Präzedenzfall? Tscheche erhält deutschen Mindestlohn

16. Februar 2018, 10:58 Uhr

Die Deutsche Post zahlt einem Fahrer eines tschechischen Subunternehmens nach dessen Klage den deutschen Mindestlohn, weil er überwiegend in Deutschland im Einsatz ist. Die Klage könnte tausende Osteuropäer betreffen.

Ein tschechischer LKW-Fahrer hat beim Arbeitsgericht in Bonn wegen Lohndumpings geklagt. Für seinen tschechischen Arbeitgeber hatte er vor allem Aufträge für die Deutsche Post in Deutschland übernommen. Deshalb wollte er auch nach deutschen Maßstäben bezahlt werden und hat den deutschen Mindestlohn verlangt. Nun ist klar: Die Post zahlt dem Mann die Differenz zum deutschen Mindestlohn aus.

Verkehrskontrolle als Auslöser

Angefangen hatte alles im Sommer 2015. Damals wurde der 42-jährige LKW-Fahrer Jiří Gabrhel aus Südböhmen von einer deutschen Polizeistreife angehalten. Neben der klassischen Kontrolle der Fahrzeugpapiere stellten ihm die Beamten auch Fragen zu seinem Stundenlohn. Dem tschechischen Nachrichtenportal idnes.cz  berichtete Gabrhel am 14. Februar:

Sie haben mir ein Flugblatt gegeben, wo drauf stand, an wen man sich wenden kann, wenn man als Fahrer zu wenig verdient.  Jeder weiß, dass tschechische Fahrer niemals auf den deutschen Mindestlohn kommen.

LKW-Fahrer Jiří Gabrhel

Tatsächlich verdiente Jiří Gabrhel monatlich rund 460 Euro – bei 160 Arbeitsstunden. Nach der Begegnung mit der deutschen Polizei fing er an, genau Buch zu führen: "Ich begann, mir jeden Tag aufzuschreiben, wann ich über die Grenze fuhr, wo ich geparkt hatte und wo ich zum Be- und Entladen hielt."

Bahnbrechende Entscheidung?

Mit dieser Übersicht ging Gabrhel zur Beratungsstelle des Deutschen Gewerkschaftsbunds (DGB). Im Rahmen des Projekts "Faire Mobilität" halfen ihm die Mitarbeiter, die die Interessen von Beschäftigten aus Mittel- und Osteuropa vertreten, seine Forderungen vor Gericht zu bringen.  

Stanislava Rupp-Bulling, Beraterin bei "Faire Mobilität", erklärte gegenüber dem tschechischen Nachrichtenportal idnes.cz, auf welche gesetzliche Grundlage sie sich dabei stützen:

Der gesetzliche Mindestlohn gilt auch für Arbeitnehmer, die vorübergehend einer Beschäftigung in Deutschland nachgehen. Unabhängig davon, ob sie einen Arbeitsvertrag mit einem deutschen oder einem ausländischen Unternehmen haben.

"Faire Mobilität"-Beraterin Stanislava Rupp-Bulling

In Jiří Gabrhels Fall einigte sich die Deutsche Post mit dem Kläger, ihm die Differenz zwischen dem Bruttolohn, den er von seinem Arbeitgeber erhielt und dem gesetzlichen Mindestlohn in Deutschland nachzuzahlen: nach seinen Angaben rund 10.000 Euro.

Der tschechische Arbeitgeber ist in dieser Regelung rechtlich außen vor. Mit der Einigung wollte die Post einem möglichen Urteil zuvorkommen, sagt Michael Wahl vom DGB-Projekt "Faire Mobilität" leitet:

Es gibt keine Anerkennung der Schuld durch die Deutsche Post. Zunächst sah es so aus, dass alle Seiten für Rechtssicherheit in dem Prozess sorgen wollten. Nachdem alle Beweise vorlagen, hat sich die Deutsche Post aber entschieden, lieber den Fahrer auszuzahlen, als durch ein Urteil für Rechtssicherheit zu sorgen.

Michael Wahl, DGB-Projekt "Faire Mobilität"

Keine Abrechnung über verbreitetes Spesen-Modell

So eine Rechtssicherheit wünscht sich der DGB aber generell für die Beschäftigten im Transport-Gewerbe und fordert eine Abschaffung des verbreiteten Spesen-Modells.
Nach dem erhalten Fahrer wie Gabrhel nämlich bis zu zwei Drittel ihres tatsächlichen Einkommens über Zulagen, etwa für Auslandstage und -Übernachtungen. Auf diese "Spesen" zahlt der Arbeitgeber aber keine Sozialabgaben wie die Krankenversicherung.

Das eigentliche Grundgehalt ist jedoch wesentlich geringer und berechnet sich anhand des "ortsüblichen Mindestlohns" am Sitz des Unternehmens - in diesem Fall Tschechien. Arbeiten die Fahrer aber nicht, etwa durch Krankheit, wird zwar das geringe Grundgehalt weiter gezahlt, nicht aber die Spesen. So werden die Fahrer doppelt benachteiligt.

450 Euro für Vollzeitjob

Im konkreten Fall hat der tschechische Fahrer Gabrhel für seine Arbeit in Deutschland weniger als 450 Euro Lohn im Monat bekomme - bei einer 40-Stunden-Woche. Das sind etwa 1000 Euro weniger als ihm durch den deutschen Mindestlohn zustehen. Auch bei der Nachzahlung wollten die Deutsche Post sich dieses Modell zunutze machen erklärt Michael Wahl vom DGB-Projekt "Faire Mobilität":

Der Arbeitgeber und die Deutsche Post wollten, dass diese Spesen auf den Mindestlohn angerechnet werden. Dagegen hat sich der Fahrer gewehrt und forderte den vollen Mindestlohn von etwa 1500 Euro pro Monat plus Spesen.“

Michael Wahl, DGB-Projekt "Faire Mobilität"

Tschechische Spediteure in Aufruhr

In Tschechien schlägt der Fall nun hohe Wellen. Speditionsunternehmen haben Sorge, dass die Klage Schule macht und die Zehntausenden osteuropäischen Fahrer mit ähnlichen Arbeitverträgen wie Jiří Gabrhel, ihre Arbeitgeber und deren Auftraggeber vor Gericht bringen könnten, mit weitreichenden Folgen für die Branche, die unter Druck steht: Dazu sagte der Vorsitzende des Verbands des Transportwesens "Česmad Bohemia", Vojtěch Hromíř, heuteimosten.de:

Zu entscheiden, dass da Nachzahlungen fällig sind, geht völlig an der Realität vorbei. Tatsächlich ist der Preisdruck enorm. Und die großen Auftraggeber sitzen am längeren Hebel. Vielfach fordern sie von ihren Subunternehmern, Erklärungen zu unterschreiben, dass diese alle gesetzlichen Bestimmungen erfüllen, darunter fält auch das deutsche Mindestlohngesetz.

 "Česmad Bohemia"-Vorsitzender Vojtěch Hromíř

Hromíř zufolge sei das bei den Preisen, die die deutschen Auftraggeber zu zahlen bereit seien, aber völlig unmöglich. So könnte der Fall dazu führen, dass Fahrer auch ihre eigenen Arbeitgeber verklagen. Und das würde diese nach Einschätzung des Verbandsvorsitzenden ruinieren. Er fordert nun eine Kompromisslösung auf europäischer Ebene.

Verkehrsministerium fürchtet Präzedenzfall

Auch das  tschechische Verkehrsministerium hat in einer Presseerklärung zu dem Fall Stellung bezogen. Darin heißt es, er könne "zum Präzedenzfall werden für weitere Klagen." Das deutsche Gericht habe nicht berücksichtigt, dass sich das tschechische Lohnsystem vom deutschen unterscheide. Die Bedingungen seien nicht vergleichbar.

Klagen und Druck seitens der Gewerkschaften könnten Folgen für ganze Industriezweige haben, die Transportdienstleistungen im Ausland bestellen - und dies aufgrund der dort niedrigeren Lohnkosten oft in osteuropäischen Nachbarländern wie Polen oder Tschechien tun. Dadurch könne Tschechiens Wirtschaft insgesamt betroffen sein, heißt es in der Erklärung des Ministeriums. Dieses fürchtet daher um die Konkurrenzfähigkeit Tschechiens.

(kma/ahe/döh)

Über dieses Thema berichtet MDR exakt auch im: TV | 12.07.2017 | 20:15 Uhr