Gesundheitswesen Künstliche Intelligenz in der Medizin: "Geht nicht darum, Ärzte zu ersetzen"

03. Dezember 2022, 12:00 Uhr

Sie lernen mithilfe riesiger Datensätze und entdecken innerhalb kürzester Zeit Tumore und andere Krankheiten: Künstliche Intelligenzen werden für die Medizin immer wichtiger und sollen das Fachpersonal entlasten. Auch in Sachsen beschäftigen sich sowohl Uni-Institutionen als auch private Unternehmen mit der Technologie. Doch mit der Digitalisierung der Medizin kommen auch neue Herausforderungen.

Im Disney-Animationsfilm "Baymax" steht ein futurischer Gesundheitsroboter im Vordergrund, der völlig eigenständig physische als auch psychische Beschwerden behandeln kann.

Möglich macht das eine fortschrittliche Künstliche Intelligenz (KI). Ganz so leistungsfähig wie im Kinofilm sind heutige KIs noch nicht, aber sie werden immer besser und unterstützen das medizinische Fachpersonal in immer mehr Bereichen.

Das Uniklinikum Dresden forscht seit 2021 an einem KI-System, das die Beatmung von schwerkranken Patienten überwacht und Behandlungsempfehlungen gibt. "Letztendlich ist es nicht das Ziel, den Arzt oder die Ärztin zu ersetzen, sondern das Personal zu entlasten - gerade im Hinblick auf eine alternde Gesellschaft", sagt Dr. Stefanie Speidel.

Sie ist Professorin für "Translationale Chirurgische Onkologie" am Nationalen Centrum für Tumorerkrankungen (NCT) Dresden. Sie legt ihr Hauptaugenmerk auf maschinelle Lernverfahren und Künstliche Intelligenzen, die in der Chirurgie angewendet werden können. Ganz grob gesagt, gehe es darum, wie man Operationen davor, währenddessen und danach verbessern könne, erzählt sie.   

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Künstliche Intelligenzen in der Medizin können bereits viel

So lernen KIs anhand von Tausenden Beispielen, Tumore in CT-Bildern (Computertomographie) zu erkennen. Auch bei der Darmkrebs-Vorsorge können die Algorithmen mittlerweile zielsicher gutartige Tumore einordnen oder Videos künstlich erzeugen, die Mediziner als Trainingsdaten vor der OP nutzen können.

Eine aktuelle Umfrage unter 500 Medizinern des Ärzteverbandes Hartmannbund ergab, dass knapp ein Zehntel aller Befragten bei der Auswertung von Röntgen- und MRT-Bildern Künstliche Intelligenzen einsetzt. "Das Expertenwissen soll demokratisiert werden, um jedem Patienten die optimale Behandlung zu ermöglichen", sagt Dr. Speidel. "Die KI kann weniger erfahrene Ärztinnen und Ärzte unterstützen.“  

Auch die Menschen sehen die digitalen Helfer grundsätzlich positiv: Einer repräsentativen Befragung des Digitalverbandes Bitkom zufolge, finden 61 Prozent der Befragten, dass das ärztliche Fachpersonal mehr Zeit für Patienten hätten, wenn ihnen eine KI einfache Tätigkeiten abnehmen würde. Allerdings bevorzugen auch 93 Prozent, die Diagnose von einem Menschen genannt zu bekommen als von einer KI, unabhängig von deren Leistungsfähigkeit.

Digitalisierung bleibt eine Herausforderung

Die Vorteile einer fortschreitenden Digitalisierung sieht auch die Oberärztin Katrin Fritzsche vom Uniklinikum Dresden. Wenn die Systeme intensiv betreut und gepflegt werden, dann sei eine Arbeitsentlastung möglich.

Sie warnt allerdings auch davor, sich zu sehr darauf zu verlassen. "Schwestern und Krankenpfleger wissen vielleicht noch, wie der Patient heißt, aber welche Grunderkrankungen er hat, welche Tablette er nimmt, dann nicht mehr. Weil das steht ja im System. Früher haben sie das wahrscheinlich auswendig gewusst."

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So würde das Pflegepersonal heute zudem viel Zeit mit umständlich programmierter Software verschwenden, urteilt Fritzsche. "Ich stehe ewig rum, mache die Akte auf, versuche mich dort im Programm zurechtzufinden, was von einem Informatiker entwickelt wurde, der unsere Arbeitsweise nicht kennt. Da ist ganz, ganz viel Nachholbedarf nötig", sagt auch Rettungssanitäter und Medizinstudent Marcel Damme aus Meißen.

Dass manche Programme recht altertümlich anmuten, liegt laut Damme unter anderem an den Marktführern, die zu selten ihre Systeme grundlegend aktualisieren. Eine Software zum Management eines Krankenhauses oder einer Arztpraxis sei hochkomplex und müsse mit vielen anderen Stellen zusammenarbeiten, etwa mit Abrechnungen der Krankenkassen. Da sei es schwierig, neue Systeme zu integrieren. "Es gibt immer mal wieder, das eine oder andere Start-ups, das was tut, aber die werden den großen Marktführer nicht den Rang ablaufen", sagt Damme.

Millionen-Förderung für sächsische KI-Forschung

Trotz der Abhängigkeit von großen Anbietern gibt es Bewegung auf dem Markt. Das Unternehmen Endo Health aus Chemnitz hat die sogenannte Endo-App entwickelt, die Frauen mit Endometriose berät und begleitet.

Neben Lernmodulen zur Schmerztherapie bietet die App auch einen Endometriose-Test an, die von einer KI geleitet wird. Das Gesamtpaket überzeugte auch eine Fach-Jury. Die Chemnitzer gewannen vor Kurzem den Health-i Award 2022 in der Kategorie Start-ups.

Die Altavo GmbH ist wiederum eine Ausgründung zweier Forschungsgruppen der TU Dresden. Das fünfköpfige Team arbeitet an einer Technologie, die mithilfe von KI-Algorithmen und Radarsensorik natürlich klingende Stimmen erzeugen soll. Dadurch sollen Menschen, die ihr Stimme beispielsweise durch Kehlkopfkrebs verloren haben, wieder besser am Leben teilnehmen können.

Sachsen hat die Bedeutung von Künstlichen Intelligenzen auch auf strategischer Ebene erkannt. 2021 hatte das Kabinett die "KI-Strategie für den Freistaat Sachsen" beschlossen. Der Ausbau der KI-Förderung ist dabei ein Schwerpunkt. Im Juli 2022 erhielt ein KI-Zentrum der TU Dresden und der Uni Leipzig die Zusage einer dauerhaften Förderung von jährlich 100 Millionen Euro, die vom Bund und Land Sachsen getragen wird.

Handy-App FirstAED will Ersthelfer bei Herz-Kreislaufstillstand alarmieren

Oberärztin Fritzsche und Medizinstudent Damme haben ebenfalls ihre eigene Idee, wie sie mit einer technischen Anwendung mehr Menschenleben retten können.

Seit 2020 versuchen sie mit zwei weiteren Mitstreitern die Handy-App "FirstAED" auf den Markt zu bringen. Damit werden registrierte Ersthelfer alarmiert, wenn in der Nähe ein Notruf über einen Herz-Kreislaufstillstand eingeht. Ein Krankenwagen braucht zu lange, bis er beim Patienten ist, erzählt Fritzsche. "Das Ziel ist es, unseren Nachbarn zu retten, der umfällt. Ich will das nicht erst erfahren, wenn der Rettungsdienst draußen steht. Ich will alarmiert werden, wenn es passiert."

In anderen Teilen Deutschlands gibt es bereits ähnliche Apps. Auch in Ostsachsen geht so eine Anwendung bald an den Start. Für die Region Dresden, Sächsische Schweiz und Osterzgebirge fehlt aber noch entsprechende Software.

Rund 70.000 Euro braucht die Truppe, um die Lizenz für die Software zu kaufen und an das Leitstellensystem anzubinden. Ihre Nachfragen bei der Politik nach Fördermitteln blieben bislang erfolglos. "Letztlich finden das immer alle gut. Aber eine Finanzierungszusage haben wir nicht bekommen", sagt Damme. Weil derzeit Fördergelder fehlen, haben die Mediziner im November eine Crowdfunding-Kampagne gestartet. Noch bis Februar 2023 läuft das Geldsammeln. 

MDR (mad)

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