3. bis 5. April 1945 Joseph von Gadolla: Der Mann, der Gotha rettete

07. April 2020, 12:05 Uhr

Hitlers "Nero-Befehl", sämtliche Infrastruktur zu zerstören und Gefechtspunkte bis zum letzten Mann zu verteidigen, entgegneten einige Befehlshaber mit rationalem und idealistischem Handeln: Sie kapitulierten. Was manche mit ihrem Leben bezahlen mussten. Einer davon war der Stadtkommandant von Gotha, Joseph Ritter von Gadolla.

Die US army in Gotha, April 1945 45 min
Bildrechte: National Archiv Washington

Im Frühjahr 1945 wird es Woche für Woche offensichtlicher: Der Krieg ist nicht mehr zu gewinnen. Deutschland ist nicht mehr zu verteidigen. Daher erlässt Hitler den so genannten "Nero-Befehl": Jegliche Infrastruktur, die dem Feind bei seinem "weiteren Vordringen" nützen könnte, soll zerstört werden. Das einzige was man den West-Alliierten und der Roten Armee hinterlassen will, ist verbrannte Erde. Entgegenstehende Weisungen seien ungültig, befiehlt Hitler.

Jeder Offizier und Soldat in unserem Gau, jeder Mann und jede Frau, alt und jung, alle zusammen, werden die großen und schweren Pflichten bis zum letzten erfüllen (...) Drückeberger, Feiglinge, Deserteure und Verräter haben keinen Platz mehr in der schwerringenden Volksgemeinschaft.

Flugblatt vom 20. Februar 1945

Einer, der sich diesem Plan widersetzt und statt Schutt und Asche eine intakte Stadt ohne unnötige Tote hinterlassen will, ist Joseph Ritter von Gadolla. Der gebürtige Österreicher wird 1945 als Standortältester zum Kampfkommandanten von Gotha ernannt. In dieser Funktion wird er darauf vereidigt und verpflichtet, die Stadt bis zum Tode hin zu verteidigen.

Weder Mensch noch Maschine, um Gotha zu verteidigen

Am 3. April 1945 heulen um 10:10 Uhr die Sirenen für fünf Minuten im Dauerton - Feindalarm. Die amerikanische Armee steht bei Goldbach in Thüringen - bereit zum Angriff auf Gotha. Doch als die amerikanischen Streitkräfte der Stadt näher kommen, hat Gadolla weder Menschen noch Maschinen, um Gotha verteidigen zu können. Keine schweren Waffen, keine umfangreiche Flak, keine nennenswerte Luftwaffe - die Lage ist militärisch aussichtslos. Doch Gadolla hat geschworen, Gotha zu verteidigen. Also was tun?

Nach einer Beratung mit seinen Mitarbeitern, NSDAP- und SS-Führern lässt er die auswegslose Lage protokollieren. Dann veranlasst er alle nötigen Vorbereitungen zur Kapitulation. Weiße Fahnen werden gehisst, der Volkssturm nach Hause geschickt und die Zivilbevölkerung informiert. Von Gadolla stellt das Leben der Zivilbevölkerung höher als den phanatischen Kampfwillen des "Führers". Das Unrecht der Nationalsozialisten und die massenhaften Morde in den letzten Kriegstagen scheinen in Gotha beendet.

Und neben Menschenleben gibt es in der Residenzstadt Gotha noch mehr zu schützen: Kulturgüter. Denn im Keller des Ostturms von Schloss Friedenstein befindet sich die Kommandozentrale von Gadollas - was das Schloss zu einem militärisch wichtigen Ziel macht. Massive Zerstörungen der wertvollen Kulturstätte sind - da ist sich Gadolla sicher - im Kampfgeschehen unausweichlich.

Zwei Kapitulationsversuche scheitern

Um die Stadt und das Schloss zu retten, will der Kommandant in einem Auto mit weißer Fahne der herannahenden Front entgegenfahren. Bereits auf dem zentral gelegenen heutigen Bertha-von-Suttner-Platz wird er jedoch von SS-Männern gestoppt. Allerdings kann er glaubhaft machen, dass die Übergabe Gothas von NSDAP-Kreisleiter Wilhelm Busch und Generalleutnat Paul Hennicke beschlossen worden sei, weswegen man ihn zurück zur Kaserne ziehen lässt. Joseph von Gadolla wartet, bis es Abend wird, montiert eine weiße Fahne auf die Kühlerhaube, legt eine weiße Armbinde an und fährt der herannahenden amerikanischen Panzerdivision erneut entgegen - um die Kapitulation zu verkünden. Allein.

Weiße Fahnen in Gotha beim Einmarsch der US army, April 1945
Weiße Fahnen beim Einmarsch der US-Army in Gotha, April 1945 Bildrechte: National Archiv Washington

Doch diesmal wird er bei Boilstädt von der Wehrmacht abgefangen, im Gasthaus "Zum Wiesengrund" verhört und anschließend nach Weimar gebracht. Noch am 4. April kommt das Standgericht der Wehrmachtskommandantur zusammen und befragt von Gadolla. Dort sagt er aus:

Ich habe dieses alles als Idealist getan, um die Stadt nicht ganz dem Verfall und Tod zu übergeben, so hätten es wohl noch mehrere gemacht, die in meiner Haut gesteckt hätten, und ich kann nur sagen, dass ich als alter Soldat diese meine Handlungsweise voll verantworten kann.

Joseph von Gadolla am 4. April 1945 vorm Standgericht

Die bei der Beratung im Schloss Friedenstein mit anwesenden NSDAP- und Wehrmachtsgrößen, welche die Entscheidung der Kapitulation mitgetragen haben, werden nicht als entlastende Zeugen vernommen. So wird der Kampfkommandant von Gotha "zum Tode und zum Verlust der Wehrwürdigkeit" verurteilt.

"Damit Gotha leben kann, muss ich sterben!"

Am 5. April 1945 gegen 7 Uhr wird Joseph von Gadolla wegen der "Aufgabe des festen Platzes Gotha" auf dem Weimarer Ettersberg erschossen. "Damit Gotha leben kann, muss ich sterben!" sind seine letzten Worte im Kugelhagel des Exekutionskommandos. Dieser Ausruf findet sich auch auf der Gedenktafel zu seinen Ehren im Gothaer Schloss Friedenstein.

Seine Frau Alma und deren gemeinsame, hochschwangere Tochter Ingeborg, erfahren erst im Juni, was ihrem Ehemann und Vater widerfahren ist. Doch obwohl der Gothaer Oberbürgermeister Kurt Hoßfeld durchaus eine moralische Verpflichtung sieht, die Witwe und Tochter des Mannes, der sich für Gotha geopfert hatte, zu unterstützen, widerspricht die sowjetische Militärführung weiteren Ausgaben. Auch das Urteil gegen Joseph von Gadolla wird erst am 30. Dezember 1997 aufgehoben und er somit offiziell rehabilitiert.

Über dieses Thema berichtet der MDR auch im TV: MDR FERNSEHEN | "Der Retter von Gotha - Ritter von Gadolla" | 05. April 2020 | 22:30 Uhr