Kolumne: Das Altpapier am 7. November 2024 Das größte Comeback, glaube ich, in der Geschichte
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07. November 2024, 12:21 Uhr
Donald Trump ist wieder da. Zum Glück haben Medien in acht Jahren einiges gelernt. Leider nur eins nicht. Heute kommentiert Ralf Heimann die Medienberichterstattung.
Das Altpapier "Das Altpapier" ist eine tagesaktuelle Kolumne. Die Autorinnen und Autoren kommentieren und bewerten aus ihrer Sicht die aktuellen medienjournalistischen Themen.
Nicht obwohl, sondern deswegen
Es fühlt sich zwar an wie ein Déjà-vu, aber immerhin ist inzwischen etwas klarer, dass das alles kein Unfall war. Vor acht Jahren begann mit der überraschenden Wahl von Donald Trump das Rätseln darüber, wieso so viele Menschen diesen Mann gewählt haben, obwohl er ständig lügt, Dinge erfindet, völligen Unsinn redet, Regeln bricht, die immer gegolten haben, Institutionen und Autoritäten in Zweifel zieht, ja, im Grunde das ganze demokratische System. Heute weiß man, die Menschen haben ihn nicht gewählt, obwohl das alles so ist, sondern genau deswegen.
René Martens hatte hier am vergangenen Freitag den konservativen Intellektuellen Robert Kagan zitiert, der im Interview mit dem "Stern" gesagt hatte:
"Einem beträchtlichen Kern der Trump-Anhänger ist die liberale Demokratie nicht nur egal – sie würden es sogar begrüßen, wenn sie abgeschafft würde."
Man muss sich also klarmachen: Wenn Medien wie die "New York Times" in der vergangenen Woche davor gewarnt haben, Donald Trump zu wählen und das damit begründet haben, dass er die Demokratie in Gefahr bringt, dann war das aus der anderen Perspektive so etwas wie eine Wahlempfehlung.
Aus dieser Perspektive bringt Donald Trump das System durch die Demontage von demokratischen Institutionen, zu denen auch Medien gehören, nicht an den Abgrund – im Gegenteil, er entkernt ein marodes System, das alles am Laufen hält und die gegenwärtige Situation erst verursacht hat.
Friedemann Karig erklärt den Mechanismus bei Threads so:
"Wer Trump folgt, (…) positioniert sich mit ihm jenseits von Demokratie und Aufklärung – ultimativ tribalistisch: Es gilt, was auch immer mein Stamm gültig findet. Zu uns gehört, wer das anerkennt."
Auf diese Weise befreit Trump Menschen sogar von einer lästigen und bedrohlichen Wahrheit, aus der es in der von klassischen Medien transportierten Variante scheinbar kein Entrinnen gibt. Die unausweichliche Klimakrise, die sich immer weiter ausbreitenden liberalen Lebensentwürfe, überhaupt das Woke an sich, die immerzu gepredigte Notwendigkeit, sich und das eigene Leben, im Grunde die eigene Identität zu verändern. Trump bedient die "menschlich nachvollziehbare Sehnsucht" nach "'Freiheit' vom gängelnden Zwang zur Wahrheit", schreibt Karig.
Das alles gelingt, indem er eine vermeintlich tiefere Variante dieser Wahrheit anbietet – eine gefühlte Wahrheit, die eine Emotion validiert und dem Eindruck nach ähnlich funktioniert wie eine religiöse Erzählung.
Weiterhin fehlt: ein Mittel
Diese Wahrheit setzt bei einer Angst oder Sorge an, sie liefert eine einfache Erklärung, zu der praktischerweise auch ein Schuldiger gehört. Sie bietet eine sagenhafte Heilsgeschichte, und das Wort "sagenhaft" kann man hier wörtlich verstehen. Die Erzählungen haben eine biblische Dimension, und zu ihnen gehört eben auch ein Held oder nennen wir es ruhig so: ein Erlöser. Da kommt einer, der wahrscheinlich auch das Meer teilen könnte, der aber in diesem Fall erst mal eine Mauer nach Mexiko verspricht (Staffel 1) und die Kriege in der Ukraine und in Gaza an einem Tag beenden will.
Und diesen Erlöser kann das korrupte System auch auslachen, es kann ihn wegen irgendwelcher Straftaten verurteilen, ans Kreuz schlagen, was auch immer. Am Ende macht es ihn nur noch stärker. Fox-News-Moderator Bret Baier nannte den Wahlsieg passend dazu "die größte politische Phönix-aus-der-Asche-Geschichte, die wir je gesehen haben – jemals"; Fox-Kollegin Laura Ingraham sagte etwas zurückhaltender, es sei das "größte Comeback, glaube ich, in der Geschichte".
Das ist die emotionale Ebene der Geschichte. Daniel McCarthy erklärt den Trump-Sieg in der "New York Times" als Folge einer tiefen Enttäuschung über das Establishment, zu dem als Stimme, Sprachrohr und Hüterin der Wahrheit eben auch die Medien gehören.
So gesehen war Trumps Sieg die Abwahl eines verkrusteten und gut abgeschirmten Systems, in dem das Establishment es sich gemütlich gemacht hatte – zum Leidwesen der vielen Menschen, die von diesem System nicht profitiert haben oder es sich zumindest nicht so anfühlte. Und wenn dem Gefühl vieler Menschen nach das Wichtigste ist, dieses System einzureißen, dann ist ein als "weird" erscheinender Verbrecher, der nicht im Verdacht steht, da irgendwie reinzupassen, vielleicht sogar genau der Richtige.
Und wenn Trump Medien nun in seiner Rede zum Wahlsieg abermals "das feindliche Lager" nennt und Journalisten "ernsthaft korrupte Menschen", wie der Guardian es dokumentiert hat, dann macht allein das deutlich, wie schwer es ist, einen Umgang damit zu finden – und dass das so richtig immer noch nicht gelungen ist.
Medien bieten eine Plattform, um Hetze gegen sie selbst zu verstärken, weil der Hetzende durch seine Position das Privileg erworben hat, dass praktisch alles, was er sagt, einen Nachrichtenwert hat, ganz besonders das Drastische, Provokante, das teilweise Irre, das einzig den Zweck erfüllt, Menschen in irgendeiner Weise emotional zu erreichen. Und dieser Mechanismus – Klaus Raab hat das hier am Montag in einer Übersicht dargestellt – hat womöglich überhaupt erst dazu geführt, dass der ganze Irrsinn in den vergangenen Monaten, im Grunde ja Jahren, so präsent war.
Weniger Umbau, mehr Abbau
Auf der anderen Seite hat Roger de Weck, Publizist, Mitglied im Zukunftsrat und Autor des medienkritischen Buchs "Das Prinzip Trotzdem – warum wir den Journalismus vor den Medien retten müssen", im Interview mit Sebastian Wellendorf für das Deutschlandfunk-Medienmagazin "@mediasres" gesagt, das Publikum werde davon abgestoßen, wenn Medien in Überschriften dramatisieren und "Banales in sensationelle Worte" kleiden. Wenn das so stimmt, würde das bedeuten, Medien demontieren sich nicht nur dadurch, dass sie Hetze gegen Medien transportieren, sondern auch dadurch, dass sie immer wieder dem Stöckchen hinterherlaufen, jede provokante Bemerkung zu einer Meldung aufzublasen.
Und auch hier muss man den technischen Zusammenhang sehen. Solche Meldungen sind schnell gemacht, sie brauchen nicht viel Recherche, und das ist bei knapper Personallage sehr praktisch. Wie es dazu kam, ist bekannt. Roger de Weck:
"Ich glaube, wir sind die einzige Branche, die denkt, wenn der Absatz stockt, dann muss man die Qualität senken."
Die Vorstellung, man könne mit der kurzfristigen Maximierung von Klicks das Publikum binden. "Es geht um Substanz", sagt de Weck. Der Eigentümer der Zeitung "Le Monde" etwa habe die Redaktion von 300 auf 550 Stellen erhöht. Das habe dazu geführt, dass sich die Zahl der Abonnentinnen und Abonnenten von 300.000 auf 600.000 verdoppelte.
Es klingt wunderbar einfach, ist vor allem im Regionalen und Lokalen aber nicht so leicht umsetzbar, denn wo will man bei lokalen Medien sonst sparen, wenn nicht in der Redaktion? Das Potenzial, die Abozahlen durch Personalinvestitionen so nennenswert zu steigern, dass am Ende sogar mehr Geld übrig bleibt, fehlt da, wo es kein großes Publikum gibt.
Hier verweist de Weck auf Medienfördermodelle in Nordeuropa, wo auch die Medienfreiheit am größten sei. Wenn man es richtig anstelle, mit einer unabhängigen Vergabekommission, die nach festen Regeln Geld vergibt, dann könne man vieles bewirken.
"In jeder schwedischen Kleinstadt, selbst im hohen Norden, gibt es noch ein, wenn nicht zwei unabhängige Medien"
In Kanada habe man in fernen Gebieten, wo die Zustellung gedruckter Zeitungen nicht zu finanzieren sei, ein Hilfsmodell eingeführt, das in diesem Jahr abgeschafft worden sei, weil es so erfolgreich war. Das war der kanadische Periodikumsfonds.
Von dieser Debatte kommt man schnell zu den Öffentlich-Rechtlichen in Deutschland, die Sender, Sendungen und Personal abbauen sollen, damit es für alle günstiger wird. Roger de Weck sagt, der Abbau löse die Strukturprobleme nicht. Er sagt sogar: "Je weniger Umbau desto mehr Abbau."
Er ist die Medien
Die von scharf rechts verbreitete Geschichte über die Sender hat nicht ganz zufällig Ähnlichkeit mit der großen Trump-Saga. Das verkrustete System, in dem das Establishment es sich gemütlich gemacht hat, das irgendwer aufbrechen, im besten Fall abbrechen muss, damit dann etwas kommt, das der Erzählung nach besser für die Menschen ist, tatsächlich aber nur besser für die eigenen Pläne.
Elon Musk hat am Mittwoch getwittert (sagt man das noch?):
Anders als während der letzten Amtszeit gibt es niemanden mehr, der Trumps X-Account sperren würde. Im Grunde ist das also auch ein schönes Eigenlob.
Aber der Satz stimmt natürlich auch in anderer Hinsicht. Die klassischen Medien und all die Stars und Harris-Unterstützer mit ihren eigenen Medienkanälen haben am Ende nichts ausrichten können. Sie haben keinen Weg gefunden, Trump zu entlarven, ihn zu überführen, ihn zu widerlegen. Wäre man Pessimist, könnte man sagen: Medien können noch so viele Fakten checken und Dinge aufdecken, aber so richtig viel bringt das nicht.
Der Politikwissenschaftler Jörg-Uwe Nieland hat gestern in der Deutschlandfunk-Kultursendung "Corso" ernüchtert und auch etwas resigniert festgestellt, dass er den Einfluss der Popkultur falsch eingeschätzt hat.
Hendrik Ohnesorge, Geschäftsführer des Center for Global Studies an der Uni Bonn, nennt im @mediasres-Interview das Musk-Zitat und sagt:
"Ja, ich glaube, das ist tatsächlich ein Phänomen, das wir in der Form noch nicht hatten."
Trump habe jetzt ungefilterten Zugang, zum Beispiel über seinen X-Account. Und das sei ja noch lange nicht das Ende. Das, was künstliche Intelligenz anzurichten vermag, sei da noch gar nicht mitgedacht. Und was können Medien machen? Auch diese Antwort klingt ernüchternd. Medien haben in acht Jahren zwar einiges gelernt, nur eben nicht, wie man souverän mit jemandem umgeht, der einen mit den eigenen Waffen schlägt.
"Wir werden mit ihm leben müssen", sagt Ohnesorge. Aber man könne sich natürlich die Frage stellen, ob man wirklich bereit sei, dieses Spiel mitzuspielen, das man im Grunde nur verlieren könne. Die große Aufgabe werde weiter sein, zu überprüfen, ob die Fakten oder Aussagen wirklich stimmen.
Es ist also im Grunde das, was Marty Baron, der damalige Chefredakteur der "Washington Post", schon nach der ersten Wahl von Donald Trump gesagt hat:
"Wir sind nicht im Krieg. Wir sind bei der Arbeit."
In einem Wort also: weitermachen.
Altpapierkorb (Pressegrosso-Reform, Schwäbische Zeitung, SWR-Polizei-PR, SWR-Staatsvertrag)
+++ Eine Arbeitsgruppe großer deutscher Verlage, darunter Burda und Axel Springer, mit dem fancy Titel "Fit for Future" will zusammen mit vier bestehenden Grosso-Firmen eine zentrale Grosso-Gesellschaft gründen, um den Presse-Großhandel zu reformieren, berichtet "epd Medien". Auf diese Weise wollen die Verlage den Einzelhandel flächendeckend mit ihren Titeln beliefern. Das Bundeskartellamt muss allerdings noch zustimmen. Neun Grosso-Unternehmen, die im neuen System nicht als Partner dabei wären, kritisieren das Modell und warnen vor Nachteilen für kleinere Verlage und Einschränkungen der Pressevielfalt.
+++ Heribert Prantl hat mit einem Auftritt bei einer Veranstaltung der "Schwäbischen Zeitung" für Verwunderung gesorgt, berichtet Josef-Otto Freudenreich für die Wochenzeitung "Kontext". Eingeladen hatten ihn der Verein "Tavir", der sich gegen Hass und Antisemitismus einsetzt. Die "Schwäbische Zeitung" war in die Kritik geraten, weil sie nach rechts zuletzt doch sehr offen war (was die Verlagsspitze bestreitet und als Medienkampagne bezeichnet). In seiner Rede plädierte Prantl gegen Gleichgültigkeit und für demokratischen Widerstand. Das platzierte er als Spitze gegen die "Schwäbische". Im Bericht über die Veranstaltung, den der stellvertretende Chefredakteur Robin Halle schrieb, kam das allerdings nicht vor.
+++ In der SWR-Doku-Serie "Nachtstreife" begleitet ein Filmteam Polizisten bei nächtlichen Einsätzen; im Ergebnis wirkt das teilweise wie ein Werbefilm, schreibt Aljoscha Hoepfner für "Übermedien". Seine Kritik: Durch die enge Zusammenarbeit mit der Polizei und dem Innenministerium Rheinland-Pfalz, das die Serie auch zur Nachwuchsgewinnung einsetzt, gebe der SWR seine journalistische Distanz auf und gebe der Polizei eine Werbeplattform.
+++ Die Bundesländer Baden-Württemberg und Rheinland-Pfalz haben einen Entwurf zur Reform des SWR-Staatsvertrags veröffentlicht, berichtet "epd Medien". Mit der Novelle wollen die Länder die Struktur des Senders modernisieren und die Hörfunkangebote an das veränderte Nutzungsverhalten anpassen. Der Entwurf sieht unter anderem vor, die Landesrundfunkräte abzuschaffen, die es bei länderübergreifenden Anstalten gibt. An ihre Stelle soll ein gemeinsames Direktorium treten. Außerdem soll die Zahl der Mitglieder im Rundfunkrat aus Rheinland-Pfalz und Baden-Württemberg kleiner werden. Bis zum 26. November kann man den Entwurf kommentieren.
Das Altpapier am Freitag schreibt Johanna Bernklau.