Zur Deutschland-Premiere des russischen Films "Mathilde" Interview mit dem Schauspieler Lars Eidinger

07. November 2017, 10:10 Uhr

In St. Petersburg hatte er am 23. Oktober 2017 Premiere, in Deutschland kommt er heute in die Kinos: Der russische Film "Mathilde". Russische Monarchisten hetzen gegen den Streifen, Hauptdarsteller Lars Eidinger bekam Morddrohungen. Er hatte deshalb an der Premiere nicht teilgenommen. Wir haben mit dem Darsteller von Zar Nikolaus II. gesprochen.

Herr Eidinger, wie kam es dazu, dass Sie als deutscher Schauspieler in einem russischen Film einen Zaren spielen?

Wir haben zwei Jahre vor Drehbeginn in Moskau mit der "Schaubühne" Hamlet gespielt. Soweit ich weiß, hat Regisseur Alexej Utschitel mich auf der Bühne gesehen und gedacht: 'Der isses!' Und dann hat er mich in Berlin zu einem Casting eingeladen - unter dem Vorwand für eine kleinere Rolle vorzusprechen. Doch eigentlich wollte er mich kennenlernen. Am Ende des Castings hat er mich dann gefragt, ob ich mir vorstellen könnte, nach Russland zu kommen, um für Nikolai II. vorzusprechen und ob ich für die Rolle Russisch lernen könnte. Ich habe relativ leichtfertig zugesagt, bin dahin gefahren, Utschitel hat sich für mich entschieden. Und ich musste tatsächlich Russisch lernen. Beziehungsweise ich kann ja gar kein Russisch, bis heute nicht. Als jemand, der in Westberlin groß geworden ist, hatte ich nie wirklich Kontakt mit der russischen Sprache. Ich habe die russischen Texte phonetisch gelernt, mit einem Lehrer in Berlin einstudiert.

Haben Sie gut genug russisch gesprochen, um als Zar Nikolaus durchzugehen?

Damit ich überhaupt mit einem gewissen Ehrgeiz diese Sprache sprechen lerne, haben sie mich in dem Glauben gelassen, dass man im fertigen Film am Ende meine Stimme hören wird. Es war denen sehr wichtig, dass ich die Lippen richtig bewege. Und der russische Schauspieler, der mich dann synchronisiert hat, der macht das wirklich sehr gut. Gerade am Ende gibt es so extreme Naheinstellungen, wo es einfach toll ist zu sehen, dass mein Mund sich russisch bewegt und dass ich die russischen Worte wirklich spreche. Das hätte nicht funktioniert, wenn ich Englisch oder Deutsch gesprochen hätte.

Sie waren sehr lange in Russland. Wie sind Sie klar gekommen, ohne die Landessprache zu sprechen?

Ich hatte 80 Drehtage, ich war fast zwei Sommer komplett in Russland und ich war da relativ verloren, auch, weil außer mir da keiner Deutsch oder Englisch gesprochen hat. Am Set wurde nur Russisch gesprochen. Richtig kommunizieren konnte ich nur mit Hilfe meiner Dolmetscherin. Wenn ich heute in Berlin jemanden Russisch sprechen höre, weiß ich im Grunde, worum es geht. Also ich kenne die Worte und kenne die Zusammenhänge, aber ich könnte keinen Satz auf Russisch sagen.

Haben Sie sich fremd gefühlt als Hauptdarsteller am Set, der die anderen nur schlecht versteht und sich selbst nicht richtig verständlich machen kann?

Ja. Ich glaube aber, das hat auch nicht unwesentlichen Anteil daran gehabt, mich überhaupt zu besetzen. Also ich denke, dass der Regisseur Alexej Utschitel auch ein bisschen darauf spekuliert hat, dass sich da die Situation von Nikolai II. widerspiegelt. Der hat sich halt auch in seiner Situation sehr alleine gefühlt und war komplett überfordert und wollte auch kein Zar sein. Und letztendlich sieht man ihn da auch oft wie so einen Fremdkörper.

Sie haben in einer Zeit in Russland gedreht, in der das Land wegen der Annexion der Krim und der Unterstützung der prorussischen Rebellen in der Ukraine international stark kritisiert wurde. Welchen Einfluss hatte das auf ihre Arbeit?

Die Entscheidung, den Film zu machen, habe ich getroffen deutlich bevor die Konflikte in Russland so brisant wurden. Es gab die Krim-Krise nicht und es gab auch nicht das Gesetz, dass man Homosexualität öffentlich nicht propagieren darf. Ich weiß nicht, ob ich gehadert hätte, wenn das alles schon auf der Tagesordnung gestanden hätte. Ich bin mir da unsicher. Ich sah mich schon sehr im Konflikt, weil ich darum weiß, dass Kulturschaffende in Russland darauf angewiesen sind, eine gewisse Nähe zur Regierung zu pflegen, weil sie sonst gar keine Filme machen können. Es gibt da sozusagen keine andere Möglichkeit. Entweder man kriegt das Geld direkt vom Staat oder man macht so einen Film nicht. Und "Mathilde" hat ein Budget von 30 Millionen Dollar. Das heißt, es gibt eine Verbindung zu Präsident Putin. Es kamen immer wieder hochrangige Politiker ans Set, die sich mit uns fotografieren lassen wollten. Ich habe mich dann mitunter in meinem Wohnwagen eingeschlossen und gesagt, dass ich Probleme mit dem Magen habe und ich nicht kommen kann. Weil ich einfach Angst hatte, dass ich mich da neben irgendwelchen Kriegsverbrechern positioniere und ein Jahr später kursiert ein Bild, auf dem Lars Eidinger im Kostüm von Nikolai II. mit einem der größten Kriegsverbrecher Russlands vor der Kamera steht.

Was hat Sie besonders beeindruckt, überrascht?

Mich hat der Umgang mit Homosexualität bedrückt. Ich weiß nicht warum. Ich bin vielen Leuten begegnet, die mir gegenüber gesagt haben, dass sie homosexuell sind, denen ich angemerkt habe, welchem Druck die standhalten müssen und was es bedeutet für jemanden, der seine Sexualität nicht ausleben darf. Und ich habe erlebt, wie damit umgegangen wird, wenn man andere am Set fragt: "Meinst du, hier sind Homosexuelle am Set?" "Nein auf keinen Fall! Nein!" Also ich hätte natürlich gehofft, dass es intern einen anderen Umgang gibt und dass man sagt: 'Ja, es gibt dieses Gesetz, aber wir sind da offener.' Das ist nicht der Fall.

Überrascht war ich davon, dass wirklich sehr viele Leute die Politik von Präsident Putin unterstützen und er auch in intellektuellen Kreisen für einen guten Staatsmann gehalten wird. Das kann man vielleicht nur verstehen, wenn man vor Augen hat, wie groß Russland ist und dass Putin nicht nur Politik für so fortschrittliche Städte wie St. Petersburg und Moskau machen muss, sondern auch für Landstriche, wo man das Gefühl hat, man kehrt ins Mittelalter zurück.

Was hat das mit Ihnen zu tun?

Das ist ja dieser große Konflikt, dem ich auch gerade ausgesetzt bin. Ich bin da in gewisser Weise zu einer Zielscheibe von Propaganda gegen den Film geworden. Und das hat natürlich ganz viel damit zu tun, dass wir in einem komplett anderen Wertesystem leben als die Russen. Und da kommt man ja tatsächlich in einen Konflikt, wenn man es mit Leuten zu tun hat, die an etwas glauben und man selber befindet sich aber in einer Gesellschaft von Ungläubigen oder von Atheisten. Wir haben allerdings diesen Film nicht gemacht, um zu provozieren. Aus meiner Sicht lassen wir es nicht an Respekt für Zar Nikolai II. fehlen. Ich möchte dieser Figur gerecht werden. Mit allem Respekt und mit aller Aufrichtigkeit. Und deswegen trifft mich Kritik am Film natürlich auch besonders stark.

Es gibt ja diese Duma-Abgeordnete, die Sie auch ganz persönlich angegriffen hat. Da hieß es dann, weil Sie im Theater teilweise auch nackt auf der Bühne waren, Sie seien ein Pornodarsteller der unseren Zaren verunglimpft. Wie haben Sie das erlebt und was haben Sie da auch an Angriffen erlebt?

Die Duma-Abgeordnete heißt Natalja Poklonskaja. Sie hat mich tatsächlich zur Zielscheibe ihres Hasses gemacht und hetzt auch gegen mich. Sie wirft mir vor, ein homosexueller Pornodarsteller und Satanist zu sein. Ich bin in meinem Leben nie bedroht worden. Und in dem Moment, in dem man versucht, einen Molotow-Cocktail ins Büro des Regisseurs Alexej Utschitel zu werfen, nimmt man natürlich auch billigend in Kauf, dass da Leute verletzt werden. Und das spüre ich einfach. Man hat ihm Gewalt angedroht, man hat ihm gesagt, man bricht ihm die Beine. Vor einem Kino, in dem es eine Vorführung des Films geben sollte, sind zwei Autos in Flammen aufgegangen. Ich nehme das ernst, selbst wenn die Wahrscheinlichkeit gering ist, dass mir etwas passiert. Diese ganze Diskussion hat dazu geführt, dass ich nicht zur Premiere des Films nach Russland fahren werde. Ich habe zu große Angst, weil ich auch direkt bedroht wurde.

(voq)

Über dieses Thema berichtete Brisant auch im TV: 09.10.2017 | 17:00 Uhr

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