Ausgrabung Memleben 2 min
Eindrücke von der Ausgrabungsstätte in Memleben-Nord sehen Sie hier im Beitrag von "MDR um 2". Bildrechte: MITTELDEUTSCHER RUNDFUNK

Archäologie in Sachsen-Anhalt Mittelalter-Siedlung im Umfeld von Pfalz und Kloster Memleben entdeckt

30. April 2024, 13:03 Uhr

Im Umfeld von Pfalz und Kloster Memleben ist Sachsen-Anhalts Landesarchäologen ein neuer spektakulärer Fund gelungen. Sie entdeckten und untersuchten eine mittelalterliche Wehrsiedlung mit einer großen Wall-Grabenanlage und den Überresten zweier beeindruckender Steinbauten. Damit wurde ein weiteres Puzzleteil um die noch immer vermisste Pfalz Kaiser Ottos des Großen aufgedeckt.

Archäologen des Landesamtes für Denkmalpflege und Archäologie (LDA) Sachsen-Anhalt haben im Umfeld der einstigen Königspfalz und des Klosters Memleben im Burgenlandkreis eine befestigte Siedlung aus dem Mittelalter mit den Überresten beeindruckender Steinbauten entdeckt. Das Ausgrabungsteam unter Leitung des Mittelalter-Archäologie-Professors Felix Biermann stieß in der bislang vollkommen unbekannten Fundstätte etwa einen Kilometer nördlich des heutigen Ortes Memleben und jenseits der Unstrut auf ein vom 9./10. bis 14. Jahrhundert dicht besiedeltes Areal.

Wall-Grabenwerk mit stattlichen Steinbauten

Fundplatz Memleben-Nord mit Blick auf den Kirchengrundriss von Osten
Der Fundplatz Memleben-Nord mit Blick auf den Kirchengrundriss von Osten. Bildrechte: LDA Sachsen-Anhalt, Robert Prust

Wie das LDA anhand der Grabungsergebnisse mitteilte, war die seit Anfang April 2024 untersuchte befestigte Siedlung von einem gut 240 mal 170 Meter großen, rechteckigen Wall-Grabenwerk umgeben, zu dem zwei wahrscheinlich steinerne Torbauten gehörten. Das Areal war zuvor bei Geländeuntersuchungen der dortigen Ackerflächen aufgefallen.

Im Westteil dieser mittelalterlichen Wehranlage stießen die Archäologen auf die "eindrucksvollen Relikte zweier stattlicher Steinbauten". Einer der Bauten war im Mittelalter eine 16 Meter lange, einschiffige Kirche mit halbrunder Apsis im Osten und unterkellertem Anbau mit Treppenzugang. Diese Kirche ersetzte einen älteren, nur halb so großen Sakralbau. Hier stießen die Archäologen auch auf einen "dicht belegten Friedhof" mit Stein-Sarkophagen des 10. bis 12. Jahrhunderts.

Eine kleine Gruppe Menschen steht 2022 auf den ausgegrabenen Mauerresten einer großen Kirche in der Sonne. 32 min
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Dichte Besiedlung und reiches Fundmaterial

Bei dem zweiten Steinbau handelte es sich den Forschern zufolge um ein im rechten Winkel zur Kirche stehendes großes Wohnhaus. Dieses besaß starke Steinmauern und war mit einer Fläche von 17 mal 6,5 Metern ebenfalls von beeindruckender Größe. Auf eine frühere Besiedlung im Umfeld der beiden großen Steinbauten weisen laut den Untersuchungen ein sogenanntes Grubenhaus sowie diverse Wirtschaftsgruben hin.

Fundplatz Memleben-Nord Treppenanlage an der Nordseite des Kirchengebäudes
Treppenanlage an der Nordseite des Kirchengebäudes. Bildrechte: LDA Sachsen-Anhalt, Felix Biermann

Die Archäologen stießen auch auf "reichhaltiges Fundmaterial", das auf eine Besiedlung des Ortes zwischen dem 9./10. und 14. Jahrhundert hinweist. Zu den bedeutendsten Fundstücken gehörten slawische Keramik, eine Kreuzemail-Scheibenfibel der Ottonen-Zeit, hoch- und spätmittelalterliche Kugeltöpfe, bronzene Messerscheiden-Beschläge, Projektile von Armbrustbolzen, mittelalterliche Silbermünzen, ein gotischer Schlüssel sowie ein spätmittelalterliches Pilgerzeichen mit der Darstellung eines gekrönten Herrschers.

Bedeutende Siedlung mit eindrucksvoller Befestigung

Fundplatz Memleben-Nord Ofenanlage aus dem 10. Jahrhundert mit nachträglicher Kinderbestattung
Ofenanlage aus dem 10. Jahrhundert mit nachträglicher Kinderbestattung. Bildrechte: LDA Sachsen-Anhalt, Felix Biermann

Die Archäologen sprechen von einer "bedeutenden Siedlung mit einer eindrucksvollen Befestigung, dichter Wohnbebauung, Hinweisen auf die Ausübung von Handwerk und zwei bemerkenswerten Steinbauten". Die genaue Altersbestimmung der Gebäude soll demnächst über die Datierung gesammelter Proben erfolgen. Die Forscher erhoffen sich davon eine genauere siedlungs- und kulturgeschichtliche Einordnung. Von besonderem Interesse ist dabei, in welcher Beziehung die mittelalterliche Wehranlage zu dem 2023 untersuchten ottonischen Vorgängerbau der Monumentalkirche Kaiser Ottos II. (955-983) in Memleben stand.

Pfalz und Sterbeort zweier Ottonen-Könige

Memleben ist heute eine der bedeutendsten historischen Stätten Sachsen-Anhalts. Unter dem ostfränkischen König Heinrich I. (876-936) und seinem Sohn und Nachfolger, dem römisch-deutschen Kaiser Otto dem Großen (912-973), war Memleben eine der wichtigsten Pfalzen (Wohn-Stützpunkte) des damaligen Reisekönigtums. Für beide Ottonen-Herrscher, die übrigens die ersten Sachsen auf dem ostfränkischen Königsthron waren, war die Pfalz Memleben auch Sterbeort. Das Herz und andere Organe Ottos des Großen wurden in der Memlebener Marienkirche bestattet, der Leichnam im Magdeburger Dom. Sein Sohn und Nachfolger Otto II. gründete 979 zur Erinnerung an seinen Vater in Memleben ein Reichskloster, dessen Überreste bis heute erhalten sind.

Suche nach verschwundener Pfalz

Die einstige Pfalz der Ottonen-Herrscher mit Palast, Versammlungshalle und Pfalzkirche konnte bis heute nicht gefunden werden, obwohl Forscher seit über 100 Jahren danach suchen. Das seit mehreren Jahren laufende Forschungsprojekt des Landesamtes für Denkmalpflege und Archäologie Sachsen-Anhalt hat sich zum Ziel gesetzt, nicht nur die verschwundene Ottonen-Pfalz zu finden, sondern auch die komplexe Infrastruktur dieses mittelalterlichen Herrschaftszentrums zu rekonstruieren. Mit der nun entdeckten mittelalterlichen Wehrsiedlung bei Memleben haben die Forscher ein weiteres Puzzleteil um die verschwundene Ottonen-Pfalz aufgedeckt.

(dn)

Dieses Thema im Programm: MDR KULTUR - Das Radio | 30. April 2024 | 11:12 Uhr