Parlamentsbesetzung in Polen Menschen mit Behinderung besetzen weiter Parlament
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26. Mai 2018, 14:15 Uhr
In einem Flur des polnischen Parlaments findet seit dem 18. April ein besonderer Protest statt. Menschen mit Behinderung und ihre Familien harren hier Tag und Nacht aus, um mehr staatliche Unterstützung zu erhalten. Eine Erhöhung der Rente für Menschen mit Behinderung haben sie bereits erkämpft. Unerfüllt bleibt ihre Forderung nach einem höheren Pflegezuschuss. Hier wünschen sich die Betroffenen umgerechnet rund 120 Euro. Die Regierung hat bislang nur Sachleistungen wie Rollstühle angeboten.
Etwas mehr Geld statt nur Sachleistungen für die Pflege von Familienangehörigen mit Behinderung - diese Forderung unterstützt auch Joanna Kolodziejczyk. Aus eigener Erfahrung. Sie pflegt zusammen mit ihrem Mann den heute 33-jährigen Sohn Krzysztof, der seit seiner Geburt schwerstbehindert ist.
Wir kennen ihn am besten und wissen, was er braucht. Wir wissen, wenn es ihm schlecht geht und wenn etwas nicht in Ordnung ist. Wir wissen, was man tun kann, damit er glücklich ist.
Pflege ist teuer
Krzysztof kann nicht sprechen. Er ist auf dauernde Zuwendung angewiesen. Ihm zu helfen, erfordert nicht nur viel Liebe, Kraft und unzählige Handreichungen, sondern ist auch teuer. Medikamente gegen Asthma, Epilepsie und Behandlungen bei Therapeuten kosten viel Geld.
Doch Krzysztof erhält eine so niedrige staatliche Rente von derzeit umgerechnet rund 200 Euro, dass er nicht einmal eine Wohnung damit bezahlen könnte, wenn er alleine leben könnte. Umsonst bekommt der schwerbehinderte Mann nur Fahrten im öffentlichen Nahverkehr, bei denen ihn seine Eltern begleiten dürfen.
Mehr Selbstbestimmung durch Pflegezuschuss
Bei der Forderung nach mehr Pflegegeld anstelle von reinen Sachleistungen geht es den Menschen mit Handicap und ihren Angehörigen auch um ein Stück Selbstbestimmung. Krzysztofs Mutter Joanna gehört zwar nicht zur Schar der Parlamentsbesetzer, würde den Politikern ihres Landes aber gerne sagen, dass die betroffenen Familien nicht auf Kosten ihrer Angehörigen mit Behinderung leben. Denn immer wieder begegne man in Polen der Vorstellung, die ganze Familie würde von einer angeblich fürstlichen Rente ihres behinderten Kindes leben. Es sei ganz anders:
Wir bemühen uns so gut wie möglich, dass unsere erwachsenen Kinder, die wir seit 20, 30 Jahren pflegen, einigermaßen würdig leben und nicht dahinvegetieren müssen.
Einen ersten Etappensieg hat der außergewöhnliche Protest im Sejm bereits gebracht: Ab September sollen die Renten für behinderte Menschen um 19 Prozent auf knapp 250 Euro steigen. Die Betroffenen wollen das Parlamentsgebäude aber erst wieder verlassen, wenn es auch eine Einigung beim Pflegezuschuss gibt.
Die Solidarität und das Mitgefühl vieler Landsleute ist den Familien sicher. Schon mehrmals demonstrierten Tausende Polen vor dem Parlamentsgebäude, um die Forderungen der Behinderten zu unterstützen. Auch polnische Prominenz schaut ab und an vorbei. Am 21. Mai besuchte Polens Ex-Präsident Lech Walesa die Gruppe der Unbeugsamen im Sejm. Das verschafft den Protestierenden auch Medienpräsenz, denn der Zugang für Journalisten zum Sejm wurde einige Tage nach Beginn der Besetzung stark eingeschränkt.
Über dieses Thema berichtet MDR Aktuell auch im: TV | 25.05.2018 | 17:45 Uhr