Liedermacher Gerhard Gundermann
Am 21. Juni 1998 ist Liedermacher Gerhard Gundermann überraschend mit nur 43 Jahren gestorben. Bildrechte: picture alliance / Associated Press | MATTHIAS RIETSCHEL

Zum 25. Todestag Gerhard Gundermann: Liedermacher und Baggerfahrer aus Hoyerswerda

21. Juni 2023, 04:00 Uhr

Gerhard Gundermann gilt als einer der begabtesten Liedermacher der DDR und auch der Nachwendezeit. Neben der Musik arbeitete er im Tagebau in der Lausitz. Dort baggerte er die Natur ab, deren Zerstörung er in seinen Liedern beklagte. Als singender Baggerfahrer wurde er zur "Stimme des Ostens". Vor 25 Jahren, am 21. Juni 1998, starb "Gundi" Gundermann überraschend mit nur 43 Jahren. Eine Erinnerung an sein Leben.

Seine Lieder handeln von Männern, Frauen und Maschinen, von geschlachteten Uhren, streunenden Hunden, von zweitbesten Sommern oder vom ungewollten "Frühstück für immer". Sie waren so etwas wie Heimatersatz für die, denen 1990 mit der Wende ihr Land abhandenkam. Die Melancholie, die Wut, den Witz, die Klugheit, die Dialektik verströmen diese Lieder bis heute, da er schon ein Vierteljahrhundert tot ist: Gerhard Gundermann, Liedermacher, Baggerfahrer und einiges mehr.

Gundermann führte ein Doppelleben

In Weimar und Hoyerswerda wächst er auf. 1994, in einer Fernseh-Dokumentation, erzählt Gundermann: "Meine Eltern sind geschieden, wir kommen aus Weimar. Ich bin quasi immer hinter Goethe und Schiller mit dem Roller gefahren. Und ringsrum der Thüringer Wald ... Und dann hier die Blöcke und der Sand … trostlos am Anfang."

Zwischen klassischer Hochkultur und sozialistischer Arbeitsstadt – das erste Kapitel eines Doppellebens mit allen Konsequenzen. Gundermann, Jahrgang 1955, Bergmann und Liedermacher zugleich, bodenständig und immer mit zumindest einem Bein in den Wolken, Schnell- und Langsamdenker, Krieger und Pazifist.

Die Arbeit, die ich mache, hat ein anderer nicht, die Luft, die ich heute atme, fehlt morgen meinem Sohn, ich bin immer Opfer und Täter, alles zusammen, ambivalent, ich bin gut und böse, ich bin tolerant und engstirnig zugleich.

Gerhard Gundermann, 1995

Von der Offiziershochschule in den Tagebau

Mit 18 Jahren will er Soldat werden – Soldat der Revolution. So wie Che und Ho Chi Minh. Gundermann aber landet an einer DDR-Offiziershochschule. Und fliegt dort bald wieder. Er weigert sich, einem General ein Loblied zu singen.

Nächste Station: Hilfsarbeiter im Tagebau. Nebenher macht er den Facharbeiter für Tagebaugroßgeräte, später den Baggerführerschein. An der Basis sieht Gundermann die wachsende Schere zwischen Marx und Real-Murx und sagt 1995:

"Ich will meine Verantwortung nicht delegieren. Was ich mache, dafür muss ich grad stehen. Zum Beispiel hab ich gedacht, wir wollen doch alle dasselbe – DDR, Sozialismus. Und warum schubsen die mich immer weg, ich will doch alles geben, und dann hab ich gemerkt: Aber die wollten nicht alles geben!"

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Täter und Opfer: Gundermann und die Stasi

Seine Illusion vom Sozialismus spielt Gundermann einen bösen Streich. Er ist Anfang 20, als er beginnt, an die Stasi zu berichten – acht Jahre lang. Danach, als "politisch unzuverlässig" eingestuft, wird er selbst bespitzelt, aus der SED geworfen – die Begründung dafür ist eine wunderbare Charakterisierung Gundermanns: "prinzipielle Eigenwilligkeit".

Baggerfahrer und Musiker

Nach und vor der Baggerschicht macht Gundermann Musik, im Singeklub, mit der Brigade Feuerstein, später solo oder mit seiner Seilschaft. Auch als er nach 1989 von seiner Musik leben kann, bleibt er beim Tagebau.

Gerhard Gundermann: ein junger Mann mit langen blonden Haaren und einer Brille mit breitem Rand lacht.
Auch als er schon lange von seiner Musik leben konnte, arbeitete Gundermann weiter im Tagebau. Bildrechte: MDR/Inselfilm

Das Ende der Industriegesellschaft, das im Osten mit dem Systemumbruch zusammenfällt, ist immer wieder Gundermanns Thema. Er, zugleich stolzer Baggerfahrer und nachdenklicher Naturzerstörer, baggert Anfang der 90er auf sein eigenes Haus zu.

Ich hab da drüben gearbeitet, andererseits hab ich drauf gewartet, dass das Haus abgerissen wird. Das ist schon eine bekloppte Situation gewesen.

Gerhard Gundermann, 1993

Gundermanns Haus bleibt stehen. Doch die Arbeit ist weg. Sein Tagebau hat dicht gemacht. Also Abschied vom Bagger, Neuanfang: eine Tischlerlehre. Und: eine kleine Tochter mit Frau Conny, die er schon seit Singeklub-Zeiten kennt. Gundermann scheint voller Ideen, voller Pläne, gibt Konzerte.

So kommt die Meldung vom Tod Gundermanns überraschend, im Juni 1998. Herzversagen diagnostizieren die Ärzte – mit gerade mal 43 Jahren. Zwei Leben in einem Lebenslauf – vielleicht reicht die Kraft da auch nur für die Hälfte an Jahren.

(Redaktionelle Bearbeitung: Cornelia Winkler)

Dieses Thema im Programm: MDR KULTUR - Das Radio | 21. Juni 2023 | 06:40 Uhr