Kolumne: Das Altpapier am 6. November 2024 Die lange US-Qual-Nacht
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06. November 2024, 10:55 Uhr
Schön hätte sie werden können, die US-Wahl-Nacht. Naja, war sie rückblickend nicht. Wie amerikanische und deutsche Sender darüber berichtet haben: heute im Altpapier. Außerdem gibt's eine Zusammenfassung, wie die Medien ihre eigene Rolle und die von Sozialen Medien im Vorfeld der Wahl bewertet haben. Und: In Österreich ist medial gerade besonders viel los. Heute kommentiert Ben Kutz die aktuelle Berichterstattung.
Inhalt des Artikels:
- Entzauberte Magie an der Magic Wall
- Eindrücke der US-Wahlnacht
- US-Wahl: Die Rolle der klassischen Medien
- "Viele US-Medien machen einen schrecklichen Job"
- US-Wahl: Die Rolle der sozialen Medien
- Viel los in Österreich
- Altpapierkorb (Bonhoeffer-Instrumentalisierung, Überleben der "SZ", Ronzheimer-Extrawurst, Reicht die ÖRR-Reform?, Wenige konservative Journalisten, KI-Radio-Experiment gescheitert)
Das Altpapier "Das Altpapier" ist eine tagesaktuelle Kolumne. Die Autorinnen und Autoren kommentieren und bewerten aus ihrer Sicht die aktuellen medienjournalistischen Themen.
Entzauberte Magie an der Magic Wall
Na, haben Sie gut geschlafen? Ich auch nicht. Also gar nicht, denn die Magic Wall von CNN kann ich mir in der Wahlnacht nicht entgehen lassen. Lange Zeit war es ein guter Abend. Es war 5:05 Uhr, als die Stimmung kippte. Ich saß mit etwa 20 Leuten in einem Raum, in dem über weite Teile Gemurmel herrschte. Doch als auf dem Bildschirm 145 zu 211 für Trump stand, war es muxmäuschenstill. Nicht nur ich habe in diesem Moment realisiert, dass es tatsächlich passieren könnte, dass Donald Trump tatsächlich gewinnen könnte. Schöne Scheiße.
Und nun ist es tatsächlich offiziell. Früher, als die meisten Beobachter für möglich gehalten hätten. Ich habe den Gedanken, dass wir ein Trump II tatsächlich erleben könnten, bisher schön weit von mir geschoben. Verzeihen Sie mir bitte, dass ich es noch nicht schaffe, innerhalb weniger Stunden damit aufzuhören. Erste Analysen, wann und wie die Welt genau untergehen wird, können Sie hier also erst morgen erwarten. Stattdessen lesen Sie Einordnungen der Wahlnacht von einem Zeitpunkt, als das Rennen noch offen war. Schön war das.
US-Wahl heißt für mich vor allem: die Magic Wall auf CNN. Die Magic Wall ist eigentlich nur eine interaktive US-Karte auf einem Touch-Bildschirm. Und trotzdem ist sie so viel mehr. Chef der magischen Wand ist CNN-Moderator John King, der Name ist hier Programm. Der Mann weiß wirklich alles und hat den Mega-Durchblick. Stundenlang analysiert er das Wahlverhalten in den unterschiedlichen US-Staaten. Und selbst, wenn gerade gar nichts Neues passiert, kann King geschickt das Gegenteil suggerieren. Vom Bundesstaat geht es in einzelne Countys, von Countys in einzelne Gemeinden. Es geht immer weiter und weiter. Falls Sie gar nicht wissen, wovon ich rede, schafft dieses "Spiegel"-Video von der letzten Wahl Abhilfe.
Mit meinem King-Fantum stehe ich übrigens auch in Deutschland nicht alleine da, wie auch ein focus.de-Artikel von gestern beweist. Unter der Schlagzeile "John King ist der US-Wahlerklärer, den auch Deutsche bewundern" fasst der "Focus" weitere Lobhudeleien zusammen. Etwas später in der Nacht haben auch die "Zeit", die "FAZ" und das "RND" nachgezogen.
Besonders gut für den Blutdruck ist die CNN-Berichterstattung – und die der anderen US-Outlets – nicht. Standesgemäß ist die US-Berichterstattung über weite Strecken mit Spannungsmusik unterlegt, ständig garniert mit "Breaking News"- und "Key-Race-Alert"-Einblendungen. This is America!
Eindrücke der US-Wahlnacht
Natürlich waren in der Nacht auch zahlreiche deutsche Sender live drauf. Das Erste, ZDF, Phoenix, RTL/ntv, Sat.1/ProSieben und Welt hatten alle spätestens ab 1 Uhr Sondersendungen im Programm. Hier ging es alles in allem ruhiger zu. Weniger Spannungsmusik, weniger emotionalisierte Gesprächspartner. Ich habe in die meisten deutschen Programme reingezappt, in manche aber nur wenige Minuten. Die folgenden Eindrücke sind also maximal subjektiv.
Im Ersten hat Sandra Maischberger in ihr Studio eingeladen. Zu Gast: Ralf Stegner und Norbert Röttgen, die irgendwelche klugen Analysen in den Bart genuschelt haben. Warum ausgerechnet die jetzt die geeignetsten Analysten für die US-Wahl sein sollen, habe ich in meinen ARD-Minuten allerdings nicht in Gänze durchdringen können. Für einen gewissen Unterhaltungsfaktor hat das Publikum gesorgt, deren Gesichter man immer wieder im Hintergrund erhaschen konnte. Es war ein Blick in leere Gesichter. Ich hoffe jedenfalls, dass das Publikum gut dafür bezahlt wurde, sich nachts um halb zwei ins Livesendungs-Studio zu hocken, immer fest den Willen umklammert, nicht vom Stuhl zu kippen.
Ein sehr ähnliches Bild gab's im ZDF: Ein Studio, ein paar Gäste, Live-Publikum, dem man beim konzentrierten Sich-Wachhalten zuschauen kann. Das Zweite hatte außerdem noch ein ganz besonderes Schmankerl im Köcher: eine Liveband! Nur Stefan Raab oder Harald Schmidt sind auch nach längerem Warten nicht aus der Kulisse gehüpft. Immerhin saßen in der Runde vier Frauen, ein schöner Kontrast zu vielen anderen Programmen. Die cringe Partyband konnte das aber nur partiell aufwiegen. Und fürs Wahlparty-Bingo war der Ausflug ins ZDF auch sehr hilfreich. Es hat keine zehn Sekunden gedauert, bis die Floskel "Tiefe Verunsicherung" gefallen ist.
Wohler gefühlt habe ich mich bei ProSieben/Sat.1. Insgesamt hat die Sendung dynamischer gewirkt. Ein junger Typ hat Harris- und Trump-Tweets analysiert, gefolgt von einer Schalte zum P7S1-Washington-Korrespondenten, die kurz Mitleid im Raum für den Kollegen aufflammen ließ. Seine Übernächtigung ist auf 7.000 Kilometer zu erkennen. Danach ein solides Erklärstück über das US-Wahlsystem – und weiter ging's zufrieden zu RTL, das mit einem sehr ähnlichen Setting aufwartete. Zwei Moderatorinnen, seriöses Studio, Liveschalten, Kartenanalysen, Reportagen aus den Staaten, fertig.
Die öffentlich-rechtliche Berichterstattung wirkte auf mich irgendwie gewollt. Wie ein Versuch, mit Live-Publikum, Band und C-Politikern dem ganzen Spektakel noch etwas aufzusetzen. Geklappt hat's für uns eher mäßig, da wirkten die Privaten mit weniger Budget und Tamtam, ja, aufgeräumter. Aber nochmal: Das sind alles extrem subjektive und vor allem selektive Eindrücke.
Also zurück zu CNN. Von der eventisierten und emotionshaschenden US-Berichterstattung waren wir irgendwann aber auch genervt, da konnte auch John King nichts mehr rausreißen. Die Darstellung der Karten war nicht intuitiv, nur kaum ausgezählte Staaten wurden klar einer Farbe zugeordnet. Zwar haben die Moderatoren immer wieder betont, dass die gerade vorgestellten Zahlen im Grunde nichts taugen. Aber man musste schon sehr konzentriert und genau zuhören, um die Zahlen richtig zu deuten. Wahrscheinlich ist das auch der Grund, warum ich von CNN diesmal nicht ganz so überzeugt war wie bei den letzten Wahlen. Mehr Nebengeräusche im Raum, weniger Durchblick.
Zum Überraschungs-Sieger in puncto Lieblingsprogramm wurde bei uns schließlich die britische BBC, die die perfekte Mischung getroffen hat. Intuitive Live-Grafiken (die bei den deutschen Sendern etwas rar gesät waren), gute Gesprächspartner, eine angemessene Atmosphäre. Von der Aufmachung war die Sendung näher an CNN, aber handwerklich besser umgesetzt. Merk ich mir fürs nächste Mal.
Und damit genug vom "Wahlnacht-Spezial" und weiter zum regulären Altpapier. Aber keine Sorge: Mit US-Themen sind wir noch längst nicht am Ende.
US-Wahl: Die Rolle der klassischen Medien
Gestern und auch die letzten Tage sind noch einmal zahlreiche Stücke erschienen, die sich mit der Rolle der Medien während der US-Wahl beschäftigt haben. Auch von Häusern, die hier sonst eher selten Erwähnung finden, weil sie eigentlich keinen medienjournalistischen Fokus haben, merkur.de oder die Deutsche Welle zum Beispiel.
Hart ins Gericht geht "Telepolis". "Wie deutsche Medien die USA wahrnehmen und widerspiegeln. Ein Streifzug durch die Unzulänglichkeit", teast das Fachportal auf einen langen Abwatsch-Artikel der hiesigen US-Berichterstattung.
Die Kernthese des Autors Rüdiger Suchsland: Die Deutsche Berichterstattung konzentriert sich hauptsächlich darauf, Trump als "das Monster" darzustellen. Doch auch damit generiert man Aufmerksamkeit. Dass die Medienstrategie von Donald Trump dadurch perfekt aufgeht, hat ja Kollege Klaus Raab an dieser Stelle schon am Montag dargelegt. Und die Geschichte hat ja nun gezeigt, dass die These nicht so falsch ist. Womit ich allerdings nicht mitgehe, ist eine andere These Suchslands:
"Fast jeder ältere weiße heterosexuelle Mann – und ganz bestimmt Joe Biden – hätte Donald Trump geschlagen."
Ich hingegen glaube, dass die Demokraten mit Biden als Kandidat (auch) nicht die geringste Chance gehabt hätten. Aber das ist ja das schöne bei steilen Thesen zu hypothetischen Ereignissen: Wer recht hat (ähm: gehabt hätte), wird man nie erfahren.
Auch merkur.de beschäftigt sich mit dem Phänomen, dass Trump von jeglicher Aufmerksamkeit profitiert, auch wenn er in vielen Artikeln eigentlich nicht gut wegkommt. Im Interview sagt Kommunikations-Professor Dennis Steffan, dass Trump negative Presse perfekt für sich nutzen könne:
"Trump kann seine populistische Erzählweise damit bedienen und sagen: Seht her, die abgehobenen Medieneliten, die attackieren mich. Dabei bin ich doch der wahre Vertreter des Volkes, derjenige, der eure Sorgen ernst nimmt und der euch am besten repräsentieren kann."
Diese These wird auch durch die neuesten Entwicklungen in der Causa "Washington Post" gestützt (AP & AP). Die Zeitung hatte mit der alten Tradition vieler US-amerikanischer Zeitungshäuser gebrochen, vorm Urnengang eine Wahlempfehlung auszusprechen. Über die weiteren Folgen davon berichtet nun die "taz":
"Auf einer Kundgebung in North Carolina behauptete [Trump] am Mittwoch, die Nichtunterstützung der Washington Post sei eigentlich ein Gütesiegel für seine Kampagne: 'Dass sie niemanden unterstützen, heißt eigentlich, dass die Demokraten nicht gut sind. Und sie denken, dass ich einen guten Job mache. Sie wollen es nur nicht sagen.'"
Der Verzicht auf die Wahlempfehlung, der wohl auf "Post"-Eigentümer und Milliardär Jeff Bezos zurückgeht, hat noch weitere Konsequenzen für das Blatt. Seit die Entscheidung vor einer Woche verkündet wurde, haben 250.000 Leserinnen und Leser ihr Abo gekündigt. "Damit hat sich jeder zehnte digitale Abonnent von der Washington Post verabschiedet", schreibt die "taz". Außerdem haben schon zwei wichtige Redakteure ihren Wechsel zur Konkurrenz bekanntgegeben.
Auch wenn sich für mich die Tradition, als Blatt offen Kandidatinnen oder Kandidaten zu unterstützen, etwas befremdlich anfühlt: Wenn sich Verleger-Milliardäre aus Angst vor sinkendem Profit ins journalistische Geschäft einmischen, hört der Spaß nunmal aus.
"Viele US-Medien machen einen schrecklichen Job"
Sehr hart ins Gericht mit US-Medien geht der amerikanische Journalist und Journalistik-Professor Jeff Jarvis. Er hat dem Magazin "Journalist" des DJV ein spannendes Interview gegeben:
"Während wir die US-Wahlen durchlaufen, frage ich mich, ob es Zeit ist, den Großteil der amerikanischen Traditionsmedien aufzugeben, und ob ich einen Teil der 50 Jahre, die ich im Journalismus tätig bin, verschwendet habe. Der US-Journalismus ist in einem desaströsen Zustand: Die New York Times ist kaputt, die Washington Post auch, CNN ist steuerlos [...]."
Die genannten Häuser würden einen "schrecklichen Job" machen, seien "von lauter weißen Männern geführt" und "hören ihren Communities nicht gut zu". Journalismus müsse stattdessen wieder mehr zur gesellschaftlichen Verständigung beitragen. Und dann packt Jarvis noch das ganz große Besteck aus:
"Meine größte Angst ist nichts Geringeres als der Faschismus, wenn Trump wieder Präsident werden sollte."
Hui, das kann ja witzig werden die nächsten vier Jahre.
US-Wahl: Die Rolle der sozialen Medien
Tagesschau.de fasst zusammen, dass Podcasts im diesjährigen US-Wahlkampf so wichtig waren wie noch nie. Über 44 Millionen Aufrufe hat das Interview, das Trump dem Podcaster Joe Rogan gab. Das Problem:
"Podcasts haben mit klassischem Journalismus oft wenig gemein. Es geht nicht um kontroverse Fragen oder Schlagzeilen, so wie man es in einem Nachrichtenprogramm wie CNN oder Fox News erwarten würde. Stattdessen fragen die Gastgeber das, was sie und ihre Kundschaft interessiert [...]."
Klassische Medien seien für den Wahlkampf aber immer noch wichtig, heißt es im Artikel weiter, beide Kandidaten gaben den klassischen Medien weiterhin mehr Interviews als Podcastern. Aber: "Um gezielt auch neue Wählergruppen zu erreichen, führt an Podcasts kein Weg vorbei."
Die "Rheinische Post" hat gestern den Einfluss von Social Media auf den US-Wahlkampf beleuchtet. Der Artikel beschäftigt sich hauptsächlich mit einer kürzlich veröffentlichten Studie zu dem Thema. Das ernüchternde Fazit lautet, dass die Wahl ähnlich wie 2016 ausgehen könnte (Warum müssen Wissenschaftler eigentlich so oft Recht haben?):
"Damals gewann Trump gegen Hillary Clinton, obwohl diese in den Umfragen vorne gelegen hatte. In der kürzlich veröffentlichten Analyse untersuchten die Wissenschaftler mehr als 200 Millionen Postings im Zusammenhang mit den US-Wahlkämpfen seit 2016. Demnach vervierfachte sich die Anzahl von "Fake News" von 2016 bis 2020; ein weiterer Anstieg werde vermutet. Im aktuellen Wahlkampf spielten etwa verbreitete Falschbehauptungen über Migranten und Hurrikan-Opfer Trump in die Karten."
Auch die Deutsche Welle beschäftigt sich mit der Rolle sozialer Netzwerke, genauer gesagt mit Elon Musks X. Titel: "Wie Musk versucht, die US-Wahl zu beeinflussen". Musk habe Ex-Twitter "in eine Hölle des Hasses und der Desinformation verwandelt - und eine Menge davon kommt von Musk selbst", zitiert DW einen Experten. Im weiteren Verlauf entlarven die Journalisten drei Lügen bzw. irreführende Behauptungen von Musk auf X.
Viel los in Österreich
Believe it or not: USA-Block Ende. Aber weil das so gut geklappt hat, beim heutigen Altpapier hauptsächlich ins Ausland zu schauen, machen wir damit doch einfach weiter. Denn bei der Recherche sind mir überdurchschnittlich viele Entwicklungen in Österreich in den Browser gerutscht.
Zum Beispiel, dass Ex-"Bild-"Chefredakteur Kai Diekmann in Zukunft die Tageszeitung "Kurier" strategisch berät. Das schreibt "Der Standard". Innerhalb weniger Wochen wolle man eine neue Strategie entwickeln, "um sich für die nächsten Jahre bis 2030 zu rüsten", wie die Zeitung in einer PM mitteilt.
Der Kurier befindet sich in einer Dauerkrise, wie der ORF schon vor einigen Monaten berichtete. Seit den Nuller-Jahren habe die Zeitung über die Hälfte ihrer Reichweite eingebüßt, schreibt der ORF.
Für deutsche Medien-Nerds wie uns sind die Entwicklungen beim "Kurier" besonders interessant, weil die Zeitung fast zur Hälfte der deutschen Funke-Gruppe gehört. Genau zur Hälfte ist Funke auch an Österreichs einflussreichster Tageszeitung, dem Boulevard-Blatt "Krone", beteiligt. "Krone" und "Kurier" erscheinen beide im Verlag Mediaprint.
Besonders bei der "Krone" zoffen sich die beiden Gesellschafter Funke und Familie Dichand, Erben des verstorbenen Krone-Gründers Hans Dichand, aber seit Jahrzehnten. "DWDL" hat darüber ausführlich im Juli berichtet. Deshalb zieht sich Funke nun vermutlich vom österreichischen Boulevard-Riesen zurück, meldet "Der Standard". "'Krone'-Eigentümer Dichand und Funke nähern sich geordneter Scheidung", heißt es. 100 Millionen Euro will Funke laut dem Bericht von Familie Dichand. In trockenen Tüchern sei der Deal aber noch nicht.
Und das war's immer noch nicht aus Ösiland. Wie "DWDL" meldet, wurde der "rechtspopulistische Propagandasender Auf1" auf Facebook gesperrt. Der Online-Sender ist im Zuge der Corona-Proteste gegründet worden (Altpapier). Auch in Deutschland hat er eine große Fangemeinde. Zuletzt war Auf1 in den Schlagzeilen, weil FPÖ-Chef Herbert Kickl sein erstes Interview nach der Wahl ausgerechnet dem Schwurbel-Sender gab, schreibt "DWDL".
"Bei Auf1 ortet man einen 'Schlag gegen die Pressefreiheit' - durchgeführt natürlich vom 'System'", zitiert "DWDL" den Chefredakteur Stefan Magnet. Vielleicht kann jemand dem "Kollegen" nochmal erklären, wo Pressefreiheit aufhört und Desinformation und Propaganda anfangen.
Und ja, einen hab ich noch, weil so viel Peinlichkeit nicht unter dem Teppich verschwinden darf. Die österreichische Boulevardzeitung "Heute" hat einen Wiener Rentner verklagt, weil der sich etwas derber über die Berichterstattung von "Heute" geärgert hat. Über diese mangelnde Kritikfähigkeit von Österreichs drittgrößter Tageszeitung schreibt die "taz".
Die Zeitung hat in einer Artikelserie gegen Sozialhilfe in Österreich gewettert. "Dass es sich dabei meist um überschießende Zuspitzungen oder absolute Ausnahmefälle handelt, unterschlagen die reißerischen Schlagzeilen", schreibt die "taz". Das hat den Rentner Günther R., dessen Sohn aus gesundheitlichen Gründen selbst auf Sozialhilfe angewiesen ist, so geärgert, dass er die Zeitung auf X als "Scheißblatt" und Herausgeberin Eva Dichand als "Rachehex" bezeichnet hat.
Nicht nett, schon klar. Aber das waren die "Heute"-Artikel ja auch nicht. Aber anstatt die Kritik – wie jedes vernünftige Medium – zu ertragen, hat "Heute" gleich drei Klagen gegen R. gestartet. Peinlicher und kleinlicher geht's nicht mehr. Immerhin: Das Wiener Satiremedium "Tagespresse" hat eine Crowdfunding-Kampagne für den Rentner gestartet, innerhalb weniger Stunden sind 20.000 Euro zusammen gekommen. Sollte R. verurteilt werden (er wäre dann vorbestraft!), muss er für seine Medienkritik wenigstens nicht blechen.
Altpapierkorb (Bonhoeffer-Instrumentalisierung, Überleben der "SZ", Ronzheimer-Extrawurst, Reicht die ÖRR-Reform?, Wenige konservative Journalisten, KI-Radio-Experiment gescheitert)
+++ Hier noch eine weitere Geschichte am Rande der US-Wahlen: Schon seit einiger Zeit wird der NS-Widerstandskämpfer und Theologe Dietrich Bonhoeffer von rechtsnationalistischen Christen in den USA instrumentalisiert ("Zeit" im Juli). In der heißen Phase des Wahlkampfes ist das so extrem geworden, dass es aus mehreren Ecken heftigen Protest gibt, über den "Politico" berichtet. Nicht nur drücken die Angehörigen ihr Entsetzen in einem Schreiben aus, sondern auch mehrere Schauspieler, unter anderem August Diehl und Moritz Bleibtreu, melden sich zu Wort. Sie spielen in einem neuen Bonhoeffer-Film mit, der Ende des Monats erscheint. "Der Film nimmt offenbar eine ganz andere Ausrichtung als von ihnen gedacht: Die Schauspieler zeigen sich 'tief besorgt über den Missbrauch unseres Films' durch 'christliche Nationalisten'", schreibt "Politico".
+++ Mehr schlechte Nachrichten bei der "Süddeutschen Zeitung". Vor anderthalb Wochen ist bekannt geworden, dass die "SZ" zahlreiche Lokalausgaben einstampft (Altpapier). Bei einer Vollversammlung mit der Belegschaft hat Chefredakteur Wolfgang Krach nun angekündigt, dass der Sparkurs mindestens bis 2030 weitergehen soll. "Es geht ums Überleben der SZ", zitiert "Medieninsider" den "SZ"-Chef.
+++ "Darf Paul Ronzheimer bei Axel Springer machen, was er will?", fragt kress.de. Der stellvertretende "Bild"-Chefredakteur hat kürzlich zwei Dokumentationen für Sat.1 gedreht (Altpapier). Mit der Produktion hat Ronzheimers Verlag Axel Springer nichts zu tun. "Wer die Streaming-Folgen bei Joyn aufruft oder ein Interview bei Sat.1 zur Reihe liest, erfährt nicht einmal, dass Ronzheimer für Springer und "Bild" arbeitet.", schreibt "Kress". Und weiter: "Nicht jedem bei Springer [schmeckt] die Ronzheimer-Extrawurst."
+++ Dass 41% eines Journalisten-Panels angaben, den Grünen nahezustehen, konnte man gestern unter anderem im Altpapier lesen. Mit den Gründen dafür beschäftigt sich Andrej Reisin in seinem Kommentar für "Übermedien". Titel: "Warum der Journalismus für Konservative ein unattraktives Berufsfeld (geworden) ist". Ein Argument Reisins: Journalismus hat an Prestige verloren und wirklich Kohle scheffeln kann man in der Branche auch nicht mehr. "Wen verwundert es angesichts solcher Zustände ernsthaft, wenn dieser Job eher Menschen anzieht, die zum einen idealistische Motive haben und sich zum anderen ohnehin auf prekäre Verhältnisse eingestellt haben?"
+++ Juchu, endlich mal wieder was zur Rundfunkreform (also nach gestern). Medienwissenschaftlerin Annika Sehl, Mitglied des ARD-ZDF-Zukunftsrats, "hält es für fraglich, ob die geplanten Änderungen an der ARD-Struktur ausreichen". Das meldet "epd Medien". "Bei der ARD gibt es ein starkes Strukturdefizit, das dringend beseitigt werden muss", sagt die Professorin. Sie sei noch nicht sicher, ob die geplanten Reformen reichen, um eine "ganz klare Verantwortungszuweisung" und schnelle Entscheidungsverfahren zu erreichen.
+++ Dass es vielleicht doch keine so gute Idee ist, alle Journalisten durch KI zu ersetzen, hat nun auch der polnische Radiosender OFF Radio Krakau gemerkt. Eigentlich wollte man drei Monate ausprobieren, was passiert, wenn man nur noch KI moderieren lässt. Innerhalb einer Woche gab es allerdings so viel Kritik, auch von den gefeuerten Journalisten, dass der Sender das Experiment nun abgebrochen hat, wie "Der Standard" meldet.
Das Altpapier am Donnerstag schreibt Ralf Heimann.