MDRfragt DDR-Vergangenheit kommt in Schulen zu kurz
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18. November 2021, 14:03 Uhr
DDR-Geschichte sollte in der Schule eine größere Rolle spielen – und mehr Zeit einnehmen. In einer aktuellen Befragung des Meinungsbarometers MDRfragt erklärten mehr als die Hälfte (59 Prozent) der Teilnehmenden, dass Wissen zur DDR im Unterricht nur unzureichend vermittelt werde. Ein Großteil der Befragten (78 Prozent) bemängelt auch, dass nicht ausreichend Originalorte besucht werden. Besonders groß war die Unzufriedenheit bei denen, die noch in der Schule oder noch nicht lange draußen sind.
Die junge Generation will mehr über DDR-Geschichte hören und auch die Originalorte dazu sehen. 72 Prozent der 16 bis 29-Jährigen bemängelten im MDRfragt-Meinungsbarometer, dass für das Thema DDR nicht genug Zeit bleibe. "Wir haben in der Schule kaum das Thema DDR behandelt und nie eine Gedenkstätte besucht" bedauert eine 24-Jährige aus dem Harz. Dabei ist der Wunsch mehr über die Geschichte Ostdeutschlands informiert zu werden hoch, denn 88 Prozent der Befragten in dieser Altersgruppe halten das für "gesellschaftlich relevant".
An der aktuellen Erhebung von MDRfragt haben 22.892 Menschen aus Sachsen, Sachsen-Anhalt und Thüringen teilgenommen, von denen 84 Prozent selbst in der DDR gelebt haben. Auch die über 65-Jährigen sehen das, was sie aus der Schulpraxis mitbekommen, kritisch. Mit 45 Prozent hat hier immerhin fast die Hälfte der Befragten den Eindruck, dass es an Zeit für den Geschichts-Stoff DDR mangelt. So komme es zu einem einseitigen und unvollständigen Bild über die DDR.
"Es gab leider sehr viel Unrecht in der DDR, Mangelwirtschaft, Unterdrückung nicht staatskonformer Meinungen. Trotz allem haben wir ehemaligen DDR-Bürger unter den widrigen Bedingungen vieles geschaffen, das mehr Wertschätzung erfahren müsste. Kinderbetreuung, Schul- und Hochschulausbildung (abgesehen von Zugangsbeschränkungen von vermeintlichen Systemkritikern) waren im Vergleich zu heute vorbildlich. In der DDR war nicht immer alles Stasi, wie immer dargestellt!" So fasst eine 66-Jährige Teilnehmerin aus dem Ilm-Kreis das Meinungsbild zusammen.
Monothematische Wissensvermittlung zur DDR? Das sehen die jüngeren MDRfragt-Mitglieder anders. Für sie fällt die Wissensvermittlung zur DDR in den Schulen positiver aus als bei den älteren. In der Altersgruppe 16 bis 29 Jahre sind ein Drittel (32 Prozent) der Meinung, dass ausreichend Wissen darüber vermittelt wird. Bei den über 65-Jährigen sind das lediglich elf Prozent.
Falsches DDR-Bild im Unterricht?
Die Mehrheit der Befragten findet, soziale Themen der DDR-Geschichte werden zu wenig beachtet und die DDR in Schulen nur unzureichend behandelt. Ist das Bild, das Schülerinnen und Schülern heute von der DDR transportiert wird, also richtig? Eine 67-jährige Teilnehmerin aus Zwickau berichtet folgendes in den Kommentaren:
"Bei dem, was heute mein 16-jähriger Enkel in der Schule über das Leben, den Alltag in der DDR hört und liest, sträuben sich mir alle Haare. Es wird nur einseitig die DDR als Unrechtsstaat dargestellt, in allen Facetten."
Eine andere Teilnehmerin (52 Jahre, aus Leipzig) hat eine Erklärung für das heutige DDR-Bild: "Die meisten Lehrer heute sind zu jung, um den Schülern ein objektives Bild der DDR zu vermitteln. Meist geschieht das nur nach vorgegebenem Schema." Nur 14 Prozent der Befragten über 65-Jahre sind der Meinung, dass die Lehrenden an den Schulen über ausreichend Fachwissen über die DDR verfügen.
Die Rolle der Lehrer ist auch unter den jüngeren Teilnehmden bei MDRfragt umstritten. Nur etwas mehr als die Hälfte (56 Prozent) sprechen den Lehrerinnen und Lehrern das nötige Fachwissen zu, um über die DDR zu unterrichten.
Ungleiche Gewichtung in Lehrbüchern
Eine ehemalige Lehrerin für Geschichte und Sozialkunde hat eine ungleiche Gewichtung der Themen im Geschichtsunterricht erkannt: "Mir ist aufgefallen, dass in den Lehrbüchern die Geschichte der BRD wesentlich umfangreicher dargestellt wurde als die Geschichte der DDR. Außerdem war der Blick auf die DDR sehr einseitig und ideologisch verklärt. Dadurch entsteht ein sehr oberflächlicher, z.T. falscher Eindruck. Das wurde dem tatsächlichen Leben nicht gerecht, da jeder Mensch auch andere Erfahrungen gemacht hat. Das war doch sehr vielseitig, genau wie heute." Die 67-jährige Thüringerin führt weiterhin aus: "Negative Aspekte werden sehr ausführlich dargestellt, die positive Seite wird nur kurz oder gar nicht dargestellt. Und wenn, dann oft mit einem ABER... Die Vielseitigkeit, die es durchaus gab, kommt zu kurz. Und was auch zu kurz kommt und vielfach falsch dargestellt wird, ist die direkte Nachwendezeit."
Unterschiedliche Wahrnehmung
Doch ist das wirklich so? Und ist in den Lehrplänen nicht genug Zeit eingeplant, um die DDR in allen Facetten zu erläutern? Doch, es gibt im Rahmen der Lehrpläne durchaus Zeit zur Behandlung der DDR im Geschichtsunterricht, sagt der stellvertretende Bundesvorsitzende des Geschichtslehrerverbandes VGD e.V., Niko Lamprecht. Aber: "Es unterliegt dem pädagogischen Freiraum der Lehrkräfte, welche Schwerpunkte sie setzten und wie die Gewichtung im demokratiegeschichtlichen Zusammenhang ausfällt". Jede Lehrkraft kann also in einem gewissen Rahmen Umfang und Methodik selber gewichten, wie mit den Themen im Unterricht umgegangen wird.
Geschichte und Erinnerungskultur
Uta Bretschneider, Direktorin des Zeitgeschichtlichen Forums in Leipzig, hält es für wichtig, ein differenziertes Bild der DDR als Diktatur und Heimat an die nächsten Generationen zu vermitteln.
Sie ist der Ansicht, dass sich die Erinnerungskultur daran noch eine Weile abarbeiten werde. Bretschneider führt aus, dass man die eigene Lebensgeschichte immer als eine gelungene erzählen möchte und dass die Narration des Scheiterns, das Erzählen von Misserfolg eher schwierig ist. Dazu gehörten eben auch Diktaturerfahrungen. Sie sagt:
Die DDR ist schwierig zu handhaben, was die Erinnerungskultur anlangt, weil es eben widersprüchliche Erinnerungen sind, die die Menschen haben. Und man muss das einfach aushalten, dass die DDR zugleich Heimat und Diktatur war. Wenn dieser differenzierte Blick fehlt, entsteht der Eindruck, die DDR wird einseitig und nur als Diktatur dargestellt.
Ähnlich reflektieren das auch einige der Teilnehmenden bei MDRfragt: "Selbst zwischen den Menschen, die in der DDR gelebt haben, gibt es große Unterschiede in der Wahrnehmung, wie Versorgung oder Schulbildung beispielsweise war", sagt eine 49-Jährige aus Bautzen.
Gedenkstätten leisten wichtige Erinnerungsarbeit
Mehr als drei Viertel der Teilnehmerinnen und Teilnehmer an der Befragung finden, Gedenkstätten leisten wichtige Erinnerungsarbeit. 51 Prozent sind der Meinung, dass nicht ausreichend Originalorte (z.B. Gedenkstätten) besucht werden. Das wird auch durch folgende Aussage einer MDRfragt-Teilnehmerin aus Dresden (61 Jahre) deutlich: "Es müsste noch mehr solcher Gedenkstätten geben und wieder die Pflicht der Schulklassen im Rahmen des Lehrplanes zum Besuches der Gedenkstätten und zur Aufklärung über die deutsche Geschichte der letzten 100 Jahre."
Gutscheine für Gedenkstättenbesuch gefordert
Von einer Pflicht zum Besuch von Gedenkstätten hält Niko Lamprecht vom Verband der Geschichtslehrer nichts. Staatlich organisierte Pflichtveranstaltungen dieser Art gehörten seiner Ansicht nach eher zu Systemen wie der DDR. Wohl aber ist ihm die Forderung an die Politik wichtig, dass Bund und Länder Gutscheine für den Besuch von Gedenkstätten bereitstellen. Nicht selten scheitere ein Besuch nämlich trotz Bemühen der Lehrkräfte an den fehlenden Mitteln oder der umständlichen und zeitraubenden Beantragung.
Hinweis zum MDRfragt "DDR - verehrt oder verhasst?" Es haben sich im Juli 2021 22.892 Teilnehmerinnen und Teilnehmer beteiligt. Bei allen Fragen hat jeweils etwa ein Drittel der Befragten angegeben, dass sie das Thema nicht beurteilen bzw. keine Angabe machen können.
(nr/hd/lm)