Talisa Betrugsverdacht bei Thüringer Arbeitslosenverein: Projekte im Millionenwert werden geprüft

27. April 2022, 20:18 Uhr

Die Thüringer Arbeitsloseninitiative Talisa sieht sich schweren Vorwürfen ausgesetzt. Aktuell prüft das Landesverwaltungsamt, ob geförderte Projekte im Wert von einer Million Euro nur auf dem Papier existiert haben. Zudem werfen Ex-Mitarbeiter dem Verein unlautere Methoden bei Gehaltszahlungen vor. Der Verein weist das alles zurück.

Es ist kurz vor Weihnachten 2019. Da geht beim Landesverwaltungsamt ein Projektantrag des Vereins "Thüringer Arbeitslosen Initiative Soziale Arbeit", kurz Talisa, ein. In langen Ausführungen erklärt der Verein, was seine Zielstellung für das neue Projekt mit dem wohlklingenden Namen "B3 - Beraten, Betreuen, Begleiten" sein soll. Es gehe um die "erfolgreiche Integration (…) von Hilfesuchenden mit Migrationshintergrund, um sie letztendlich in die vorhandene gesellschaftliche Struktur in Sömmerda einzubinden."

In der Folge dieses Antrages genehmigt das Landesverwaltungsamt (LVA) das Projekt und es werden für 2020 insgesamt 42.429 Euro ausgezahlt. Das Geld stammt aus einem Topf des Migrationsministeriums für die Hilfen bei der Integration von Flüchtlingen in Thüringen. Insgesamt hat Talisa für die Flüchtlingsprojekte in Sömmerda seit 2017 bis heute mehr als 162.000 Euro erhalten.

Projektbüro in Zwei-Zimmer-Wohnung

Ein dreiviertel Jahr später tritt Peter Schneider (Name geändert) seinen Job bei Talisa in Sömmerda an. Er sollte sich, so sagt er es MDR THÜRINGEN, um die Hilfen für Flüchtlinge und Menschen mit Migrationshintergrund kümmern. Doch das sei gar nicht möglich gewesen, so Schneider. Denn das Projekt-Büro, eine zwei Zimmerwohnung in einem Neubaublock in Sömmerda, "hatte weder ein Telefon noch sonst irgendwelche Arbeitsmaterialien". Es hätten zwei altersschwache Computer dagestanden, von denen einer nicht lief. Ein Internetzugang habe auch nicht existiert.

Es gab kein Klingelschild und auch keinen Hinweis am Fenster.

Peter Schneider (Name geändert) Ex-Mitarbeiter bei Talisa

Ein Projekt zur Betreuung und Begleitung für Menschen mit Migrationshintergrund wie im Projektantrag beschrieben, habe es aus seiner Sicht nicht gegeben. "Es gab kein Klingelschild und auch keinen Hinweis am Fenster", so Schneider. Auch im Internet sei dazu nichts zu finden gewesen. Es sei niemand zu einer Beratung erschienen oder habe Kontakt gesucht.

Kommunale Behörden kennen Projekt nicht

Schneider steht auf einer langen Liste von Menschen und Behörden, die MDR THÜRINGEN in einer mehrmonatigen Recherche über die Aktivitäten des Vereins in der Region Sömmerda kontaktiert hat. Die Liste ist für Talisa brisant. Denn in dem oben genannten Förderantrag beschreibt der Verein ausführlich, wie gut man vernetzt sei und mit welchen Partnern man in diesem B3-Projekt zusammenarbeite.

Da werden beispielsweise das Landratsamt Sömmerda, die Stadt Sömmerda oder auch das Jobcenter in der Region genannt. Doch auf MDR THÜRINGEN-Nachfrage teilte das Landratsamt mit, Talisa sei nicht Akteur des Netzwerkes Integration. Was verwundert, da eine Zusammenarbeit zwischen kommunalen Behörden und Projekten zur Integration für Menschen mit Migrationshintergrund sinnvoll sein könnte.

Auch die Stadt Sömmerda erklärte, dass es zwar gemeinsame Veranstaltungen mit Talisa gegeben habe, es aber nicht bekannt sei, inwieweit der Verein tatsächlich Flüchtlinge und Migranten in seine Arbeit miteinbezogen habe. Vom Jobcenter heißt es, dass es keine Kooperationen bei Berufseinstiegen von Flüchtlingen gab, wie vom Verein im Projektantrag vom Dezember 2019 beschrieben. Auch weitere Ex-Mitarbeiter, die bei Talisa gearbeitet haben, können nicht bestätigen, dass dieses Projekt wirklich aktiv war. Auch auf den Internetseiten der Thüringer Beauftragen für Migration und Flüchtlinge ist das B3-Projekt nicht zu finden, was bemerkenswert ist, da dort alle in Thüringen aktiven Projekt verzeichnet sind.

Landesverwaltungsamt prüft alle Projekte

Gab es das B3-Projekt möglicherweise nur auf dem Papier? Dieser Frage geht inzwischen das Thüringer Landesverwaltungsamt nach, das thüringenweit die Verwendungsnachweise für solche Projekte prüft. Hintergrund der Talisa-Prüfung sind mehrere MDR-Anfragen und die Aussagen von verschiedenen Ex-Mitarbeitern. Kurz vor Ostern wurden aus der Landesgeschäftsstelle von Talisa die Akten zu allen Projekten in Thüringen geholt, die in den letzten Jahren durch das LVA gefördert wurden. Wert der gesamten Förderung: eine Million Euro.

Wir sind in eine Tiefenprüfung bei dem Verein eingestiegen.

Frank Roßner. Präsident des LVA

Die Prüfer wollen vor allem geklärt haben, ob es nur im Falle der Regionalstelle Sömmerda mögliche Ungereimtheiten geben haben könnte, oder auch thüringenweit.

Verein erklärt Projekt als aktiv

MDR THÜRINGEN hat Talisa in einer umfangreichen Anfrage mit den Vorwürfen konfrontiert. Doch die Fragen wurden durch den Verein nicht konkret beantwortet. Stattdessen wurden die Ziele und Projektangebote noch einmal erklärt. Auf die Frage, wie viele Kurse es, wie im Projektantrag beschrieben, zum Erlernen der deutschen Sprache gab, heißt es: "Mit entsprechenden Fachkräften wurde eine niederschwellige Hilfe zum Erlernen bzw. Vertiefen der deutschen Sprache gegeben, hierfür nutzen wir auch vielfältige Veranstaltungen, welche unter Einbeziehung von Migranten*Innen stattfanden."

Bei der Frage nach konkreten Angeboten für die Integration heißt es: "Im Ergebnis von ehrenamtlichen Tätigkeiten und Integrationsarbeit führten wir regelmäßig Modenschauen durch, die eine hohe Beteiligung von Interessierten nach sich zog und auch hier mit Hilfe von Migrant*Innen umgesetzt wurde." Ansonsten habe es zahlreiche Vereinsveranstaltungen gegeben, an den Migrantinnen und Migranten teilgenommen hätten. Wie viele, wann genau und in welchen, wie im Förderantrag beschriebenen Seminaren, lässt Talisa offen.

Zu der lokalen Vernetzung erklärte Talisa, dass man kein Akteur im Netzwerk Integration des Landkreises Sömmerda sei. Aber man sei gemeinsam im Netzwerk zur Organisation der interkulturellen Woche, im Netzwerk "Bunte Vielfalt – statt braune Einfalt" sowie im Jugendhilfenetzwerk des Landkreises vertreten.

Auf einem Schild steht Talisa
Konkret hat Talisa auf die Vorwürfe nicht reagiert. Bildrechte: MITTELDEUTSCHER RUNDFUNK

Vorwürfe bei Gehaltszahlungen

Talisa ist ein Nachfolgeverein der Thüringer Arbeitsloseninitiative (ALI), die vor 15 Jahren pleite gegangen war, und steht besonders der Partei Die Linke nahe. Der Verein bemüht sich, wie viele andere in Thüringen, um eine ständige Finanzierung. Dazu zählen auch die Fördermaßnahmen der Jobcenter. So haben in der Regionalstelle Sömmerda auch einige Frauen gearbeitet, die in Kölleda über einige Jahre in einem Seniorencafé und einer Tafel tätig waren. Bezahlt wurden sie vom Jobcenter. In den ersten drei Jahren wird das Gehalt komplett vom Jobcenter bezahlt. Danach muss der jeweilige Träger anteilig zehn Prozent übernehmen.

MDR THÜRINGEN liegen Unterlagen vor, die den Verdacht nahelegen, dass Talisa diesen Anteil von einigen dieser Frauen aus ihrem Gehalt zurückgefordert haben könnte. Mehrere der betroffenen Frauen haben das auch inzwischen bestätigt. So wurden sie offenbar im Frühjahr 2021 von der Regionalstellenleiterin, die im Landesvorstand der Linken politisch aktiv ist, aufgefordert, einen Teil ihres Gehalts an den Verein abzugeben.

Verein weist die Vorwürfe zurück

Bärbel Schmidt (Name geändert) war damals bei Talisa und erinnert sich an die Vorgänge: "Da gab es von der Hauptgeschäftsstelle in Erfurt eine Liste wo die Teilnehmer draufstanden. Dann wurde mit der Regionalstellenleitung durchgegangen, was erbringt der jeweilige Teilnehmer und es war Aufgabe der Regionalstellenleiterin, bei den Leuten diesen Anteil einzufordern." Das Ganze soll dann bar eingezahlt und als monatliche Spende verbucht worden sein, schildern es Schmidt und auch weitere betroffene Frauen, mit denen MDR THÜRINGEN sprechen konnte. Einige Frauen sprechen von einer Situation wie auf einem Basar. "Ich habe gesagt, ich kann das nicht bezahlen und dann haben wir uns auf eine Summe geeinigt", so eine Betroffene.

Es wurde zu keiner Zeit und von keinem Mitarbeiter*Innen der Talisa e.V. der Eigenanteil zum Gehalt selbst gezahlt.

Stellungnahme der Arbeitsloseninitiative Talisa e.V.

Der Verein weist diese Vorwürfe alle zurück. "Es wurde zu keiner Zeit und von keinem Mitarbeiter*Innen der Talisa e.V. der Eigenanteil zum Gehalt selbst gezahlt oder von einem Leiter abgefordert", heißt es. Allerdings hätten im August 2021 zwei Kolleginnen "einmalig und freiwillig" eine Spende in Höhe von jeweils 80 Euro gezahlt, wofür sie auch eine Spendenquittung erhalten hätten.

Jobcenter ist informiert

Die Vorwürfe haben nach MDR THÜRINGEN-Informationen auch das Jobcenter erreicht. Die betroffenen Frauen hatten sich an die dortigen Mitarbeiter gewandt. Offiziell will man sich aus sozial-datenrechtlichen Gründen nicht äußern. Aber die betroffenen Frauen sind bei Talisa nicht mehr tätig und arbeiten jetzt für einen anderen Träger.

Talisa soll gegenüber dem Jobcenter zu den Vorwürfen erklärt haben, dass es sich bei den fraglichen Zahlungen um Trinkgelder gehandelt haben soll, die in dem Seniorencafé eingegangen seien und von den Frauen dann abgegeben wurden. Ob diese Vorwürfe für den Verein Folgen von Seiten des Jobcenters haben, bleibt offen.

CDU fordert Aufklärung

Die CDU will nun mögliche Scheinprojekte bei Talisa e.V. im Landtag thematisieren. Es müsse so schnell wie möglich geklärt werden, ob dem Steuerzahler ein Schaden entstanden sei und wenn ja in welcher Höhe, teilte die CDU-Fraktion mit. Sollte sich dieser Verdacht erhärten, müssten die Mittel für Integrationsprojekte insgesamt überprüft werden.

MDR

Dieses Thema im Programm: MDR THÜRINGEN | THÜRINGENJOURNAL | 27. April 2022 | 19:00 Uhr

2 Kommentare

Quantix am 28.04.2022

Bestätigt sich der Verdacht, dass dieser Verein nur eine Scheinorganisation ist, dann ist das ein hochbrisanter Korruptionsskandal. Die mutmaßliche Veruntreuung von bis zu einer Million Euro Staatsgeld wäre abartig.

part am 27.04.2022

Und genau so läuft es bei vielen Vereinen, die keine Eigenmittel erwirtschaften können und auf öffentliche Fördermittel angewiesen sind. Es werden hochtrabende Dossier verfasst, mit all den geplanten Förderungen für Bedürftige und am Ende hapert es dann eben auch wieder wegen nicht ausreichend Fördermitteln an der Umsetzung, zudem wenn noch ein Eigenanteil an der Finanzierung gefordert wird. Generell sollte in allen Bereichen, wo Fördermittel fließen, der Zweck und das Endergebnis überprüft werden, nicht nur im Sozialen Bereich. Was hier zutage trat, das war wohl ein ganz kleiner Fisch und große Fische stinken mehr, wenn der Geruch nicht überdeckt wird... Bei Landesprogrammen, egal in welchem Bundesland, wird die Sache irgendwann als Verlust verbucht, wenn das Ziel nicht erreicht, der Sinn und Zweck verfehlt wurde.

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