EuGH-Urteil erwartet Ist Ehepaar gleich Ehepaar?

05. Juni 2018, 11:19 Uhr

Ehegatten von Unionsbürgern genießen Freizügigkeit in allen EU-Ländern. Das heißt, sie können sich überall niederlassen und eine Arbeit oder Studium aufnehmen. Doch bisher galt das EU-weit nur für hetereosexuelle Paare. Das könnte sich durch eine für den Dienstag erwartete Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs ändern. Sechs osteuropäische Länder würde das vor neue Tatsachen stellen.

Der Europäische Gerichtshof (EuGH) in Luxemburg will am Dienstag darüber entscheiden, ob die EU-Freizügigkeit künftig EU-weit auch für homosexuelle Paare gilt. Hintergrund ist die Klage des rumänischen NGO-Aktivisten Adrian Coman. Der 46-Jährige lebt derzeit mit seinem US-amerikanischen Ehemann in New York. 2010 haben beide in Brüssel geheiratet.

Coman will, dass seine Ehe auch in seinem orthodox geprägten Heimatland Rumänien rechtlich Bestand hat. "Wir wollen in meiner Heimat nicht wie zwei Fremde, sondern als das behandelt werden, was wir in Wahrheit sind: eine Familie", sagt Coman.

Bukarest ruft EuGH an

Hätte Coman eine Frau aus den USA geheiratet, hätten ihr die rumänischen Behörden die Aufenthaltsgenehmigung problemlos bewilligt. Comans Ehemann aber lehnten sie mit der Begründung ab, dass es im Land weder die Homo-Ehe noch eine Eingetragene Partnerschaft gebe. Comans aus den USA stammender Ehepartner darf sich bisher nicht länger als sechs Monate pro Jahr in Rumänien aufhalten. Ein Umzug von New York nach Bukarest ist damit für die beiden vorerst ausgeschlossen.

Adrian Coman zog gegen die Entscheidung vor Gericht. Allein zwei Jahre dauerte es, bis klar war, dass das rumänische Verfassungsgericht das Urteil fällen soll. Das rief wiederum 2016 den EuGH in Luxemburg an, um den Fall klären zu lassen. Denn der NGO-Aktivist Adrian Coman beruft sich in seiner Klage auf das EU-Freizügigkeitsrecht. Es erlaubt nicht nur EU-Bürgern, sondern auch deren Ehepartnern, sich im gesamten EU-Raum frei zu bewegen und aufzuhalten.

Wie ist EU-Freizügigkeit für Ehepaare zu verstehen?

Doch bislang gilt die EU-Freizügigkeit EU-weit nur für heterosexuelle Paare. Was passiert, wenn der Ehepartner gleichgeschlechtlich ist? Und was, wenn das Ehepaar in einem EU-Land leben möchte, wo Schwule und Lesben gar nicht heiraten dürfen? Diese Fragen sind juristisch bislang nicht eindeutig geklärt.

Zu Jahresbeginn empfahl der Generalanwalt des Europäischen Gerichtshofes, Melchior Wathelet, den Richtern in Luxemburg, Coman Recht zu geben. In seinem Gutachten erklärte Wathelet, dass im Hinblick auf die EU-Freizügigkeit der Begriff Ehegatte geschlechtsneutral und unabhängig vom Ort der Eheschließung verstanden werden müsse.

Urteil bedeutet nicht die Legalisierung der Homo-Ehe

Folgt der EuGH in seinem Urteil dieser Empfehlung, müssten künftig in der EU geschlossene Homo-Ehen auch in allen EU-Ländern anerkannt werden. Das würde auch für jene sechs osteuropäischen EU-Staaten gelten, die bislang weder eine Eingetragene Partnerschaft noch die Homo-Ehe akzeptieren. Konkret betroffen wären neben Rumänien auch Bulgarien, die Slowakei, ebenso Polen, Litauen und Lettland.

Das Urteil würde aber nicht bedeuten, dass diese Staaten die Schließung der Homo-Ehe nun auch im eigenen Land erlauben müssen. Vor Jahren hatte der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) bereits bestätigt, dass dies die EU-Mitgliedsstaaten individuell regeln dürfen.

Referendum für Herbst geplant

In Rumänien ist ein Verbot der Eingetragenen Partnerschaft und der Homo-Ehe seit Jahren im Zivilgesetzbuch festgeschrieben. Vielen Rumänen geht dieses Verbot im eigenen Land nicht weit genug. Vor drei Jahren sammelte die "Koalition für die Familie" - ein Zivilbündnis aus über 40 christlich geprägten NGO's - rund drei Millionen Unterschriften im Land, um das Verbot der Homo-Ehe auch in der Verfassung festzuschreiben. Ein entsprechendes Referendum ist für den Herbst geplant. Es gilt als sehr wahrscheinlich, dass die Koalition dann Millionen von Gegnern der Homo-Ehe zum Urnengang mobilisieren kann.

Homosexualität bei Mehrheit verpönt

Denn allein das Wort "Homosexualität" schreckt viele in Rumänien ab. Umfragen zufolge will die Hälfte der Rumänen lieber niemanden in der Familie haben, der homosexuell ist. Auch Adrian Comans Vater hat früher so gedacht. Im Juli 2016 erzählte er in einer Talkshow, wie unvorbereitet ihn das Coming-out seines Sohnes getroffen habe. Mit einer solchen Offenheit wird selten in Rumänien über das Thema diskutiert.

Comans Vater scherzte damals: "Bislang hatte ich noch 100 gute Nachbarn. Doch wenn sie jetzt erfahren, dass ich einen schwulen Sohn habe, werden es vermutlich nur noch zwei sein. Ich verstehe jedoch die 98 anderen. Wenn die mich eines Tages fragen sollten, werde ich sagen: 'Mensch Leute, Homosexualität ist doch nichts Anormales'."

Urteil von Bukarest aus verfolgen

Am Dienstag nun könnte Comans mehrjähriger Prozessmarathon zu Ende gehen. "Der Prozess dauert länger, als wir uns je vorgestellt haben. Doch was schlussendlich zählt, ist das Resultat", sagt Coman im MDR-Interview. Er glaubt, dass das Urteil "nicht nur unser Leben verändern wird, sondern auch das anderer homosexueller Paare in den EU-Staaten." Coman will mit seinem Ehepartner das Urteil des EuGH von der rumänischen Hauptstadt Bukarest aus verfolgen.

Zukunftspläne von Coman

Sollte er den Prozess verlieren, will Coman weitere Rechtsmittel einlegen. Sein Ziel bleibt, dass "sich mein Ehepartner in Rumänien genauso zuhause fühlt, wie ich mich in seiner US-Heimat zuhause fühlen kann". Sollte Coman vor Gericht gewinnen, wäre damit ein Präzedenzfall für andere rumänische Schwulen- und Lesbenpärchen geschaffen, meint Comans Anwältin Iustina Ionescu im MDR-Interview: "Ich weiß, dass es Zehntausende rumänische Fälle in der EU gibt, die sich in ähnlicher Lage befinden, wie mein Mandant", sagt Ionescu.

Coman und sein Ehemann Claibourn Robert Hamilton wollen eines Tages nach Rumänien ziehen. Ganz gleich wie das Urteil für sie am Dienstag ausfällt, fest steht: Bis das gleichgeschlechtliche Paar in Rumänien gesellschaftlich akzeptiert sein wird, ist es noch ein weiter Weg.

Über dieses Thema berichtet MDR AKTUELL auch im: Hörfunk | 05.06.2018 | ab 10:00 Uhr

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Geschichte

Eduard Stapel
Eduard Stapel war einer der Begründer des ersten Arbeitskreises Homosexualität in Leipzig 1982. In den folgenden Jahren setzte er sich DDR-weit für weitere solche Arbeitsgruppe ein und koordinierte die Homosexuellenbewegung des Ostens. Er ist Mitbegründer des heutigen LSVD. Bildrechte: MDR/Hoferichter & Jacobs