Emblem der DDR auf einer Mütze der Volkspolizei.
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Interview Die Volkspolizei in den Wendemonaten 1989

18. Mai 2021, 18:17 Uhr

Volkspolizisten hatten einen Eid auf ihren Staat geschworen und sich u.a. verpflichtet, die sozialistische Gesellschafts-, Staats- und Rechtsordnung auch unter Einsatz ihres Lebens zu schützen. Im Herbst 1989 trat der Ernstfall ein. Wie die Volkspolizisten mit dieser Situation umgingen, hat der Historiker Matthias Ohms hat in seinem Buch "Schlagstockeinsatz und Sicherheitspartnerschaft" am Beispiel Magdeburg untersucht.

Herr Ohms, welche Aufgabe hatten die Volkspolizisten während der Montagsdemos 1989 in Magdeburg?

Die Aufgabe der Volkspolizei war die Kriminalitätsbekämpfung sowie die Sicherung von Ruhe und Ordnung im SED-Staat. Dazu zählte vor allem in der zweiten Jahreshälfte 1989 die Verhinderung von öffentlichen Kundgebungen, die sich gegen den Staat und seine Politik wandten. Die Staatsführung der DDR stufte diese Art der öffentlichen und von der eigenen Staatsdoktrin abweichenden Meinungsäußerung ihrer Bürger als konterrevolutionäre Gefahr dar. Die Volkspolizei sollte derlei Kundgebungen und Demonstrationen nach Möglichkeit verhindern und unterbinden.

In den Städten sicherten vor allem Schutzpolizisten, Abschnittsbevollmächtigte sowie Angehörige der Kriminalpolizei die Veranstaltungen ab, bzw. klärten auf, ob eine Demonstration oder ähnliches geplant sei.

Schlossen sich die Teilnehmer der Gebetsveranstaltungen im Nachgang zu einem Demonstrationszug zusammen, hatten die vor Ort befindlichen Volkspolizisten dafür zu sorgen, dass sich der Zug auflöst und keine "staatsfeindlichen" Äußerungen oder Handlungen durchgeführt wurden. Meist wurde mit Nachdruck die Auflösung der Demo angeordnet. Kamen die Teilnehmer dem nicht nach, griffen mehrfach Einsatzhundertschaften der Volkspolizeibereitschaften, die zu großen Teilen aus Wehrdienstleistenden bestanden, ein und stoppten Demonstrationen zum Teil gewaltsam.

Volkspolizisten auf Streifgang 6 min
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Wie gingen die Polizisten vor?

In Magdeburg beispielsweise forderten am 5. Oktober 1989 Einsatzkräfte der Volkspolizei Demonstranten auf, ihren Zug aufzulösen. Die Menschen marschierten jedoch weiter. Die friedlich Demonstrierenden wurden daraufhin von Einheiten der Bereitschaftspolizei eingekesselt. Demonstranten, die als Rädelsführer ausgemacht wurden, die Plakate mit "staatsfeindlichen" Parolen trugen oder Schmähungen  gerufen haben sollen, wurden festgenommen und auf die Reviere der Volkspolizei gebracht. Es wurden auch Menschen verhaftet, die einfach zur falschen Zeit am falschen Ort waren, die beispielsweise zufällig aus einem anliegenden Lokal oder Haus kamen.

Die Volkspolizisten gingen keineswegs zimperlich mit den Leuten um. Sie schlugen sie mit Gummiknüppeln und verfrachteten sie in LKW auf die Polizeireviere. Es gibt Berichte, dass die Zugeführten mitunter getreten und geschlagen wurden, dass sie stundenlang drangsaliert wurden. Pausenlos wurden ihnen dieselben Fragen gestellt, manche von ihnen mussten immer wieder ihren Lebenslauf schreiben. Dieser Umgang mit den friedlichen Demonstranten hat den Glauben der Bevölkerung an den Staat weiter zusammenbrechen lassen.

Und sicher auch die Sicht auf die Volkspolizei, oder?

Natürlich. Gerade nach den harten Einsätzen Anfang Oktober 1989 hat die Polizei deutlich an Akzeptanz in der Bevölkerung verloren. Einige Menschen zeigten das auch ganz deutlich: In Halberstadt wurden Volkspolizisten beispielsweise mit Messern attackiert und bespuckt. In einigen Geschäften bediente man Polizisten nicht mehr. Mitunter kam es in Betrieben zu Anfeindungen gegenüber den Ehepartnern von Volkspolizisten.

Wurde das Vorgehen der Volkspolizei öffentlich thematisiert?

Ja. Plötzlich berichteten Radio und Fernsehen über das Vorgehen der Polizei und die Reaktionen der Bevölkerung. Bislang waren derartige Dinge totgeschwiegen worden. Auf einmal hat man darüber geredet. Das so entstehende negative Bild der Polizei führte auch zu Verunsicherungen unter den Volkspolizisten. In der zweiten Oktoberhälfte wurde von der neuen DDR Führung der Umgang mit Bürgern und Demonstranten öffentlich als zu hart und überzogen erklärt. Der Großteil der Ordnungsstrafverfahren wurde eingestellt, stattdessen wurde gegen Polizisten ermittelt. Für viele Volkspolizisten und Bereitschaftspolizisten war nun nicht klar, wie man sich zukünftig zu verhalten hatte, wenn nun zu Beginn des Monats ausgegebene Befehle im Nachhinein als falsch gebrandmarkt wurden.

Wie war die Haltung der Volkspolizisten gegenüber den Demonstranten?

Man muss unterscheiden: Bei Störern, bei Leuten, die tätliche Übergriffe gegenüber Polizisten verübten, die das Gesetz überschritten, war für die Polizisten klar: Gegen die müssen wir vorgehen. Doch viele Polizisten nahmen auch zur Kenntnis, dass die meisten Demonstranten völlig friedlich waren. Normale Leute eben. Das führte ein stückweit dazu, dass sich die Polizisten fragten, ob es rechtmäßig ist, hart gegen diese Menschen vorzugehen. Man muss ja im Blick haben, dass auch die Volkspolizisten die ökonomischen Probleme in der DDR kannten und viele ähnlich dachten, wie die protestierenden Bürger. Gerade bei den Montagsgebeten, wo es darum ging, was können wir am Staat verändern, ohne ihn gleich auflösen oder verlassen zu wollen?

Sind Fälle von Befehlsverweigerungen bekannt?

Befehlsverweigerungen insbesondere bei den Volkspolizeibereitschaften gab es zumindest im Bezirk Magdeburg nicht. Wohl aber bei den Kampfgruppen der Betriebe. Dort weigerten Mitglieder sich zunehmen, an Einsätzen gegen Demonstranten teilzunehmen. Wurde in den Einheiten bekannt, dass Polizisten oder Wehrdienstleistende in den Bereitschaften Befehle oder Einsätze verweigern würden, wurden diese nicht mehr im Außendienst eingesetzt. Eine Volkspolizistin äußerte, dass sie die Waffe nicht einsetzen würde und wurde daraufhin in den Innendienst kommandiert.

Wie wandelte sich die Rolle der Volkspolizisten in dieser Zeit?

Anfangs wurden die Demonstrationen niedergeknüppelt, später entwickelten sich sogenannte Sicherheitspartnerschaften. Am 16. Oktober setzten sich die Veranstalter aus den kirchlichen Kreisen, Vertreter der Stadt und die Polizei in Magdeburg zum ersten Mal zusammen und vereinbarten, dass die Stadt Straßenbahnen bereitstellt, damit die Menschen direkt nach den Friedensgebeten nach Hause fahren können. Am 23.10. wurde dann formal der erste Demonstrationszug bei der Polizei und der Stadt angemeldet und der Weg des Demonstrationszuges festgelegt. Darüber hinaus sollte die Demonstration durch eigene Ordner abgesichert werden, die ebenso sicherstellen sollten, dass keine Schmäh-Transparente gezeigt oder staatsfeindliche Parolen gerufen werden. Die Polizei hielt sich zunehmend im Hintergrund.

Und das hat funktioniert?

Die Volkspolizei hat natürlich trotzdem versucht, die Lage so weit zu beherrschen, dass sie im Fall einer Eskalation hätte einschreiten können. Auch ganz brachial. Aber so weit kam es nicht. Die Menschen haben sich wirklich von jeglicher Gewalt distanziert. Deshalb sprechen wir heute ja auch von einer friedlichen Revolution. Dieses Friedlich-Bleiben hat dem Staat aus meiner Sicht die Möglichkeiten genommen, anders zu agieren. Wäre es anders gelaufen, hätte man sicher an manchen Stellen bürgerkriegsähnliche Zustände gehabt.

(mh/voq)


Unser Interviewpartner Matthias Ohms, geboren 1984 in Magdeburg, studierte Geschichte und Politikwissenschaft. Er arbeitete für das Bürgerkomitee Magdeburg und der Gedenkstätte Moritzplatz Magdeburg. Seit 2011 ist er pädagogischer Mitarbeiter in der Gedenkstätte Deutsche Teilung Marienborn. Er ist Autor des Buches "Schlagstockeinsatz und Sicherheitspartnerschaft".