Gemälde mit einem Gewimmel mittelalterlicher Figuren
Mehr als 3.000 Figuren bevölkern Tübkes Monumentalgemälde über den Bauernkrieg und die gewaltsame Geburt der Neuzeit, das am 14. September 1989 eingeweiht wurde. Bildrechte: picture alliance / Martin Schutt/dpa-Zentralbild/dpa | Martin Schutt

Porträt Kunst aus Leipzig: Werner Tübke – Maler-Fürst in der DDR

07. März 2024, 10:25 Uhr

Der Maler Werner Tübke gilt als Mitbegründer der Leipziger Schule. Im thüringischen Bad Frankenhausen hat er zu DDR-Zeiten sein monumentalstes Werk geschaffen: Auf dem Schlachtberg, wo einst die aufständischen Bauern 1525 unter Führung von Thomas Müntzer vernichtend geschlagen wurden, steht das Panorama-Museum mit seinem Gemälde. Statt heroischer Bauern malte Tübke eine große Passionsgeschichte, ganz anders als es die DDR-Genossen wollten. Tübke, 2004 im Alter von 74 Jahren gestorben, stellte nach der Wende trocken fest, Auftrag hin oder her, ein DDR-Künstler sei er ja wohl nie gewesen.

"Wissen Sie", meinte Werner Tübke mal, "wenn ich durch ein Museum gehe und mir die Arbeiten eines anderen Künstlers ansehe, denke ich, den müsstest du mal besuchen, und dann stelle ich fest, der lebt ja gar nicht mehr!" Auch die Werke des Leipziger Malers, der am 30. Juli 90 Jahre alt geworden wäre, scheinen auf den ersten Blick wie aus der Zeit gefallen.

Tübkes Malerei: Brillanz und Relevanz

Tübkes Vorbilder hießen Albrecht Dürer oder Lucas Cranach, Matthias Grünewald, Pieter Bruegel oder Hans Baldung Grien. Dabei "bediente" er sich bei den altdeutschen und italienischen Meistern, um einen auf seine Art realistischen Bildkosmos zu schaffen. Gegenwart war für den Künstler erinnerte Vergangenheit – so wie in seinem Opus magnum, dem kurz vor der Wende eingeweihten Bauernkriegspanorama auf dem Schlachtberg bei Bad Frankenhausen.

Ein älterer Mann mit Brille in gestreiftem Hemd udn Sakko steht auf einem Gerüst vor einem Gemälde und schaut sorgenvoll.
Der Leipziger Maler und Grafiker Werner Tübke noch auf der Baustelle seines Werks, 1989 Bildrechte: picture-alliance/ZB/Hubert Link

Über den "großen Unzeitgemäßen" (Eduard Beaucamp) sagt der Leipziger Kunsthistoriker Frank Zöllner im Gespräch mit MDR KULTUR, die figürliche Malerei sei oft für tot erklärt worden, doch wie Tübke aktuelle Zeitzeugenschaft und altmeisterlichen Stil zusammenbringe, das sei singulär. Seine Werke zeichneten sich aus durch hohe zeitgenössische Relevanz und technisches Können, auf einem Niveau, das man heute im 21. Jahrhundert in einer solchen Brillanz kaum mehr finde.

14 x 123 Meter großes Rundbild: "Frühbürgerliche Revolution in Deutschland"

Dabei war Tübke sowohl zu DDR-Zeiten als auch danach nicht unumstritten. Nach der Wende musste er sich den Vorwurf gefallen lassen, ein Auftragsmaler gewesen zu sein, der sich vom Zyklus "Geschichte der deutschen Arbeiterbewegung" (1960/1961) über "Arbeiterklasse und Intelligenz" (1973) bis zum Bauernkriegspanorama in die Programmatik der DDR-Obrigkeit eingefügt habe.

Tatsächlich sollte Tübke in Bad Frankenhausen, wo die aufständischen Bauern unter der Führung von Thomas Müntzer 1525 vom Adels- und Landsknechtsheer vernichtend geschlagen wurden, ein Gemälde zur "Frühbürgerlichen Revolution in Deutschland" erschaffen. Um zu illustrieren, dass erst mit der DDR-Bodenreform von 1946 die Ziele der Aufständischen eingelöst worden seien.

Arbeiten am Welttheater in Bad Frankenhausen: "Eine Viecherei"

Tübke indessen schuf in elf Jahren – zwischen 1976 und bis zur Einweihung am 14. September 1989 – ein epochales Gemälde über die Geburt der Neuzeit mit mehr als 3.000 Figuren. Sieben Jahre dauerten allein die Vorstudien und Modellzeichnungen. Danach stand der Maler mit seinen Helfern täglich zehn Stunden auf den Gerüsten, eine "Viecherei", wie er selbst sagte. Der Kritiker Eduard Beaucamp interpretierte das vollendete Werk als "Welttheater". Das 14 x 123 Meter große Rundbild ohne Anfang und Ende transzendiere die historische Wirklichkeit des Bauernkrieges "in die Zeitlosigkeit der apokalyptischen Entstehung der Welt oder deren Untergang". Über die DDR-spezifischen Lebenserfahrungen des Künstlers hinaus werde das Werk zum Spiegel einer von Utopien enttäuschten Übergangszeit.

Besucher betrachten 2009 das Monumentalgemälde "Frühbürgerliche Revolution in Deutschland" von Werner Tübke.
Besucher betrachten im Panorama-Museum in Bad Frankenhausen das Monumentalgemälde "Frühbürgerliche Revolution in Deutschland" von Werner Tübke. Bildrechte: picture-alliance/ dpa | Martin Schutt

Selbstbewusster Harlekin: "Ich zähle mich nicht zur DDR-Kunst"

Gemälde mit dem Selbstbildnis eines jungen Malers mit Palette und schwarzer Kappe, ein Frau betrachtet es in einer Ausstellung.
"Selbstbildnis mit Palette" (1971) Bildrechte: picture-alliance/ dpa | Waltraud Grubitzsch

Als nach der Wende Stimmen aufkamen, die die Schließung des Panoramas forderten und Tübke einen Staatskünstler nannten, entgegnete er, unabhängig geblieben zu sein, gerade bei der Arbeit in Bad Frankenhausen. Sich selbst verewigte Tübke, der die Wende nicht als großen Umbruch sah, darin als Harlekin. Nach seinem Opus magnum eigentlich körperlich am Ende arbeitete Tübke nach der Wende an zwei großen Aufträgen; einem Bühnenbild für del Monacos Neuinszenierung von Webers "Der Freischütz" in Bonn (1990-1993) und an einem Flügelaltar für die St. Salvatoris-Kirche in Clausthal-Zellerfeld (1993-1996).

Außerdem entstanden viele eigenständige, meist kleinformatige Gemälde mit typischem Personal, Narren und Harlekine sowie Porträts. Auf die Frage, ob er sich beschwert habe, dass auch seine Bilder in der umstrittenen DDR-Kunst-Schau in Weimar 1999 auftauchten, konterte er in seiner bekannt trockenen Art: "Nein, ich registriere so etwas eigentlich nicht (...) Ich zähle mich nicht zur DDR-Kunst."  

Malerlehrling, Kunststudent, HGB-Rektor

Eine Pfarrerin und ein Mann stehen in einer Kirche unter einem Altar mit aufgeklappten Flügeln, der biblische Szenen zeigt.
Flügelaltar für die St. Salvatoris-Kirche in Clausthal-Zellerfeld (1993-1996) Bildrechte: picture-alliance / dpa | Wolfgang Weihs

Dabei gilt er gemeinsam mit Bernhard Heisig und Wolfgang Mattheuer als Begründer der Leipziger Schule. Am 30. Juli 1929 in Schönebeck geboren, machte er zunächst eine Malerlehre. 1947 holte er das Abitur nach und studierte dann bei Ernst Hassebrauk und Elisabeth Voigt an der Leipziger Hochschule für Grafik und Buchkunst (HGB). 1950 sattelte er auf Kunstgeschichte und Psychologie um, das Studium an der Uni Greifswald schloss er zwei Jahre später ab. Von 1955 bis 1957 war er Assistent an der HGB.

Als unbequemer Querdenker entlassen, arbeitete er bis zu seiner Wiedereinstellung Ende 1962 fast fünf Jahre freischaffend. 1964 erfolgte seine Berufung zum Dozenten, 1972 übernahm er den Lehrstuhl für Malerei an der HGB. 1973 bis 1976 trat er die Nachfolge von Albert Kapr als Rektor der HGB an. Lehrer dort sei er sehr gern gewesen, sagte Tübke rückblickend. Ein strenger allerdings:

Es war sehr schön. Der Unterricht begann um 8 Uhr. Im ersten halben Jahr kamen die Studenten dann so 8:30 Uhr – und durften wieder gehen.

Werner Tübke Über seine Zeit als Lehrer an der HGB in Leipzig

Renaissance-Maler als "Wahlverwandte"

Auf die Frage, ob er sich als Künstler zu DDR-Zeiten mehr beachtet gefühlt habe, erklärte er in einem Zeitungsinterview, er könne das so nicht beantworten. Die 50er- und 60er-Jahre seien ganz schwierig für die Kultur gewesen. "Doch dann brauchte die DDR Valuta. Da ich Valuta produzierte, hieß es: Sie müssen mal wieder nach Frankreich oder Italien, malen. Ich bekam 15 Prozent des Bildererlöses, der Staat 85. Auf diese Art hatte ich aber Gelegenheit, Europa kennenzulernen, jung genug."

Ein grauer Rundbau thront auf einem Berg unter blauem Himmel.
Auf dem Schlachtberg, wo die aufständischen Bauern 1525 vernichtend geschlagen wurden, steht heute das Panorama-Museum mit Tübkes Gemälde. Bildrechte: imago/imagebroker

Den "ganzen mediterranen Raum" betrachtete Tübke als seine "wahre künstlerische Heimat", die großen Renaissance-Maler als seine "Wahlverwandten". 1971 war er das erste Mal nach Italien gereist, der Mailänder Kunsthändler Emilio Bertonati hatte eine Wanderausstellung organisiert, die Tübke international bekannt machte. Nachdem ihm die elf Jahre währende, körperlich zehrende Arbeit am Bauernkriegspanorama "seiner Gegenwart und Umwelt fast entfremdet" hatte, begab er sich auf Reisen in den Süden, um wieder an Licht und Luft zu kommen.

Im Mai 2004 eröffnete das Panorama Museum in Bad Frankenhausen die Werkschau "Faszination Mittelmeer" mit Bildern aus mehr als 30 Jahren. Zur Eröffnung konnte er wegen seines Gesundheitszustandes nicht mehr kommen. Tübke starb am 27. Mai 2004 im Alter von 74 Jahren in Leipzig. Dort gab es auch im Jahr seines 90. Geburtstages keine große Schau. Dafür wurde in Schönebeck an den berühmten Sohn der Stadt erinnert; das Panorama Museum in Bad Frankenhausen zeigte Bilder seiner ersten Reise in die Sowjetunion: "Werner Tübke. Von Petersburg bis Samarkand – Unter fremden Menschen".

Neuer Blick auf "Kunst in der DDR"

Und 30 Jahre nach dem Mauerfall widmete sich der Kunstpalast in Düsseldorf 2019 in einer großen Sonderausstellung der DDR-Kunst: "Utopie und Untergang. Kunst in der DDR". Zu sehen sein sollten auch mehrere Hauptwerke "der seit der documenta 1977 als offizielle Maler der DDR wahrgenommenen Künstler Bernhard Heisig, Wolfgang Mattheuer, Werner Tübke, Willi Sitte", um "tiefere Einblicke in deren Schaffen" zu ermöglichen. Dafür sei die Zeit nun offenbar reif, kommentierte Tübkes Galerist Karl Schwind im Gespräch mit MDR KULTUR.

Bunte Palette eines Malers mit Farbflecken, offenen Tuben und Pinseln
Eine Palette mit Farben und Pinsel des Leipziger Malers Werner Tübke Bildrechte: picture alliance / Martin Schutt/dpa-Zentralbild/dpa | Martin Schutt

Im westdeutschen Kunstbetrieb habe vielleicht lange das berühmte Zitat von Georg Baselitz, der in den Westen gegangen war, nachgewirkt. Der Maler nannte seine ostdeutschen Kollegen, die in der DDR blieben, einst "Arschlöcher", "ohne inhaltliche Argumente zu liefern", wie Schwind findet.

Nun ändere sich die Situation, ein ehemaliger Frankfurter Museumsmann wage sich in Düsseldorf daran, DDR-Kunst zu zeigen. Schon dass der Bundespräsident zur Eröffnung komme, zeige, dass sie ein anderes Gewicht bekomme.

Verschwommene Silhouette einer Frau, die an einem zeitgenössischen Gemälde mit biblischen Szenen zum Jüngsten Gericht vorbei geht.
Werner Tübke: "Jüngstes Gericht", 1983 Bildrechte: picture alliance/dpa | Peter Endig

Der Begriff DDR-Kunst ist bei mir negativ besetzt. Ich verstehe darunter etwas nicht zu definierendes: nicht ganz modern, nicht ganz altmodisch, ein bisschen plakativ, ein bisschen optimistisch, sehr vereinfacht gemalt, aber nicht expressiv, und ohne Substanz. Die Anfangsjahre waren dabei am schlimmsten. Und: Ich zähle mich nicht zur DDR-Kunst. Wenn man an die denkt, denkt man bestimmt nicht an meine Bilder.

Werner Tübke, 1999

Tübke 360 Grad und digital

Eine Hommage an Tübke und sein monumentales Werk in Bad Frankenhausen zeigte 2022 das Leipziger Kunstkraftwerk in Form einer 25-minütigen Bild- und Klangkomposition unter dem Titel "The Great Circle", projiziert auf die Wände der Maschinenhalle. Der New Media Künstler-Franz Fischnaller und Komponist Steve Bryson schufen mit der 360-Grad-Installation ihre Interpretation des Welttheaters anhand zwölf einzelner Szenen aus dem Gemälde. Dafür wurde das 1.700 Quadratmeter große Original digitalisiert. Heißt: 3.000 hochauflösende Aufnahmen wurden zu einer großen Bilddatei mit einer Auflösung von 10GigaPixel zusammengefügt. Besucherinnen und Besucher konnten sich via App in das Gemälde hineinzoomen. In Videostatements berichteten Zeitzeugen von ihren persönlichen Erlebnissen mit dem Künstler. Nach der Premiere in Leipzig sollte das Projekt international touren.

Blick in eine Industriehalle, auf deren Wänden die Projektion überlebensgroßer mittelalterlicher, kämpfender Figuren zu sehen sind.
Eintauchen in den Tübke-Kosmos konnten Besucherinnen und Besucher in der Schau "Tübke Monumental" 2022 im Kunstkraftwerk Leipzig, sie soll international auf Tour gehen. Bildrechte: Kunstkraftwerk Leipzig/Luca Migliore

Ausstellungstipp Tübkes Monumentalgemälde "Frühbürgerliche Revolution in Deutschland"

Panorama Museum
Am Schlachtberg 9
06567 Bad Frankenhausen

Öffnungszeiten
Di – So: 10 –17 Uhr | feiertags 10 – 17 Uhr
31. Dezember 10 – 15 Uhr
24. Dezember geschlossen

Öffentliche Führungen
April bis Oktober
samstags, sonntags, feiertags 12 und 14 Uhr

Barrierefreie Audio-Guides in deutscher Sprache:
Leichte Sprache (29 min)
Gebärdensprachführung (40 min)
Sehbehindertenführung (55 min)

"Tübke und Italien"
7. März bis 16. Juni 2024

Museum der bildenden Künste Leipzig
Katharinenstr. 10
04109 Leipzig

Öffnungszeiten:
Di, Do bis So von 10 bis 18 Uhr
Mi von 12 bis 20 Uhr
Feiertage von 10 bis 18 Uhr
montags geschlossen

Buchtipps Werner Tübke: "Wer bin ich?"
Briefe an einen Freund mit Essays von Eduard Beaucamp und Golo Mann
Herausgegeben von Matthias Bormuth und Annika Michalski unter Mitarbeit von Malte Maria Unverzagt
Erschienen im Wallstein Verlag
224 Seiten, mit farbigen Abbildungen, gebunden


Werner Tübke: Mein Herz empfindet optisch
Aus den Tagebüchern, Skizzen und Notizen.
Hrsg. & Einl. von Annika Michalski & Eduard Beaucamp.
Wallstein Verlag, 2017. 396 Seiten mit Abb., gebunden.

Wie Staatsaufträge ausführen, ohne die eigene künstlerische Identität zu verraten, wie unter dem Dogma des sozialistischen Realismus andere und neue Wege gehen, als Maler und als Mensch? Wie er mit diesen Fragen und Konflikten gerungen hat, das zeigen seine Tagebücher.

Dieses Thema im Programm: MDR KULTUR - Das Radio | MDR KULTUR-Spezial | 06. März 2024 | 07:50 Uhr