Gerichtsurteil Tschetschenien: Menschenrechtler muss ins Straflager

19. März 2019, 08:26 Uhr

Der Chef von Memorial in Grosny, Ojub Titijew, ist zu vier Jahren Lagerhaft verurteilt worden. Beobachter sprechen von einem Schauprozess. Machthaber Kadyrow kommt seinem Ziel näher, Aktivisten aus seinem Reich zu verbannen.

Neun Stunden ohne Unterbrechung las die Richterin in der tschetschenischen Stadt Schali die Prozessergebnisse vor, dann fiel das Urteil, das viele von Anfang an erwartet hatten:  Vier Jahre muss der bekannte Menschenrechtsaktivist Ojub Titijew ins Straflager. Das Gericht befand den 61-Jährigen für schuldig, Drogen besessen und konsumiert zu haben.

Das Urteil kommt nicht überraschend für Titijew, der schon in der vergangenen Woche gesagt hatte, dass er nicht mit einem Freispruch rechne: "Wenn die Staatsanwaltschaft in unserem Land eine Sache vor Gericht bringt, ist das quasi schon ein Urteilsspruch."

Kampf für Menschenrechte seit mehr als 20 Jahren

Titijew arbeitet seit mehr als 20 Jahren für die Menschenrechtsorganisation "Memorial". Er berichtete immer wieder über Fälle von Verschleppung und illegaler Inhaftierung durch tschetschenische Sicherheitskräfte in der Region. Im Januar vergangenen Jahres wurde er schließlich selbst festgenommen. Sicherheitskräfte gaben an, in seinem Auto 200 Gramm Marihuana gefunden zu haben. Ein Zeuge sagte später vor Gericht aus, Titijew gesehen zu haben, wie er auf offener Straße einen Joint rauchte. Beides Vergehen, die im streng muslimischen Tschetschenien unter Strafe stehen. Im Laufe des Prozesses gab es zahlreiche Ungereimtheiten. Titijew sagte der ARD nach der Urteilsverkündung: "Fünf Monate wurde das Strafverfahren gefälscht, acht Monate das Urteil gefälscht. Alle 27 Anträge der Verteidigung wurden abgelehnt, alle Beweise der Verteidigung, nicht berücksichtigt." Memorial kündigte an, gegen das Urteil Berufung einzulegen.

Terroristen, Extremisten, Menschenrechtler

Tschetschenien gehört zu den gefährlichsten Regionen für Menschenrechtsaktivisten und Aktivisten weltweit. Titijews Vorgängerin bei Memorial, Natalja Estemirowa, wurde 2009 in Grosny entführt und später erschossen. Machthaber Ramsan Kadyrow sagte in einer Rede im August vergangenen Jahres: "Ich kündige Menschenrechtsaktivisten offiziell an: Wenn dieser Prozess beendet ist, wird Tschetschenien eine verbotene Zone für sie sein, wie für Terroristen und Extremisten."

(ele)

Über dieses Thema berichtete MDR AKTUELL auch im: TV | 11.07.2017 | 21:45 Uhr