Politikexperte Josef Janning
Politikexperte Josef Janning Bildrechte: ECFR

Interview "EU-Ratspräsidentschaft kann kein Freibrief sein"

03. Januar 2019, 11:12 Uhr

Rumänien hat seit Jahresbeginn die EU-Ratspräsidentschaft inne. Es gibt Kritik wegen Angriffen auf den Rechtsstaat. Ein Gespräch über die Rolle Rumäniens mit dem Politikexperten Josef Janning.

In den vergangenen Tagen gab es zahlreiche Stimmen aus Brüssel und Berlin, die der rumänischen Regierung vorwarfen, nicht gut genug auf die Übernahme der EU-Ratspräsidentschaft vorbereitet zu sein. Wann gilt denn ein Land als gut vorbereitet?

Wenn das zuständige Land ein halbes Jahr vor der Übernahme des Postens eine kontinuierliche und handlungsfähige Regierung aufweisen kann und damit die nötigen Strukturen für die EU-Ratspräsidentschaft schafft. Rumänien fehlt es an Vorbereitung, weil es erst im November den für die Organisation der Ratspräsidentschaft zuständigen Europaminister Victor Negrescu austauschte und eine Regierungsumbildung hatte. Das heißt, das neue Personal muss sich erst einarbeiten. Doch aus dem Stand heraus lässt sich der EU-Vorsitz nicht erfolgreich stemmen.

Rumänien - Rumänisches Parlament
Mehr als 140 Veranstaltungen im Rahmen der EU-Ratspräsidentschaft werden in Bukarest im Parlamentspalast ausgetragen. Bildrechte: MDR/Annett Müller

Länder wie Rumänien, die zum ersten Mal die EU-Ratspräsidentschaft organisieren, werden bei der Aufgabe aber nicht alleingelassen. Die EU-Kommission ist ständig zur Stelle. Sie verfügt über Personal, das das Tagesgeschäft der Ratspräsidentschaft genau kennt. Die EU-Kommission hilft auch deshalb sehr gern aus, weil sie damit Einfluss auf die Agenda und auf das Tempo nehmen kann, wie die verschiedenen EU-Gesetzgebungsverfahren vorangetrieben werden.

Die EU-Ratspräsidentschaft wechselt nach sechs Monaten bereits ans nächste EU-Land. Wie zeitgemäß ist eine solche Rotation?

Die Rotation war noch nie zeitgemäß. Ein halbes Jahr ist im Grunde genommen zu kurz für diese Funktion. Die Länder müssen oft einen Großteil des Arbeitsberges aus Gesetzesvorschlägen, Richtlinien oder Verordnungen ungelöst ihrem jeweiligen Nachfolger übergeben. Doch wenn eine Präsidentschaft unentschlossen ist oder wichtige Dossiers nicht voranbringt, weil dazu schließlich auch Verhandlungsgeschick gehört, dann ist es gar nicht so schlecht, dass eine EU-Ratspräsidentschaft nur sechs Monate lang dauert.

Rumänien ist in den vergangenen Monaten wiederholt für seine umstrittene Justizreform kritisiert worden. Welche Rolle spielt das während der EU-Präsidentschaft?

Die EU-Ratspräsidentschaft kann kein Freibrief für Aktionen sein, die den EU-Werten und EU-Normen widersprechen. Doch zugleich sollte ein Land wegen seiner rechtsstaatlichen Probleme nicht ausgegrenzt, sondern wie es die EU-Regeln vorsehen, in die Pflicht genommen werden. Es gibt während einer EU-Ratspräsidentschaft viele Begegnungen sowie informelle Treffen und damit eine Menge Gelegenheit, den rumänischen Regierungsvertretern zu sagen, dass diese Angriffe auf den Rechtsstaat nicht angemessen sind.

Seit langem laufen Diskussionen über den Umbau des Rechtsstaates in Ungarn und Polen. Auch bei Rumänien befürchtet man eine Einschränkung der Demokratie. Sollte die EU künftig Fördergelder an die Einhaltung rechtsstaatlicher Regeln knüpfen?

Ja, das sollte sie. Dass die EU aber Ungarn oder Polen die EU-Strukturfonds streichen sollte, ist meiner Ansicht nach eine reine Stammtisch-Forderung und Drohkulisse, die keiner Seite nützt. Die EU-Strukturfonds sollen helfen, die Entwicklungsrückstände im ländlichen Raum zu überwinden. Würde man sie kürzen, würde man mit dieser Sanktion die Falschen treffen. Sinnvoller wäre es, Förderprogramme zu schaffen, die gutes Regieren, eine moderne Verwaltung oder eine bürgerorientierte Informationsberatung unterstützen. Regierungen, die dagegen verstoßen, sollten solche Förderprogramme auch nicht bekommen. Auf diese Weise würde man mit EU-Mitteln Anreize schaffen, statt zu bestrafen.

Wie würden Sie denn die Nicht-Einhaltung von Rechtsstaatsprinzipien sanktionieren?

Die EU-Kommission könnte viel stärker das sogenannte naming and shaming - das öffentliche Bloßstellen - betreiben. Brüssel drückt sich jedoch in seinen Stellungnahmen häufig umständlich aus, auch weil es immer den Dialog mit dem betroffenen Staat sucht. Doch die EU-Kommission sollte, meiner Meinung nach, die Verstöße so deutlich benennen, so dass man weder Insider noch Experte sein muss, um zu verstehen, was gerade wo beanstandet wird. Das würde den nötigen Druck schaffen: Denn Regierungen ist es unangenehm, derart bloßgestellt zu werden.

Im Mai stehen EU-Wahlen an, bei denen populistische Parteien auch im EU-Parlament stark zulegen könnten. Was machen die herkömmlichen Parteien falsch?

Sie betreiben eine missverständliche Politik und verbreiten den Eindruck, dass sie von Brüssel fremdbestimmt würden. Ich kann verstehen, dass Regierungschefs sich gern vor Fernsehkameras stellen und erklären, wie löwenhaft sie für die nationalen Interessen ihres Landes gekämpft hätten, aber in später Stunde leider der Mehrheit der anderen unterlegen waren. Wenn man Europa so vermittelt, darf man sich nicht wundern, dass die EU-Bürger das Gefühl haben, dass ihnen Brüssel angeblich ihre Souveränität wegnehmen will. Was in den Debatten häufig unterschlagen wird, ist, dass die EU-Staaten doch die Union ausmachen, dass die wesentlichen Entscheidungen ohne die aktive Mitwirkung der EU-Staaten niemals fallen würden.

Wer sollte diese Debatte vor der EU-Wahl führen?

Diese überfällige Debatte ist von allen zu führen. Die Kandidaten für das EU-Parlament sollten sich meiner Meinung zudem umschauen, wo es ähnliche Regionen gibt, mit ähnlichen Interessen. Bei dieser EU-Wahl geht es um die Interessen der EU-Bürger. Doch derzeit zeichnet sich leider nur ein Wahlkampf ab - zwischen den sogenannten Macronisten, die von sich behaupten, für Europa zu stehen und den sogenannten Orbánisten, die die Souveränität der Nationalstaaten vertreten wollen. Viele Menschen interessiert diese Konfrontation gar nicht. Die Bürger interessiert vielmehr, welche Prioritäten die europäische Politik setzen will und was sie von einer solchen Politik haben werden.

Zur Person Der 63-jährige Politikwissenschaftler Josef Janning ist Leiter des Berliner Büros des Politikanalyse-Instituts "European Council on Foreign Relations" (ECFR). Der Think-Tank agiert europaweit und forscht zur europäischen Außen- und Sicherheitspolitik.

Über dieses Thema berichtete MDR AKTUELL auch im: Radio | 31.12.2018 | 17:00 Uhr