Kolumne: Das Altpapier am 7. August 2024 Von Sado-Populisten und Popularisierungs-Unternehmern
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07. August 2024, 14:38 Uhr
Die ARD muss unberechenbare Programme riskieren. Die britischen Medien sind nicht unschuldig an der Pogrom-Stimmung in ihrem Land. In der Debatte um das "Compact"-Verbot meldet sich mit Gerhart Baum nun ein Amtsvorgänger Nancys Faesers zu Wort. Heute kommentiert René Martens die Medienberichterstattung.
Inhalt des Artikels:
- Lasst euch überraschen!
- Die vergessenen Corona-Toten der vergangenen Woche
- "Die ständige Überreizung politischer Emotionalität"
- Das schwammige Wort "Protest"
- Der lange Weg zur korrekten Headline
- "Compact"-Verbot wird "gerichtlicher Überprüfung standhalten"
- Eine von vielen Antworten auf die Krise des Journalismus
- Altpapierkorb (kartellrechtliches Urteil gegen Google in den USA, russische "Doppelgänger"-Kampagne, ungarisches "Amt für den Schutz der Souveränität")
Das Altpapier "Das Altpapier" ist eine tagesaktuelle Kolumne. Die Autorinnen und Autoren kommentieren und bewerten aus ihrer Sicht die aktuellen medienjournalistischen Themen.
Lasst euch überraschen!
Martina Zöllner kam zuletzt im Februar im Altpapier vor, als sie bekannt gab, dass sie im Juni als Programmdirektorin des RBB aufhören wird. Ein Teil der Abschiedsrede, die sie vor einigen Wochen gehalten hat, spielt nun eine tragende Rolle in einem Beitrag des Filmemachers und (ehemaligen RBB-Rundfunkratsmitglieds) Andres Veiel für die SZ-Serie "Rettet die Öffentlich-Rechtlichen". Zöllners Abschiedsrede, so der Regisseur, könne in Teilen "wie eine Umsetzungsanleitung für die Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts gelesen werden". Zöllner sagte zum Beispiel:
"Vertraut dem Einfall. Folgt eurem Instinkt. Daten sind keine Ideologie … Eine gute Idee, egal ob für ein Informations- oder Unterhaltungsprogramm, ob für Audio oder Video, ob lang oder kurz, analog oder digital, hat etwas Unberechenbares. Einen nicht erklärbaren Zauber. Man muss der Idee folgen, die unsere Herzen schneller schlagen lässt, auch wenn man noch gar nicht sagen kann, warum."
Passenderweise lautet die Überschrift zu Veiels Beitrag dann auch: "Bitte viel riskanter".
In seinem Text beschreibt Veiel, wie über "die dokumentarischen Formate für das Gemeinschaftsprogramm der ARD" entschieden wird, er beschreibt eine leicht kafkaesk anmutende Instanzenpyramide, die, wie es scheint, geschaffen wurde, um die Macht tendenziell risikobereiter Fachredakteure zu beschneiden.
Die Kritik an den Entscheidungsfindungen referiert Veiel so:
"Die vielen Instanzen, so sagen Programmverantwortliche auf der Arbeitsebene, würden persönliches Engagement immer schwerer machen, formal und inhaltlich mutige, unkonventionelle Projekte würden von Instanz zu Instanz geschliffen, es würden vor allem die Vorhaben favorisiert, die den Vorgaben entsprechen, sogenannte Eroberungszielgruppen, etwa 'Bildungsferne' und 'Jüngere' – also 25- bis 49-Jährige – anzusprechen."
Ein Thema des Beitrags ist auch die Algorithmen-Fixiertheit der ARD-Oberen, auf die Kathrin Röggla vor zwei Wochen in einem anderen Beitrag für die SZ-Serie bereits zu sprechen kam (siehe Altpapier). Veiel schreibt:
"In den Sendern wird der Sinn so mancher Vorgaben, die eher zweifelhaften Algorithmen folgen als der eigenen journalistischen Überzeugung, offen hinterfragt. Müssen die Anstalten den 'Eroberungszielgruppen' nur das bieten, was ihren genau berechneten Bedarf abdeckt? Sollten sie nicht vielmehr Angebote machen, die erst eine Nachfrage entstehen lassen? Also Programme, deren Inhalt die Zielgruppen kennen sollten, aber noch nicht kennen und deshalb auch nicht erwarten?"
Die Haltung, die Veiel hier kritisiert, ist ja nicht nur bei ARD-Leuten verbreitet, die über dokumentarisches Fernsehen entscheiden, sondern auch in anderen Bereichen der Medien: Man begründet bestimmte Inhalte immer mal wieder, dass man damit dem Publikumsgeschmack gerecht werde, tut aber so, als wäre dieser Wille im luftleeren Raum entstanden, und blendet dabei aus, dass man selbst an der Formung dieses Publikumsgeschmacks maßgeblich beteiligt war.
Die vergessenen Corona-Toten der vergangenen Woche
Dass in den nächsten Tagen neue Corona-Impfstoffe verfügbar sein werden, nehmen viele Medien zum Anlass für Beiträge. tagesschau.de zum Beispiel. Der Text ist völlig unbefriedigend, aus ähnlichen Gründen wie ich sie am vergangenen Mittwoch anhand eines Beitrags in der "Tagesschau"-Hauptausgabe beschrieben habe.
Wo liegen die Schwächen des aktuellen Texts? Es gibt die üblichen Gassenhauer à la "Bei Gesunden verlaufen SARS-CoV-2-Infektionen überwiegend mild, jedoch steigt das Risiko mit dem Alter", was völlig in die Irre führt, weil auch milde Infektionen fatale mittel- und langfristige Folgen haben können, es also darauf ankommt, jede (weitere) Infektion zu vermeiden (siehe Altpapier). Von möglichen Langzeitfolgen ist sowieso keine Rede, zum Beispiel davon, "dass Post Covid zu einer dauerhaften Belastung der Wirtschafts- und Gesundheitssysteme führen wird", wie es in einer kürzlich veröffentlichten Metaanalyse der Technischen Universität Chemnitz heißt, die wir in der bereits erwähnten Kolumne vom vergangenen Mittwoch in aller Kürze empfohlen haben und zu der es seit Anfang dieser Woche auch eine Pressemitteilung der TU gibt.
Außerdem: Es fehlen konkrete Infektionszahlen, der Autor beschränkt sich auf die Information, dass sie seit Mai gestiegen, aber "stabil" seien. Wer auf diese Zahlen Wert legt: Hier sind sie. Man sucht auch, ebenso wie im Rest der Medienlandschaft, vergeblich nach der Zahl der aktuellen Corona-Todesfälle. 59 waren es in Deutschland in der vergangenen Woche laut Bundesgesundheitsministerium.
Man muss ja schon dankbar sein, wenn - wie hier bei der "Hessenschau" - am Ende eines Beitrags (nicht anlässlich der neuen Impfstoffe gedreht, sondern wegen der "Sommerwelle") ein Minimum öffentlich-rechtlichen Verantwortungsbewusstseins zum Ausdruck kommt:
"Wer sich auf dem Weg in den Urlaub schützen möchte, ist mit Handhygiene und Maske vor allem bei Menschenansammlungen nach wie vor gut beraten."
"Die ständige Überreizung politischer Emotionalität"
Inwiefern "Journalisten in der Aufmerksamkeitsfalle sitzen", erläutert "54 Books"-Redakteur Johannes Franzen in einer Kolumne für "Übermedien":
"Vor ein paar Wochen habe ich auf X den Post eines Journalisten wütend kommentiert. Das ganze publizistische Profil dieses Journalisten beruht darauf, rechtskonservative Provokationen abzusetzen und sich dann über die Empörung linksliberaler Mediennutzer:innen aufzuregen – aber auch daran zu ergötzen. Im Englischen gibt es dafür den Ausdruck Owning the libs (sinngemäß: 'Linksliberale aufbringen/wütend machen'). Es ist eine einträgliche Strategie, auf der in den letzten Jahren zahlreiche journalistische Karrieren aufgebaut wurden. Während die ersten Likes und empörten Kommentare auf meinen Post eintrafen, regte sich bei mir ein bekanntes nagendes Gefühl. Hatte ich mich als Multiplikator, ja eigentlich als Komplize eines aufmerksamkeitsökonomischen Kalküls einspannen lassen?"
Es geht in dem Text um die "Fragen, die den Alltag der medienethischen Reflexion ständig begleiten":
"Wer bekommt Aufmerksamkeit? Wem sollte man Aufmerksamkeit geben? (…) Ende Juni gab es wieder eine erbitterte Diskussion darüber, ob und wie man über die politischen Akteure der neuen Rechten berichten sollte. Kritisiert wurde ein Porträt über den Publizisten Benedikt Kaiser in der 'Zeit'. Der Text, lautete der Vorwurf, habe Kaiser eine Sichtbarkeit und Glaubwürdigkeit verliehen, die dazu beitragen würde, sein politisches Profil zu schärfen. Die 'Zeit'-Autorin wehrte sich dagegen, berief sich auf die Notwendigkeit der Analyse und wurde unter Verweis auf die Bedeutung kritischer Berichterstattung verteidigt."
Unter anderem, weil die Debatte um den Text über Kaiser im Altpapier bisher nicht vorkam, hier ein kurzer Exkurs: Die "Zeit" verkaufte Kaiser im Vorspann des erwähnten Textes als "Vordenker der Rechten". Aus dieser Kategorisierung bezog der Artikel einen Teil seiner Legitimation. In einem Interview mit dem ND hat Felix Schilk, Autor des demnächst erscheinenden Buchs "Die Erzählgemeinschaft der Neuen Rechten. Zur politischen Soziologie konservativer Krisennarrative", vor rund einem Monat allerdings deutlich gemacht, dass Kaiser alles andere als ein Vordenker ist:
"Benedikt Kaiser kommt in jedem seiner Bücher zu dem Fazit, dass die Gegenwart dekadent sei. Im Grunde sind dann alle diese Bücher gleich aufgebaut. Seit der Französischen Revolution finden sich immer wieder die gleichen Verfallsdiagnosen mit den gleichen Beschreibungen, den gleichen Semantiken und den gleichen Lösungsangeboten (…) Die Krisendiagnose steht im Grunde schon fest (…) Dann schaut man in die Gesellschaft, sucht sich sehr selektiv Phänomene heraus, die diese Beschreibung stützen, und packt wieder einmal das Label Dekadenz darauf. Fertig ist ein neues Buch."
Auch in dem ND-Interview ging es zumindest indirekt um aufmerksamkeitsökonomische Aspekte. Auf die Frage "Und wie entzaubert man die Rechte?" sagt der Soziologe Schilk:
"Jedenfalls nicht mit einem großen Zeitungsporträt. Allein, dass dort die Person so sehr ins Zentrum gerückt wurde, unterstützt eine heroische Selbstinszenierung. Dagegen hilft nur der Hinweis, wie redundant und dürftig dieses Denken eigentlich ist. So erklärt sich dann nämlich auch, warum jemand wie Kaiser, wie es in diesem 'Zeit'-Artikel bewundernd heißt, schon neun Bücher geschrieben hat. Diese Texte sind eben alle mehr oder weniger gleich aufgebaut. Kaiser ist kein Vordenker, der selbst theoretische Innovationen einbringt, sondern eher ein besonders umtriebiger Verkäufer eines alten rechten Kanons."
Doch zurück zu Franzens "Übermedien"-Text. Er schreibt darin auch, dass traditionelle Medien "Polarisierungsunternehmer" seien:
"Die trostlose Flut an Artikeln etwa, die gegen geschlechtergerechte Sprache polemisieren, erklärt sich aus dem nervösen Interesse, das sie offenbar nach wie vor zuverlässig generieren. Der Erfolg eines Debattenartikels wird an der reinen Resonanz gemessen, die er zu erzeugen vermag. Wenn er gelobt wird, dann ist das eine Bestätigung dafür, wie gut die Argumente sind; wenn er wütend kritisiert wird, dann bestätigt das, dass er 'einen Nerv getroffen' oder 'eine wichtige Debatte angestoßen’ hat. Aus dieser Perspektive kann man sofort nachvollziehen, warum es attraktiv sein könnte, so viele Texte dieser Art wie möglich zu veröffentlichen. Man kann eigentlich nicht verlieren. Unbeachtet bleiben dabei die zerstörerischen Folgen für den Diskurs: das Einschleifen der politischen Ressentiments, die in der Debatte um das 'Gendern' eben immer noch mitgeschleppt werden, aber auch die ständige Überreizung politischer Emotionalität."
Optimistisch klingt Franzens Fazit nicht:
"Jeder Bericht, jedes Porträt, jede Reportage, aber auch all die wütenden Posts, die Screenshots und Kommentare blähen die aufmerksamkeitsökonomischen Portfolios der Polarisierungsunternehmer auf. Für dieses Problem gibt es keine einfache (vielleicht keine) Lösung. Einfach wegschauen, einfach links liegen lassen – das geht eben auch nicht."
Das schwammige Wort "Protest"
Im Wettbewerb um das Wort des Tages konkurriert Franzens "Popularisierungs-Unternehmer" mit "Sado-Populismus", einer Wortschöpfung des "Guardian"-Kolumnisten George Monbiot. Er analysiert in seinem Text die Hintergründe des rechtsextremistischen Straßenterrors der vergangenen Tage. Die "Krawalle", meint Monbiot, seien "das Ergebnis von 14 Jahren Tory-Rassenhetze":
"Asylbewerber und andere Einwanderer waren die perfekte Folie. Sie konnten nicht nur für Krisen verantwortlich gemacht werden, die ausschließlich durch die Politik der Regierung verursacht wurden - das Versagen der Wohnungsversorgung, ein überforderter NHS, bröckelnde Schulen und all die anderen Erosionen des öffentlichen Raums -, sondern sie konnten auch performativ verprügelt werden. Wenn man die schwächsten und verletzlichsten Menschen auf der Welt angreift - diejenigen, die gezwungen waren, aus ihrer Heimat zu fliehen -, dann wird sich das Leben der Menschen, die bereits hier leben, nicht verbessern. Aber wenn man sieht, wie andere auf spektakuläre Weise misshandelt werden, können sich manche Menschen trotzdem besser fühlen. Die Tories steigerten diesen Sado-Populismus jedes Mal, wenn sie mit einem neuen Skandal konfrontiert wurden."
Für unsere Kolumne besonders wichtig:
"Natürlich wurden sie dabei von den Medien reichlich unterstützt: nicht nur von der Mail und dem Telegraph, sondern auch - und das ist beschämend - von der BBC. Wir sollten nie vergessen, in welchem Ausmaß die BBC dieses Land verändert hat, indem sie Nigel Farage und anderen Rechtsextremisten endlos Sendezeit einräumte, während sie progressive Stimmen ausblendete. Sie hat Farage zu einer wichtigen öffentlichen Figur gemacht."
Dass Politiker "die schwächsten und verletzlichsten Menschen" angreifen, damit sich "andere Menschen besser fühlen", ist im Übrigen ja auch hier zu Lande sehr verbreitet.
Franziska Hoppen aus dem ARD-Studio London geht in einem Kommentar für tagesschau.de erfreulicherweise in eine ähnliche Richtung wie Monbiot, lässt aber, kaum überraschend, Medienkritik außen vor:
"Die konservative Vorgängerregierung hat auch mit ihrer Sprache den Weg für derartige Ausbrüche bereitet (…) Immer wieder sind Schutzsuchende in den letzten Jahren entmenschlicht worden. Kein Wunder, dass die Hemmschwelle bei manchen sinkt, Flüchtlingsunterkünfte anzuzünden."
Was in der hiesigen öffentlich-rechtlichen Berichterstattung kaum vorstellbar wäre: eine schonungslose Einschätzung zu den Lücken und anderen Mängel der Riot-Berichterstattung wie die von Robert Rotifer, die bei der ORF-Welle FM 4 erschienen ist. Er weist darauf hin, dass auf den Bildern der Krawalle auch
"Frauen bzw. ältere Menschen, sondern ganze Familien zu sehen (sind). Eltern, die ihre Kinder mitnehmen und die vorwiegend jungmännliche Vorhut aus voller Brust anfeuern, wie sie etwa in Rotherham ein von 130 Asylsuchenden bewohntes Hotel stürmt und versucht, dieses samt den darin verschanzten Menschen in Brand zu stecken".
Was Rotifer in der Berichterstattung vermisst: Präzision.
"Dabei gäbe es sehr klare Worte dafür, was in England, Wales und Nordirland nun schon seit einer Woche abläuft. Premierminister Keir Starmer nennt es 'far-right thuggery' (rechtsextremes Rowdytum). Das kommt schon besser hin als das überall in den Medien verwendete, schwammige Wort "Protest". Aber es gibt noch ein anderes, sehr klares Wort dafür, wenn Menschen aufgrund ihrer Ethnie, Herkunft oder Hautfarbe Mitschuld an einer von jemand anderem bestimmter Hautfarbe begangenen Mordtat zugesprochen wird, und das heißt 'Rassismus'. Es gibt auch ein Wort dafür, wenn ein Mob Menschen aufgrund ihrer Ethnie, Religion, Herkunft oder Hautfarbe hetzt, gegen sie Gewalt ausübt und dabei Gebetshäuser angreift, und das heißt 'Pogrom'."
Der lange Weg zur korrekten Headline
Die Medienkritikerin Margaret Sullivan zitieren wir an dieser Stelle öfters, zuletzt in der vergangenen Woche. In ihrem aktuellen Newsletter befasst sie sich mit ihrem früheren Arbeitgeber, der "New York Times". Dort war sie einst Public Editor - eine Position die mit der des Leseranwalts oder Ombudsmanns in Deutschland entfernt vergleichbar ist. Das konkrete Thema ihres neuen Beitrags: irreführende Überschriften und deren Folgen für News-Konsumenten, die nur Überschriften lesen:
"Schlagzeilen in der New York Times - der wahrscheinlich einflussreichsten News-Organisation des Landes - (…) finden ihren Weg in das Ökosystem der Nachrichten und können die Gewässer verschmutzen. Deshalb ist es auch so verwirrend, wenn solche Schlagzeilen entweder falsch oder irreführend sind. Nehmen wir diese in der New York Times von letzter Woche: "'Trump stimmt einer Fox-News-Debatte mit Harris am 4. September zu.’"
Sullivan dazu:
"Wenn man diese Schlagzeile liest, könnte man meinen, dass die Zustimmung des ehemaligen Präsidenten alles war, was nötig war, um eine Fox-Debatte Wirklichkeit werden zu lassen. Dass Kamala Harris mit an Bord war. Und dass Donald Trump zu einem schönen, öffentlichkeitswirksamen Meinungsaustausch bereit ist. Aber das ist natürlich nicht der Fall. Tatsächlich war Trump von einer geplanten Debatte am 10. September auf ABC zurückgetreten. Er hat dann einen neuen Termin gefunden, den Veranstaltungsort einseitig auf Fox verlegt und beschlossen, dass die Debatte in einer Arena mit großem Publikum und nicht in einem Studio ohne Publikum stattfinden soll."
Auf die Kritik an der Schlagzeile reagierte die "Times" dann mit der Änderung in "Trump schlägt eine Fox-News-Debatte vor", und erst nachdem diese Version ebenfalls Kritik hervorgerufen hatte, entschied man sich für eine den Sachverhalt treffende Headline, nämlich "Trump zieht sich aus der ABC-Debatte zurück und schlägt eine Debatte auf Fox vor".
Sullivan nennt das "eine ziemlich komplizierte Reise in die Realität". Was könnten die Gründe sein? Die Autorin spricht von einer Mischung aus "unaufmerksamer Redakteursarbeit" und "a company-wide, defensive desire not to look opposed to Trump (…)." Sie schreibt darüber hinaus:
"I’m all for fairness and impartiality, but truth — including the way a story and its headline are framed — matters a whole lot, too. They don’t have to be opposed to each other."
Und:
"Fairness muss sich auch auf das lesende Publikum erstrecken, einschließlich derjenigen, die nach Schlagzeilen grasen."
Die irreführende Erstversion der hier thematisierten Headline ist typisch für die Trump-Berichterstattung der "New York Times" in den letzten Monaten. 2016 hat Trump bekanntlich gesagt: "Ich könnte mitten auf der Fifth Avenue stehen und jemanden erschießen, und ich würde keine Wähler verlieren." Würde Trump das tatsächlich tun, würde die "New York Times" vermutlich titeln: "Trump mit Todesfall auf der Fifth Avenue in Verbindung gebracht."
"Compact"-Verbot wird "gerichtlicher Überprüfung standhalten"
In die Debatte um das Compact-Verbot (siehe zuletzt Altpapier von Freitag) schaltet sich nun ein Prominenter ein, der auf das Handeln des Bundesinnenministeriums einen besonderen Blick hat: Ex-Innenminister Gerhart Baum (gemeinsam mit Max Schulze). In einem Gastkommentar für "Legal Tribune Online" schreiben sie:
"Das Compact-Vereinigungsverbot wird nach unserer Überzeugung einer (verfassungs-)gerichtlichen Überprüfung standhalten."
Ihr Text hat untere anderem medienkritische Aspekte. So schreiben sie:
"Als Reaktion auf das Compact-Vereinigungsverbot sind in der informierten Fachöffentlichkeit wiederholt Zweifel an seiner Vereinbarkeit mit der Pressefreiheit artikuliert worden, etwa in der FAZ und bei LTO. Immerhin sei der (alleinige) Unternehmensgegenstand der COMPACT-Magazin GmbH die Herausgabe der Zeitschrift Compact-Magazin, mithin einer von Art. 5 Abs. 1 GG geschützten Pressepublikation. Presserecht sei Landeskompetenz, die Landespressegesetze sähen keine "Totalverbote" von Presseorganen und Medienunternehmen vor. Diese Argumente greifen im Ergebnis nicht durch, wenngleich sich das BMI durch eine treffsichere Öffentlichkeitsarbeit seiner – mittlerweile im Netz kursierenden – Verbotsverfügung noch unangreifbarer hätte machen können. Dem BMI ist anzuraten, die das Vereinsverbot tragenden Passagen aus der Verbotsverfügung im (Eil-)Prozess vor dem Bundesverwaltungsgericht einzubringen und zu verdichten. In der Fachöffentlichkeit wurde zudem – zu recht – darauf hingewiesen, dass ein Verbot wie das gegen Compact auch in einer Kette von Vereinsverbot-Entscheidungen stehen dürfte, wie jedenfalls das Bundesverwaltungsgericht sie bisher gehalten hat."
Baum und Schulze kritisieren aber auch die Kommunikationstrategie des Bundesinnenministeriums, und zwar in folgender Passage:
"Die Bundesinnenministerin hat kein Presseorgan verboten, sondern eine GmbH, die nach dem Vereinsrecht als Vereinigung im Sinne des Art. 9 GG gilt. Nach dem Grundgesetz und seiner einfachrechtlichen Ausformung in § 3 Abs. 1 Satz 1 Variante 2 des Vereinsgesetzes sind Vereinigungen verboten, deren Zwecke oder deren Tätigkeit sich gegen die verfassungsmäßige Ordnung richten. Dafür reicht es nicht aus, Grundpfeiler der bestehenden verfassungsmäßigen Ordnung mit demokratischen Mitteln ablösen zu wollen. Das GG schützt selbst solche Freiheitsbetätigungen, die auf die friedliche Ablösung seiner Verfassungsordnung abzielen. Dass dieser Verbotsgrund bei Compact jedoch aufgrund vielfältiger kämpferisch-aggressiver Aktivitäten gegen die verfassungsmäßige Ordnung vorliegt, die zudem die Sphäre der geistigen Auseinandersetzung verlassen, macht die Verbotsbegründung – anders als die begleitende Öffentlichkeitsarbeit – deutlich. Es ist eine wachsende Aggressivität und die Tendenz zum Umsturz, die hier erkennbar werden und hohe Besorgnis auslösen. Für die Abwendung dieser Gefahren ist das Vereinigungsverbot da."
Eine von vielen Antworten auf die Krise des Journalismus
Am Montag wurde hier kurz der Correctiv-Redakteur Jean Peters wegen seiner Kritik an der "Übermedien"-Kritik an Correctiv erwähnt. Nun sagt er zu dem Thema auch bei nachtkritik.de etwas:
"Die Kritik ist oberflächlich und argumentiert journalistisch unsauber. Im Prinzip übernimmt sie rechtsextreme Perspektiven, was ihr eigener Autor Andrej Reisin nun in einem weiteren Text auch ideologisch treffend eingeordnet hat."
Um die von "Übermedien" ausgelöste Debatte geht es aber nur kurz, das eigentliche Thema des Beitrags - ein Gespräch, bei dem neben Peters auch der Theatermacher Calle Fuhr befragt wird - sind mehrere Kooperationen von Theatern und Journalisten, unter anderem die hier im Januar schon thematisierte Aufführung "Geheimplan gegen Deutschland". nachtkritik.de konstatiert:
"Hier bildet sich ein neuartiger Zusammenschluss von Journalismus und Theater heraus, der auch neue Theaterformen hervorbringt. Warum erlebt das Investigativtheater solch einen Aufschwung?"
Vielleicht, weil aus der gesunkenen Reichweite und anderen (Vermittlungs-)Problemen des Journalismus die Notwendigkeit oder Verantwortung erwächst, für journalistische Recherchen andere Zuschnitte zu finden. Oder, wie Peters sagt:
"Dem Journalismus ist mit dem Untergang der Zeitungen auch das Medium für seine Kernaufgabe verloren gegangen: Aufklärung. Theater ist eine von vielen Antworten: Hier kann man in Ruhe eine Geschichte erzählen und am Schluss wissen wir: Es gibt Zeugen für das gemeinsame Erleben."
Weiter geht es mit den Kooperationen auf jeden Fall. Peters blickt voraus:
"Eine dispositionelle Frage ist, wie man die Abläufe einer zwei-, dreimonatigen journalistischen Recherche mit den Abläufen im Theater zusammenbringt, die oft ein Jahr Planungsvorlauf und mindestens sechs Wochen Probenzeit vorsehen. Wir bauen dazu ein Netzwerk von Theatern und Kultureinrichtungen deutschlandweit auf. Mit der 'Geheimplan'-Recherche haben wir das jetzt einmal geschafft. Daraus wollen wir lernen und Debattenräume erweitern."
Altpapierkorb (kartellrechtliches Urteil gegen Google in den USA, russische "Doppelgänger"-Kampagne, ungarisches "Amt für den Schutz der Souveränität")
+++ Das am Montagabend von einem Bundesgericht in Washington gegen Google gefällte "Monopol-Urteil" (siehe Altpapier von Dienstag) kommentiert Torsten Kleinz für den "Spiegel": "Obwohl das Urteil Aufsehen erregt, sind die Folgen dieser Entscheidung gänzlich unklar. Vor allem jedoch dürfte das Urteil nichts an dem grundlegenden Problem der Marktmacht der Digitalkonzerne ändern." Kleinz weiter: "Inzwischen kann selbst eine Zerschlagung des Google-Mutterkonzerns Alphabet keinen Wettbewerb garantieren. Längst haben die einzelnen Bestandteile so enorme Macht, von der Suchmaschine Google, dem Browser Chrome, dem Mobil-Betriebssystem Android bis zur Video-Plattform YouTube und dem Werbegeschäft, dass sie schon für sich genommen zu groß sind, um einen Wettbewerb zuzulassen."
+++ Seitdem der "Spiegel" Ende Januar einen internen Bericht des Auswärtiges Amts zur russischen "Doppelgänger"-Kampagne aufgriff, im Rahmen derer die Online-Angebote etablierter Medien nachgebaut werden, um Desinformationen zu verbreiten, greifen Redaktionen dieses Thema immer wieder auf (siehe Altpapier). Heute tut es die FAZ in ihrem Medienseitenaufmacher. Sie zitiert dabei unter anderem Julia Smirnova vom Institute for Strategic Dialogue (ISD): "Doppelgänger ist eine der größten bis jetzt bekannten prorussischen Einflusskampagnen."
+++ Der "Guardian" berichtet aus Ungarn bzw. über Viktor Orbáns Kampf gegen unabhängigen Journalismus: "Die Treffen des Ministerpräsidenten in den letzten Wochen mit dem russischen Präsidenten Wladimir Putin, Chinas Staatschef Xi Jinping und dem US-Präsidentschaftskandidaten Donald Trump haben in diplomatischen Kreisen Kontroversen ausgelöst (…) Weitaus weniger Aufmerksamkeit im Ausland hat jedoch eine Reihe von Aktivitäten innerhalb Ungarns gefunden, die sich gegen unabhängigen Journalismus und Watchdog-Gruppen richten. Im Mittelpunkt des Vorgehens steht das umstrittene neue Amt zum Schutz der Souveränität des Landes." Die wiederum von einem Gesprächspartner als "so absurd that I would put it between Orwell and Kafka somewhere" eingeordnet wird. Ein halbwegs aktueller deutschsprachiger Text über das "Amt für den Schutz der Souveränität" findet sich bei Euronews.
Das Altpapier am Donnerstag schreibt Ralf Heimann.