderungen jedoch durch die Mieteinnahmen nicht gedeckt werden können. Der so ständig wachsende Schuldenberg wird von den Banken ignoriert und macht wiederum ständig neue Kreditaufnahmen notwendig. Schneider fälscht bei seinen Objektangaben nach Herzenslust und ungeniert - und die Banken prüfen nicht. Schließlich streichen die Banker mit jedem neuen Kreditvertrag auch eine satte Provision ein.

Wie Schneider betrogen hat

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Ab den 1980er-Jahren kauft Jürgen Schneider deutschlandweit Immobilien in bester Lage, saniert sie aufwändig und verkauft sie anschließend mit Gewinn. Die Kredite leiht er sich von Banken. Doch er beginnt zu tricksen.

Fr 04.01.2019 15:38Uhr 00:49 min

https://www.mdr.de/geschichte/zeitgeschichte-gegenwart/wirtschaft/juergen-scheider-masche-system-immobilien-100.html

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Ab den 1980er-Jahren kauft Jürgen Schneider deutschlandweit Immobilien in bester Lage, saniert sie aufwändig und verkauft sie anschließend mit Gewinn. Die Kredite leiht er sich von Banken. Doch er beginnt zu tricksen.

Fr 04.01.2019 15:38Uhr 00:49 min

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Als seine Methode mit Scheinrechnungen, hochgemogelten Mieten und gefälschten Quadratmeterzahlen immer riskanter wird, entwickelt Schneider noch eine weitere Geldmaschine: Durch mehrfachen Weiterverkauf seiner Top-Immobilien über Strohmänner und Treuhandfirmen, die ihm eigentlich selber gehören, treibt er die Werte nach oben, um sie mit neuen Krediten höher beleihen zu können.

Daraus entnimmt er riesige Summen, die er auf Festgeldkonten parkt und anderen Banken als Zeichen seiner Bonität vorführt. All dies müssen später der Konkursverwalter und die Ermittler des BKA in monatelanger Recherche erst mühsam herausfinden.

Ich wunderte mich selbst, dass es so einfach war.

Jürgen Schneider Aussage vor Gericht

Mehr als fünf Milliarden D-Mark Kreditschulden

Schneiders hochriskantes Jonglieren mit Hunderten Millionen D-Mark will keiner hinterfragen. Schließlich ist er in der Branche angesehen, die Banker profitieren von den Deals. Wie Lemminge folgen die Vorstände von insgesamt 55 Banken dem "feinen Schuft" aus dem Hessischen, wie die BILD später titeln wird.

Im April 1994 hat Schneider mehr als fünf Milliarden D-Mark Kreditschulden. Ihm bleibt nur noch die Flucht. 13 Monate hält er sich mit seiner Frau versteckt. Im Mai 1995 geht Deutschlands berühmtester Baulöwe und Betrüger den Fahndern von FBI und BKA in Miami ins Netz und wird schließlich am 23. Februar 1996 von den US-Behörden ausgeliefert und nach Deutschland überführt. In Frankfurt wird Schneider in Haft genommen. Ein knappes Jahr später wird er des Betrugs angeklagt.

(schulz/me)

Über dieses Thema berichtet der MDR in der Dokumentation "Der Auf-Schneider": TV | 13.01.2019 | 20:15 Uhr