Fünf Männer in grauen Anzügen tanzen auf einer Bühne. Hinter einem milchig-durchsichtigen Vorhang ist ein Schlagzeug zu erkennen.
"Wir kriegen euch alle!" blickt auf eine besondere Phase der sächsischen Geschichte. Bildrechte: Thilo Neubacher

Heimat Landschaften Theaterfestival in Leipzig, Chemnitz und Dresden: Off Europa zeigt Heimatlandschaften

14. Mai 2023, 04:00 Uhr

Nach Jahren mit Länderschwerpunkten und internationalen Gastspielen schaut das sächsische Theater-Festival Off Europa vom 14. bis zum 21. Mai 2023 wieder auf die eigene Region. Dabei bleibt der Austausch wichtig, wenn beispielsweise Stücke aus Halle oder Chemnitz in Leipzig gezeigt werden. Unter dem Motto "Heimat Landschaften" geht es um Vergangenheit, aber auch um den Körper und Politik. Besonders stolz ist das Team auf die Vielfalt der Spielstätten, weil sie so auch ein breites Publikum erreichen wollen.

In den 90er-Jahren – also gerade nach der Gründung – wechselten sich bei Off Europa in Leipzig internationale und regionale Gastspiele noch ab. Erst seit 2005 konzentrierte sich das Festival auf Länderschwerpunkte und jedes Jahr wurde die Theaterszene aus Ländern wie Israel oder Polen vorgestellt. Das Schlagwort "Nabelschau" passt daher in doppelter Hinsicht zum Jahrgang 2023 mit dem Motto "Heimat Landschaften", weil es sowohl auf die Anfänge als auch auf die regionale Verortung verweist.  

Dabei ist das Thema auch eine Spätwirkung der Corona-Pandemie, wie Festivalleiter und Kurator Knut Geißler erklärt: Er konnten in den vergangenen Jahren einfach nicht genug reisen, um einen neuen Länderschwerpunkt vorzubereiten. Stattdessen wurde das Programm unter das Thema Heimat gestellt. "Eine Eingrenzung ist es am Ende nicht", meint Geißler, "weil Heimat für jeden etwas anderes bedeutet und der Heimatbegriff auch sehr weit interpretierbar ist bis hin zum eigenen Körper." 

Viele Orte in Leipzig und Chemnitz  

"Man nimmt sich diesen Heimatgedanken und hört sich um. Man sieht so viel wie möglich und fängt dann an zu ordnen, zu sortieren und auf die Räume aufzuteilen", erläutert Geißler sein Vorgehen. Tatsächlich spielt Räumlichkeit in diesem Jahr eine besondere Rolle. Geißler wollte auch Stücken zu mehr Aufmerksamkeit und einem breiteren Publikum verhelfen: Zwar sind Spielorte wie das Wuk Theater Quartier in Halle oder das Fritz Theater in Chemnitz nur wenige Kilometer von Leipzig entfernt und dennoch besuchen nur wenige Menschen aus Leipzig diese Theaterhäuser. So entsteht auch endlich der Austausch, den sich Geißler immer wünscht und der sonst nie richtig zustande kommt, weil immer nur Produktionen nach Sachsen eingeladen wurden. 

Gerne betont Knut Geißler in diesem Zusammenhang, dass das Festival an 14 Orten ausgetragen wird. Das ermögliche eine ganz andere Breitenwirkung, weil sowohl das eher ältere oder familiärere Publikum des Chemnitzer Fritz Theaters genauso erreicht wird wie das speziell interessierte im Leipziger Lofft. Etwas kleinlaut spricht der Festivalleiter dabei über Dresden: Da das Societätstheater in der Neustadt gerade saniert wird, bleibt das Programm in der Landeshauptstadt etwas dünn. Für Geißler bestand bei der Vielfalt der Spielstätten die große Herausforderung, für jeden Ort das richtige Stück zu finden. Er wolle nicht, dass sich jemand in die falsche Vorstellung verläuft, sondern jeder genau den richtigen Anknüpfungspunkt findet. 

Menschen im Fokus: Filme von George Genoux 

Blick auf ein alte Kraftwerk mit rot-weißen Schornsteinen. Davor geht ein Mann in blauer Kleidung.
Neben Theaterarbeiten schafft George Genoux immer wieder Filme. Bildrechte: Stas Yurchenko

Für viele ist Heimat mit einem Ort verbunden, mit Vergangenheit und aber auch mit Zukunft: Was mache ich aus diesem Ort, wo ich meine neue Heimat finde – so ähnlich fasst Knut Geißler diesen Gedanken zusammen. Das trifft auch auf George Genoux zu. Der Theatermacher ist in Hamburg aufgewachsen, hat in Moskau studiert und realisierte Theaterstücke in Russland und der Ukraine. 2018 kommt er nach Bautzen, wo er seit 2022 Thespis Zentrum leitet. Von hier aus beginnt er Sachsen zu erkunden, mit den Eigenarten, den offenen Wunden und den neuen Herausforderungen. Dafür spricht er mit Menschen, die das Ende der DDR erlebt haben, aber auch mit Zugezogenen, die sich neu orientieren müssen. Der Film "Vor deinen Augen verbeuge ich mich" ermöglicht einen anderen Blick auf die Heimat Sachsen und lässt vielleicht neue Seiten entdecken, ist Knut Geißler überzeugt. Außerdem wird der Film "Mein Mykolaivka" gezeigt über die Auseinandersetzungen in der Ostukraine mit sogenannten Seperatisten. 

Weitere Informationen "Vor deinen Augen verbeuge ich mich" 
Deutschland, 2021 
Laufzeit: 38 Minuten 

"Mein Mykolaivka"
Ukraine, 2015 
Laufzeit: 87 Minuten 

Wann und wo? 

16. Mai, 20 Uhr 
die naTo  
Karl-Liebknecht-Straße 46 
04275 Leipzig 

17. Mai, 20 Uhr 
Filmgalerie Phase IV 
Königsbrücker Straße 54 
01099 Dresden

18. Mai, 20 Uhr 
Off-Bühne Komplex 
Zietenstraße 32 
09130 Chemnitz

Im Anschluss an die Vorstellungen finden jeweils Gespräche mit George Genoux, Anastasia Tarkhanova und Uwe Gössel statt. 

 

Körperliche Verhältnisse: "Spiritual Boyfriends" 

Bühne in Schwarzlicht: Eine Frau in Sportkleidung kniet auf dem Boden, streckt ihr Arme leicht nach vorn und legt den Kopf in den Nacken.
"Spiritual Boyfriends" verbindet Yoga mit Selbstoptimierungskritik Bildrechte: Artur De Alba

Was haben Fragen nach der Heimat mit Gedanken zum eigenen Körper zu tun? Für Knut Geißler war diese Assoziation schnell gefunden: "Was ist deine Bindung zum Leben?" Um sich an einem Ort wohl und heimatlich fühlen zu können, ist auch eine gute Beziehung zum eigenen Körper nötig, meint Geißler. Genau das scheint bei Núria Giui Sagarra nicht zu stimmen. Sie hat sich mit dem Wunsch beschäftigt, den Körper nach einem Schönheitsideal zu formen, ihn perfekt in Szene zu setzen, um mit ihm Likes zu verdienen. In ihrer Solo-Performance "Spiritual Boyfriends" verbindet sie diese Gedanken mit Yoga-Übungen. Die Bilder bleiben dabei nicht immer kritisch, sondern selbst von einer hohen Ästhetik geprägt – die die Fragen umso drängender machen. 

Weitere Informationen  "Spiritual Boyfriends" 
Tanz-Performance von Núria Guiu Sagarra 

Adresse: 
Lofft – Das Theater 
Spinnereistraße 7
Halle 7
04179 Leipzig 

Dauer: 60 Minuten 

Termin: 
17. Mai, 20 Uhr 

Geschichte mit Musik-Stars: "Wir kriegen euch alle!" 

Heimat hat auch viel mit Vergangenheit zu tun: "Wo komme ich her? Was ist in meinem Leben passiert? Was haben mir meine Eltern erzählt oder hinterlassen?", sind Fragen die Knut Geißler bei der Recherche zum Thema Heimat begegnet sind. Das Stück "Wir kriegen euch alle!" beschäftigt sich mit einem besonderen Zeitpunkt der ostdeutschen Geschichte, für die in den vergangenen Jahren der Begriff Baseballschläger geprägt wurde. In den frühen 90er-Jahren hinterließ das Ende der DDR viel Freiraum, den Neonazis füllen wollten. Dafür machten sie Jagd auf alle, die nicht in ihr Weltbild passten. Von diesen Momenten erzählen auf der Bühne fünf Zeitzeugen – Männer, die damals in unterschiedlichen Punkbands spielten. So ist "eine sehr kurzweilige, kluge Inszenierung gelungen“ entstanden "über ein Stück deutsche Zeit-, Mentalitäts- und Gewaltgeschichte. Und über eine Musik und Lebenshaltung, die dieser wunderbar vehement den Stinkefinger zeigt", so Steffen Georgi in der "Leipziger Volkszeitung". 

Fünf Männer stehen auf einem Podest, einer streckt die Faust in die Höhe. Im Hintergrund wird Text auf einen weißen Vorhang projiziert.
"WIr kriegen euch alle!" ist eine Mischung aus Konzert und Theater. Bildrechte: Thilo Neubacher

Weitere Informationen "Wir kriegen euch alle!" 

Konzept und Regie: Juliane Meckert und Diana Wesser 
Mitglieder der "Zeitzeugenband": Hans Narva, Key Pankonin, Titus Jany, Bernd Stracke und Torsten Füchsel 

Adresse: 
Lofft – Das Theater 
Spinnereistraße 7 
Halle 7 
04179 Leipzig 

Dauer: 130 Minuten 

Termin: 
19. Mai, 20 Uhr 

Im Anschluss ist ein Gespräch mit dem künstlerischen Team geplant. 

Das Leben in der DDR: "Rummelplatz"

"Wir kriegen euch alle!" und die Inszenierung von "Rummelplatz" bilden die Eckpunkte des Programms, verrät Knut Geißler. Beide Stücke tauchen ein in die Vergangenheit von Sachsen und Ostdeutschland. Während das szenische Konzert von dem Ende einer Ära beschreibt, erzählt "Rummelplatz" vom Beginn und dem Leben in der DDR. Werner Bräunig erzählt in seinem Roman von der Belegschaft der AG Wismut im Erzgebirge. Der Schriftsteller versammelt eine vielfältiges Personal aus widerständigen Studenten, Kriegsheimkehrern und anderen. Sie müssen kämpfen mit den Widrigkeiten in der DDR: dem ständigen Mangel und der harten Hand der sowjetischen Besatzer, der ständigen Gewalt und dem Gefühl des Eingesperrtseins. Der Roman entwirft ein breites Panorama, das das Team des Chemnitzer Fritz Theaters zu seiner spannenden Spielfassung verdichtet hat. Dabei konzentrieren sie sich vor allem auf das Gefühl der Hoffnung, das lebendig geblieben ist. Für das Leipziger Publikum ist das eine wunderbare Gelegenheit, um das Chemnitzer Unterhaltungstheater kennenzulernen.  

Auf den Rücken zweier Menschen werden Bilder von Menschen mit VR-Brillen projiziert.
"Rummelplatz" vom Chemnitzer Fritz Theater fragt nach Hoffnung. Bildrechte: Josefin Kuschela

Weitere Informationen "Rummelplatz"
Nach dem Roman von Werner Bräunig 
Produktion vom Fritz Theater Chemnitz 

Dauer: 75 Minuten 

Wann und Wo? 

17. und 18. Mai, jeweils 19 Uhr 
Fritz Theater 
Kirchhoffstraße 34
09117 Chemnitz 

20. Mai, 20 Uhr
Theater der Jungen Welt 
Lindenauer Markt 21
04177 Leipzig 

Solo über Widerstand: "Stand Up" 

In anderen Jahrgängen spielt Politik eine größere Rolle, meint Knut Geißler. Wenn er ein Land mit seinem Theater vorstellen will, dann muss er auch die politische Situation beleuchten. Das ist bei einem Blick auf die Heimat in diesem Sinne nicht nötig. Doch als er das Programm zusammenstellte, wollte sich der Festivalchef nicht auf sächsische Produktionen beschränken. Gerade die internationalen Produktionen sollen so etwas wie ein Gegengewicht bilden. Jana Shostak stammt aus Belarus, lebt aber schon seit einigen Jahren in Warschau. Von dort organisiert den Widerstand in ihrem Heimatland, gegen die dortige autoritäre Regierung. Von ihrem Aktivismus in dem Stück "Stand Up". Dabei beschreibt der Titel die Form: Shostak tritt wie eine Comedienne auf die Bühne. Doch was sie erzählt, ist nur selten zum Lachen. Vielmehr sorgt sie für Fragen über Widerstand und Gestaltungswille. Es geht wieder um die Frage, wie wir Heimat in und für die Zukunft gestalten wollen. 

Eine Frau mit weißem Oberteil und rotem Rock steht auf eine Bühne und spricht in ein Handmikro. Sie spiegelt sich in der Rückwand.
"Stand Up" will nicht zum Lachen anregen. Bildrechte: Pat Mic

Weitere Informationen  "Stand Up (For Your Rights)" 
Performance von und mit Jana Shostak 

Dauer: 60 Minuten 

Wann und wo? 

20. Mai, 20 Uhr in Chemnitz 
Weltecho 
Annaberger Straße 24 
09111 Chemnitz 

21. Mai, 20 Uhr 
Lofft – Das Theater 
Spinnereistraße 7 
Halle 7 
04179 Leipzig 

Dieses Thema im Programm: MDR KULTUR - Das Radio | 15. Mai 2023 | 12:10 Uhr