Trocken, nass, Spätfrost Weinbau – und die Wahrheit des Klimawandels
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13. September 2024, 15:42 Uhr
Oben trocken oder nass – in vino veritas. Wein verleitet zur Dichtkunst, aber vielleicht hat es sich auch bald ausgedichtet? Für Winzerinnen und Winzer ist es ein Jahr der Extreme, in dem sie das zu spüren bekommen, was durch den Klimawandel künftig vielleicht normal sein wird. Ein Beispiel zeigt: Nicht wegducken hilft, sondern weitermachen und anpassen.
- Durch den Klimawandel ist der Weinbau in der nördlichsten Weinregion Deutschlands verlässlicher geworden
- … aber für Winzerinnen und Winzer kein Zuckerschlecken – dieses Jahr gilt ein Großteil der Lese als verloren
- Es gibt Anpassungsmöglichkeiten, insbesondere um Nässe und Dürre zu begegnen
Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) und die Deutsche Gesellschaft für Ernährung empfehlen, auf Alkohol komplett zu verzichten. Hilfe in Ihrer Nähe bei Suchtproblemen finden Sie hier.
Wer sich dem Weinbau widmen möchte, sollte nicht nur ein Önologie-Studium in Betracht ziehen. Sondern auch ein paar Trainingsrunden im Himalaya. "Ja, Sie schnaufen, das hat es in sich", lacht Matthias Hey. "Wir haben pro Jahr pro Rebstock 15 Arbeitsgänge, bei 10.000 Rebstöcken. Das sind einige Male Mount Everest-Besteigung." Immerhin schnauft Hey selbst, während er das sagt. Dabei hatte alles so lauschig angefangen: Immer in Richtung Steinmeister radeln, diesem patenten Weinberg kurz vor Naumburg, hinter der stattlichen Bananenstaude links halten, dann die staubige Kiesstraße hoch und schon sieht’s aus wie auf einem Gehöft in der Toskana. Die Deutschen reden ja immer gern von einer Art Toskana, wenn es mal etwas milder und hügeliger wird. So spricht die Sehnsucht auch hier aus dem Volksmund, im Saale-Unstrut-Gebiet, der nördlichsten Weinregion der Republik, in der es an diesen frühen Septembertagen um die dreißig Grad hat. Auf mehr kommt auch die echte Toskana grad nicht.
"Noch vor dreißig, vierzig Jahren war es so, dass es auch Jahrgänge gab, in denen die Trauben kaum oder nicht gut ausgereift sind. Das ist vorbei." Der Weinbau am südöstlichen Rand des Ballungsraums Leipzig-Halle ist damit kein Freizeitvergnügen mehr, sondern als Wirtschaftszweig angekommen. "Und je wärmer es wird, desto besser passen auch Rotweine oder rote Rebsorten hierhin. Und wenn man sich bestimmte Prognosen anschaut, dann kann es sogar sein, dass ab dem Jahr 2050, 2060 der Rotwein sogar dominiert." Und so der Tempranillo von der iberischen Halbinsel nach Mitteleuropa rückt, weil es in der Heimat zu unwirtlich geworden ist.
Man könnte jetzt denken, der junge Winzer Matthias Hey erzählt das alles voller Verzückung. "Ich bin ein sehr positiv denkender Mensch, deswegen kommt das vielleicht auch so rüber, dass ich mir da jetzt nicht noch mehr graue Haare wachsen lasse. Tatsächlich ist es so: Es macht mir riesengroße Sorgen." Denn auch wenn die höheren Temperaturen nicht nur schlecht für den Weinbau sind – so richtig wisse man ja gar nicht, wo das alles hingeht. Ein paar Schritte weiter – erstmal keine Stufen mehr – zeigt sich der Klimawandel dann von seiner hässlichen Seite. "Hier sieht man, was das Problem dieses Jahr ist", sagt Hey. Sehen tut man eigentlich kaum etwas. Die frühen warmen Temperaturen haben in diesem Jahr zu einem frühen Austrieb geführt, ein Frosteinbruch im April hat wiederum achtzig Prozent der Lese vernichtet.
An einem Rebstock baumeln derweil zwei Trauben des Blauen Zweigelt. Die eine fast ausgereift, die andere blass und klein. "Da haben es einige Trauben überlebt, beziehungsweise einige Trauben sind auch mit dem zweiten Austrieb nachgekommen. Die sind ungefähr vier bis sechs Wochen zurück und wir müssen jetzt schauen, wie wir diese Lese überhaupt takten." Und zwar am besten, bevor sie sich Vögel und Waschbären schnappen – das rare Gut ist in diesem Jahr nicht nur bei Weinkennern beliebt.
Es ist nicht nur das zeitige Frühjahr, das mit zu frühen Austrieben frohlockt. "Das Jahr 2024 geht wahrscheinlich als das feuchteste Jahr in vielen Weinbaugebieten ein", sagt Manfred Stoll, Önologe und Leiter des Instituts für allgemeinen und ökologischen Weinbau an der Hochschule Geisenheim. Das Städtchen im westlichen Rhein-Main-Gebiet ist in Deutschland sozusagen der place to be, wenn man sich dem Weinbau wissenschaftlich nähern möchte und auch der Studienort von Matthias Hey. Stoll weiß, was das Zuviel an Regen für Winzerinnen und Winzer bedeutet: "Blattnässe beflügelt viele Krankheiten. Gleichzeitig hatten wir aber auch viele heftige Regenfälle innerhalb kurzer Zeit, die dann gerade in Hanglagen das Risiko der Erosion mit sich bringen." Bis zu einem gewissen Grad können sich Winzerinnen und Winzer an solche Ergebnisse anpassen. Gerade beim Pflanzenschutz ist aber weniger mehr, um nicht parallel Öl ins Feuer der Biodiversitätskrise zu gießen. Denn die ist einer nachhaltig ertragreichen Landwirtschaft nun ebenfalls unzuträglich. Weiß auch Matthias Hey, der zum Beispiel nur jede zweite Rebzeile mäht, entlang der Trockenmauern kleine Brachflächen etabliert und durch Einsaat nachhilft, wenn die ursprüngliche Artenvielfalt abhandengekommen ist. Das nützt auch bei plötzlichem Starkregen.
Piwi-Weine: Mit neuen Sorten in eine angepasste Klimazukunft?
Eine verträgliche Lösung in Sachen Blattkrankheiten und seit einigen Jahren Lieblingskind der Medienschaffenden sind neue Rebsorten – kurz Piwis, also pilzwiderstandsfähige Rebsorten. "Das heißt, der Winzer kommt nicht komplett ohne Pflanzenschutz aus", sagt Manfred Stoll, "aber kann das vielleicht auf dreißig Prozent zurückfahren." Eine solche Sorte, die um die Jahrtausendwende größere Verbreitung fand, ist zum Beispiel Regent, ein tiefroter Wein (mit Aromen nach Kirschen!). Wie auch die neue Weißweinsorte Calardis blanc (feinwürziges Bukett!) kommt er ganz gut mit echtem und falschem Mehltau klar.
Ich glaube, wir wären gut beraten, uns in den einzelnen Regionen ein eigenes Profil zu erarbeiten.
Weil der Mensch ein Gewohnheitstier ist und es auch dann bleibt, wenn er Wein trinkt, landet allerdings vornehmlich die Flasche im Einkaufskörbchen, deren Aufschrift er kennt. Hier ist noch Aufklärungsarbeit notwendig, sagt Stoll. "Ich glaube, wir wären gut beraten, uns letztendlich auch in den einzelnen Regionen ein eigenes Profil zu erarbeiten." Also die Variante Bordeaux: Statt Rebsorten werden Verschnittweine eines Anbaugebiets angeboten, die für sich sprechen. Piwi-Weine könnten als Cuveé die Marke einer ganzen Anbauregion tragen – der Saale-Unstruter vielleicht, der Meißner, der Franke. Was zählt, ist der Geschmack.
Bei Matthias Hey stehen noch die klassischen Sorten am Hang: Riesling, Traminer, Burgunder, weiß und grau. Bei der kleinen Fläche neue Varianten unterzubekommen, ist gar nicht so einfach. Und als kleiner Betrieb kann man sich bei den Weinliebhaberinnen und -liebhabern eben auch nicht ganz so viele Experimente leisten. Dennoch: "Das ist dann eine Aufgabe auch der Winzer in Zukunft, diesen Rebsorten auch mehr Platz zu geben und wahrscheinlich, so meine Sicht, wird es ein Nebeneinander geben." Und das Ganze hört bei der Pilzresistenz nicht auf, sagt Önologe Manfred Stoll. Denn nach der Nässe kommt die Dürre: "Da gilt es letztendlich an die Züchtung zu appellieren, trocken-resistente Sorten zu finden, die sich gleichzeitig aber auch an unsere Bodenverhältnisse anpassen."
Die Jahre davor haben wir immer gedacht, die Natur wird das selber richten.
Derweil muss anderes Werkzeug her. Ein paar Schritte über den sommerlich knirschenden Muschelkalkboden und schon hockt Matthias Hey vor einer der neuesten Investitionen auf dem Gut: Eine Tröpfchenbewässerungsanlage. Sieht aus wie ein Schlauch, in den jemand mit dem Nagel Löcher reingehauen hat. Ist aber im Grunde komplexer. Und für den Winzer die derzeit wichtigste Klimaanpassungsmaßnahme: "Die Jahre davor haben wir immer gedacht, die Natur wird das selber richten. Die letzten Dürrejahre haben uns aber gezeigt, dass die Niederschlagssumme eben so gering ist, dass selbst die tief wurzelnden Rebstöcke in vielen Jahren zu wenig Wasser haben, um nennenswerte Erträge zu bringen." Mit 1,5 Liter pro Tropfloch in der Stunde kann die zähneknirschende, wartungsintensive Investition also einen guten Regen simulieren. Klimawandel ist Arbeit – und Geld.
Klimawandel: Der Weinbau hat es leichter als der Obstbau
Apropos: Seine Existenz sieht Hey nach diesem Jahr noch nicht bedroht. Das liegt teilweise an staatlichen Hilfen und daran, dass Winzerinnen und Winzer einen schlechten Jahrgang mit mengenmäßig guten Jahrgängen überbrücken können. Anders als Obstbäuerinnen und -bauern: Ein lagernder Apfel wird über die Jahre nicht zwangsläufig besser, so sagt man. "Also mit fünfzig Prozent mehr, fünfzig Prozent weniger Trauben, das kennt man letztendlich", sagt Hey. Die achtzig Prozent Verlust wie in diesem Jahr dürfen sich aber nicht so schnell wiederholen.
Hey wünscht sich, für schlechte Jahre vorsorgen zu können. "Dass man in guten Jahren steuerfreie Rücklagen bilden kann, um eben nicht immer wieder anklopfen zu müssen und um Hilfen betteln zu müssen." Steuerfreie Rücklagen – eine Klimaanpassungsmaßnahme des Fiskus, sozusagen.
Aber auch wenn Erderwärmung und Extremwetter seine Existenzgrundlage bedrohen: Wenn Matthias Hey über den Klimawandel spricht, scheint es ihm gar nicht so richtig um sich selbst zu gehen. Er hoffe, dass es viele pfiffige, intelligente, positive und zugewandte Menschen gibt, die sich dieser immensen gesellschaftlichen Herausforderung stellen und nicht wegducken. "Das ist, glaube ich, gerade bei uns in der Gesellschaft so ein Reflex, dass man versucht, sich vor vielen Dingen zu verstecken, innerlich und mental, aber dadurch lösen wir ja keine Probleme." Manchmal hilft es eben schon, ein paar steile Stufen den Weinberg rauf zu nehmen, um einen Blick aufs große Ganze zu erhaschen.
Dieses Thema im Programm: MDR KULTUR - Das Radio | 06. September 2024 | 14:45 Uhr