Unkenntnis oder Absicht? "Jedem das Seine": Nazi-Parolen in der Werbung
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19. April 2024, 12:17 Uhr
Nutzt Björn Höcke mit dem Satz "Alles für Deutschland" NS-Vokabular? Deswegen wird ihm aktuell der Prozess gemacht. Nazi-Sprüche finden sich jedoch auch häufig in der Werbung. Oftmals werden wohl aus Unkenntnis Zitate aus der NS-Zeit verwendet, etwa der berühmte Ausspruch "Jedem das Seine". Doch es gibt auch versteckte Anspielungen auf den Nationalsozialismus und rechtsextreme Codes in den Werbebotschaften.
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Nutzt Björn Höcke mit dem Satz "Alles für Deutschland" NS-Vokabular? Deswegen wird ihm aktuell der Prozess gemacht. Der ehemalige Geschichtslehrer behauptet jedoch, die Telekom hätte mit dem Spruch ihrerseits doch auch schon Werbung gemacht. Dagegen will die Telekom rechtliche Schritte einleiten. Allerdings finden sich Nazi-Sprüche tatsächlich häufig in der Werbung.
In der Vorweihnachtszeit 2016 lief in den Werbeblöcken der Fernsehkanäle auch ein Werbefilm der Supermarktkette Edeka. Der Titel des Clips: Zeit schenken. Darin sah man Erwachsene, die ständig ruhelos unterwegs sind und über all den Verpflichtungen ihre Kinder vergessen. Aufsehen erregten aber vor allem die Kennzeichen der Autos, die in dem Spot zu sehen sind. "MU-SS 420" steht auf dem einem, "SO-LL 3849" auf einem anderen. Waren es tatsächlich nur Anspielungen auf das Sollen und Müssen, das die Erwachsenen in dem Werbespot erleben?
Rechtsextreme Codes im Weihnachtsclip?
Experten waren sich alsbald darüber einig, dass es sich durchaus auch um Anspielungen auf den Nationalsozialismus und rechtsextreme Codes handeln könnte. Etwa im Autokennzeichen "MU-SS 420". Die Buchstaben SS sind in Deutschland wegen ihrer historischen Bedeutung in Autokennzeichen verboten. Auch in fiktiven. Die 420 wiederum ist eine aus dem angelsächsischen Raum stammende und in rechten Kreisen gängige Abkürzung für Hitlers Geburtstag am 20. April. Auf dem zweiten Kennzeichen steht die Zahl 84, in rechten Kreisen für "Heil Deutschland" verwendet. Eingerahmt wird sie von den Zahlen 3 und 9. Die 39, so die Experten, könnte für die rechte Bewegung "Christian Identity" stehen. "Diese rechtsextremen Codes sind leicht im Internet recherchierbar", sagte die Extremismusexpertin Sabine Bamberger-Stemmann damals in einem Interview mit dem "manager magazin". "Werbung für rechtsradikale Produkte und Ideen nutzt die Codes oft. Die Verwendung in einem nicht diesen Kreisen angehörigen Spot ist erschreckend."
"Jedem das Seine"
Im Januar 2009 warben die Konzerne Tchibo und Esso in einer gemeinsamen Plakataktion an mehr als 700 Tankstellen in ganz Deutschland für eine neue Kaffeesorte. In großen Lettern stand auf den Plakaten: "Jedem den Seinen". Der Werbeslogan spielte mit dem berühmten Spruch des römischen Philosophen Cato der Ältere, "Jedem das Seine". Der Spruch hat aber auch eine dunkle Vergangenheit in Deutschland: Er wurde von den Nationalsozialisten missbraucht. "Jedem das Seine" stand über dem Eingangstor des Konzentrationslagers Buchenwald. Die Plakate gerieten deshalb umgehend in die Kritik. Um den Imageschaden zu begrenzen, stoppten die beiden Firmen die Werbung. Eine Tchibo-Sprecherin erklärte, dass der Konzern nie die Absicht gehabt hätte, "Gefühle zu verletzen". Der Slogan sei natürlich unglücklich gewählt worden und die Plakate sollten so schnell wie möglich wieder abgehängt werden. Salomon Korn, damals Vizepräsident des Zentralrats der Juden in Deutschland, begrüßte die angekündigte Entfernung der Plakate. Sie stellten eine "nicht zu überbietende Geschmacklosigkeit" dar oder sei wenigstens ein Zeugnis "totaler Geschichtsunkenntnis". Ein Sprecher des Esso-Konzerns betonte, die mit der Plakataktion beauftragte Werbeagentur habe die historische Tragweite des Zitats wohl nicht im Blick gehabt.
Einige Jahre später, nämlich 2018, wirbt mit der gleichen Wortwahl Peek & Cloppenburg: Die Hamburger Handelskette spricht später von einer "verbalen Ungeschicklichkeit".
Aus "Jedem das Seine" wurde "Was ihr wollt"
Tchibo und Esso waren aber nicht die ersten, die mit dem von den Nazis missbrauchten Ausspruch Werbung machten. Bereits 1998 hatte Nokia mit "Jedem das Seine" für austauschbare Handy-Gehäuse geworben. Nachdem das American Jewish Commitee scharf gegen die Verwendung des Zitats protestiert hatte, wurden die Plakate zügig mit dem Titel einer Shakespeare-Komödie überklebt: "Was ihr wollt".
Hitler: "Flink wie Windhunde, zäh wie Leder und hart wie Kruppstahl"
Es hatte nur ein Spaß sein sollen. Im Internet hatten Metzger der Edeka-Filiale in Kleinmachnow bei Berlin 2020 T-Shirts mit der Aufschrift "Hart wie Stahl, zäh wie Leder. Das sind die deutschen Fleischzerleger" entdeckt und bestellt. Doch der vermeintliche Spaß kam nicht gut an. Denn der Spruch bezieht sich auf einen Satz von Adolf Hitler. 1935 hatte der "Führer" von der deutschen Jugend gefordert, "flink wie Windhunde, zäh wie Leder und hart wie Kruppstahl" zu sein. Zwei Tage trugen die Mitarbeiter in Kleinmachnow die T-Shirts, bis ein Kunde die Leitung des Unternehmens informierte. Die Angestellten wurden tatsächlich umgehend angewiesen, die T-Shirts abzulegen. Die Metzger konnten, wie eine Lokalzeitung berichtete, die Aufregung nicht ganz nachvollziehen, fügten sich aber notgedrungen und stiegen wieder in ihre alte Arbeitskluft.
Auch Heino benutzte das Hitler-Zitat
Das Hitler-Zitat hatte einige Jahre zuvor, im Sommer 2013, bereits Heino in einem Interview mit der "Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung" verwendet, um seine neue CD zu bewerben und zu verdeutlichen, dass sein fortgeschrittenes Alter für ihn kein Problem darstelle. Ich bin "hart wie Kruppstahl, zäh wie Leder und flink wie ein Windhund", hatte der Volksmusikant damals selbstbewusst verkündet. Die Empörung hielt sich übrigens in Grenzen. Bei Heino war man wohl weniger verwundert über die Verwendung eines Hitler-Zitats.
Eine erste Version des Artikels war im Mai 2021 online und wurde im April 2024 ergänzt.
Dieses Thema im Programm: MDR Aktuell | 11. April 2021 | 19:30 Uhr