Stille Tage Sind Tanzverbote noch zeitgemäß?

21. November 2023, 20:53 Uhr

Am Buß- und Bettag haben die allermeisten Menschen in Sachsen frei. Hintergrund des evangelischen Gedenktags: Wir sollen in uns gehen und zur Ruhe kommen. Damit das auch ohne Störung passiert, gibt es eine sogenannte Schutzvorschrift. Dieses Gesetz sieht ein Tanzverbot vor! Es tritt immer an "Stillen Feiertagen" in Kraft. Das Problem ist nur, dass längst nicht alle Menschen Mitglied in der Kirche sind. Außerdem trifft das Tanzverbot vor allem Jüngere. Viele Menschen fühlen sich deshalb bevormundet. Ist das Tanzverbot noch zeitgemäß?

Am Buß- und Bettag bleibt es in den Leipziger Clubs muksmäuschen still – und das sogar per Gesetz. Denn der Gedenktag gilt in Sachsen als sogenannter stiller Feiertag, für den es im Freistaat besondere Schutzvorschriften gibt. Geregelt sind die im sächsischen Feiertagsgesetz.

Tanzverbot - die gesetzliche Regelung Am Karfreitag, am Buß- und Bettag und an den Gedenk- und Trauertagen (…) sind verboten:

1. öffentliche Tanzveranstaltungen und andere öffentliche Veranstaltungen, die dem ernsten Charakter dieses Tages zuwiderlaufen. Am Karfreitag während des ganzen Tages, an den übrigen Tagen von 3 bis 24 Uhr.

2. öffentliche Sportveranstaltungen am Karfreitag während des ganzen Tages, an den übrigen Tagen bis 11 Uhr. Quelle: Sächsisches Feiertagsgesetz

Diese Regelung hat es in sich für die Veranstaltungsbranche – und natürlich ihre Gäste, erklärt Anna-Lena Grahl vom Werk 2 in Leipzig: "Wir müssen darauf achten, dass die Veranstaltung, die am Tag vor den Stillen Feiertagen sind, um 3 Uhr spätestens vorbei sind. Das heißt für klassische Party-Veranstaltung wie Discos: Wir müssen das Licht anmachen und die Leute raus bitten." Und natürlich gebe es dann am Feiertag selbst auch keine Veranstaltungen.

In Sachsen sind lediglich vier Tage im Jahr direkt von der Regelung betroffen – in anderen Bundesländern können es auch mehr Tage sein. Doch sie können trotzdem enorme Auswirkungen für Veranstalter haben. Grahl vom Werk 2 sagt: "Wir haben als Haus den großen Vorteil, dass wir ein relativ breites Spektrum an Veranstaltungen anbieten. Wir haben in der Programmplanung den großen Vorteil, dass wir uns aussuchen können, welche Veranstaltung wir an den Vortag setzen." Das sei ein Vorteil im Vergleich zu anderen Clubs.

Eine Frau
Laut Anna-Lena Grahl vom Werk 2 in Leipzig können die Stillen Feiertage eine Herausforderung für die Planung sein. Die Veranstaltungsstätte arrangiere sich mit den Gegebenheit. Bildrechte: MDR/Katharina Pritzkow

Tanzverbot: vor allem junge Menschen betroffen

Das Tanzverbot trifft in erster Linie junge Menschen, die gerne bis spät in die Nacht feiern gehen. Doch es gibt auch noch andere kritische Stimmen. Denn die Stillen Tage entfallen fast immer auf christliche Gedenk- oder Trauertage. Und das in einer Zeit, in der nur noch etwa jeder fünfte Mensch in Sachsen Mitglied in der Kirche ist, wie die Bundeszentrale für politische Bildung ermittelt hat.

Meinungen gehen auseinander

Ist ein Tanzverbot noch zeitgemäß? Ob ein gesetzlich geregeltes Tanzverbot noch in diese Zeit passt – darüber gehen die Meinungen weit auseinander. Bei einer Umfrage in der Leipziger Innenstadt fragt eine junge Frau: "Warum sollte man nicht-christlichen Menschen vorschreiben, wann sie tanzen dürfen und wann nicht?" Und auch ein junger Mann stimmt ein: "Wenn keine Menschen gestört werden in ihrer Andacht oder diese Tage zu genießen, finde ich, das sollte nicht gesetzlich verboten werden."

Anders sieht das eine ältere Frau, die gerade ihr Fahrrad durch die Fußgängerzone schiebt. "Ich bin dafür, dass es bleibt wie es ist", sagt sie. Ein Mann in Anzug stimmt zu: "Ich finde das noch angemessen, weil es allen gut tut, wenn es einfach mal auch im Laufe des Jahres ein paar Tage gibt, an denen der Alltag durchbrochen wird und alle Menschen ein bisschen zu sich selbst kommen."

Plakate an einer Wand
"Tanzen, als gäbe es morgen ein Tanzverbot" - die Veranstalter nehmen das Feiertagsgesetz mit Humor. Bildrechte: MDR/Katharina Pritzkow

"Stille Feiertage" in Sachsen Karfreitag*
Volkstrauertag
Buß- und Bettag*
Totensonntag*

*christliche Gedenk- oder Trauertage

Pfarrer spricht sich gegen Verbote aus

Doch was sagt die Kirche dazu? Beim Gespräch mit dem Leipziger Pfarrer Martin Staemmler-Michael in der Heilandskirche wird schnell klar: Er möchte unbedingt an den stillen Feiertagen festhalten, allerdings ohne Verbote. "Alles was ich mit christlichem Glauben verbinde und ich verbiete etwas - da kann ich nur auf Unverständnis stoßen. Je enger ich etwas führe, umso unverständlicher reagieren die Menschen darauf, weil sie nicht die Möglichkeit haben, frei für sich zu entscheiden."

Es brauche aber Angebote wie die Feiertage, stellt Staemmler-Michael auch klar, um zur Ruhe zu kommen - wenn man denn möchte. "Die Frage ist: Wo treffe sich Menschen, wenn sie in Not sind?" Der Buß- und Bettag könne aus seiner Sicht solch ein Ort beziehungsweise Zeitpunkt sein für die, die das brauchen. Allerdings gelte für ihn auch: "Wenn Leute sagen 'Ich brauche das Tanzen, ich habe gerade keine Not. Warum kann ich dann nicht tanzen gehen?', dann soll er tanzen gehen."

Ein Mann
Stille Feiertage, ja! Tanzverbote, nein! Dafür spricht sich Pfarrer Martin Staemmler-Michael aus Leipzig-Plagwitz aus. Bildrechte: MDR/Katharina Pritzkow

Urteil des Bundesverfassungsgerichts

Anders sieht das das Bundesverfassungsgericht. 2016 beschäftigte es sich mit dem gesetzlich verankerten Tanzverbot und fällte eine grundlegende Entscheidung. In dieser heißt es: "Dem Gesetzgeber ist es nicht verwehrt, Feiertage zu schützen, die nicht von allen als solche begangen werden." Die Landesregierung darf also selbst entscheiden und besondere Schutzvorschriften festlegen, auch wenn bei weitem nicht alle den Gedenktag aus religiösen Gründen nutzen möchten.

Sachsen will am Tanzverbot festhalten

Das zuständige Ministerium in Sachsen sieht deshalb auch kein Problem beim Tanzverbot. Auf Nachfrage von MDR SACHSEN teilt das Innenministerium mit: "Derzeit gibt es keine konkreten Pläne, die 'Stillen Feiertage' in Sachsen zu reduzieren oder zu reformieren."

Dieses Thema im Programm: MDR SACHSEN | MDR SACHSENSPIEGEL | 21. November 2023 | 19:00 Uhr

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