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Sommertour – Klassik entlang der Straße der MusikBallenstedt: Wiederentdeckung eines Wunderkindes

26. Juli 2022, 13:49 Uhr

In der einstigen Klosterkirche Ballenstedts wurde (wahrscheinlich) Albrecht der Bär zur letzten Ruhe gebettet. Die schönste Frau des Mittelalters, Naumburgs Stifterfigur Uta, stammt aus der Kleinstadt und die Fürsten zu Anhalt-Bernburg residierten hier. An deren Hof wirkte das musikalische Wunderkind Carl Christian Agthe. Hier lebte zudem der Maler Wilhelm von Kügelgen und der Garten-Guru Peter Joseph Lenné sorgte für einen ansehnlichen Schlosspark. MDR KLASSIK hat sich auf musikalische Spurensuche begeben.

von Theo M. Lies, MDR KLASSIK

Der Gang durch eine lange Kastanienallee hinauf zu Sachsen-Anhalts ältestem Theater beschert dem Besucher von Ballenstedt zauberhafte 15 bis 20 Minuten. Der schnurgerade Weg steigt sacht an, vorbei an geduckten Häuschen zu beiden Seiten mit Eisdiele, Friseur und Bäckerei.

Viel Raum für Musik

Nach rund 1.000 Metern ist der weite Schlossplatz erreicht. Dessen gepflastertes Oval präsentiert sich leicht geneigt direkt zu Füßen des Schlosstheaters. Hier gibt es Platz "für viele, sehr viele Menschen", schwärmt Christian Mühldorfer-Vogt, Kulturamtsleiter der einstigen Residenzstadt.

Dieser Platz wurde erst kürzlich für Veranstaltungen aller Art technisch aufgerüstet mit Starkstrom, Bühnenstellplatz und Raum für 3.000 Besucher. Diese können hier künftig Musik verschiedener Genres erleben. Ein kühnes Vorhaben, denn die Kleinstadt hat nur 9.000 Einwohner. Doch Musik spielte schon immer eine große Rolle in dem staatlich anerkannten Erholungsort mit einer etwas zu groß geratenen Schlossanlage als architektonisches Ausrufungszeichen.

1852 leitete Franz Liszt das 3. Anhaltische Musikfest im Hoftheater. Damals wurden Werke von Komponisten wie Hector Berlioz und Richard Wagner gespielt. Letzterer wurde zu jener Zeit in Sachsen steckbrieflich gesucht – aufgrund seiner republikanischen Gesinnung und der Teilnahme an der Mai-Revolution. Da ist das Schlosstheater längst bekannt. 1788 wurde es mit Musik von Carl Christian Agthe eingeweiht.

Der Mozart des Harzes

Der Musiker und Komponist Carl Christian Agthe wurde 1762 in Hettstedt geboren und zog im zarten Alter von 14 Jahren nach Reval im Baltikum, dem heutigen Tallin: "Dort wurde er umgehend Organist und Kapellmeister und komponierte bereits eifrig und erfolgreich", weiß Regina Schade, kulturaffine Ruheständlerin in Ballenstedt. Sein Gönner Friedrich Albert zu Anhalt-Bernburg holte das blutjunge Talent mit 20 Jahren nach Ballenstedt und machte ihn zum Kapellmeister und Organisten an seinem Hof.

"Er wird als der Mozart des Harzes bezeichnet, und das keinesfalls ironisch!", verweist Mühldorfer-Vogt auf das umfangreiche Lebenswerk von Agthe. Die Gemeinsamkeiten zum Salzburger Wunderkind sind sehr auffällig: Der äußerst kreative Output und ein leichtfüßiger Grundgestus waren beiden eigen. Und: beide starben im Alter von bereits 35 Jahren.

Anders als Mozart geriet Carl Christian Agthe danach lange Zeit in Vergessenheit. Erst 1988 durften einige seiner Werke erstmals wieder erklingen. Ballenstedts Kulturchef hofft immer noch (nach zwei frustrierenden Corona-Anläufen) auf ein größeres Agthe-Festival. Gegenwärtig erinnert eine Vitrine im kleinen Schlossmuseum an den Komponisten.

Der Graf von Ballenstedt

Nicht zu vergleichen mit der Grablegung eines andern Wahl-Ballenstedters: Albrecht der Bär. Der könnte 1170 seine letzte Ruhestätte in der einstigen Klosterkirche gefunden haben. Sicher ist das aber nicht, weiß der Kulturchef Mühldorfer-Vogt.

Trotzdem haben die Nationalsozialisten ihn für sich beansprucht. Der Architekt Paul Schultze-Naumburg inszenierte die Grabkammer entsprechend. Dieser gilt er als führender Wegbereiter und Mitwirkender der nationalsozialistischen Kulturideologie. Am Grab von Albrecht sprachen Generationen von "Hitlerjungen" aus der nahegelegenen Napola-Schule ihren "heiligen Eid auf den Führer".       

Der DDR war dieser Fürst deshalb nicht ganz geheuer. Das belegt der Kulturamtsleiter etwa mit einem Foto, das diese Grabkammer als Munitionsdepot für die Kampfgruppen zeigt. Keine zehn Meter Luftlinie entfernt steht eine Statue von Albrecht der Bär. Regina Schade ist begeistert von dem Denkmal, das nicht martialisch und wilhelminisch daherkommt. Der Ahnherr des Anhaltinischen Fürstengeschlechts wurde nicht auf den Sockel gestellt. Dieser steht zu seiner Linken leer.

Dafür schaut der Graf – seit zwei Jahren schon – in das Harzer Land. Als Ritter zwar und in Bronze, aber ganz entspannt, ohne Kriegerblick. Stattdessen gemeinsam mit einem kleinen Bären, der sich kuschelnd an die Wade seines Herrn drückt. 

Noch mehr musikalische Orte

Dieses Thema im Programm:MDR KLASSIK | MDR KLASSIK am Morgen | 25. Juli 2022 | 08:40 Uhr

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