Rumänien Lieber verstecken als sich outen

09. Juni 2018, 22:07 Uhr

Am Sonnabend wollen lesbische, schwule, bisexuelle und transgender Menschen in Bukarest einen "Umzug der Vielfalt" veranstalten. Dass er diesmal durch die Innenstadt führt, zeugt vom neuen Selbstbewusstsein der Szene. Ihre Gegner setzen hingegen auf ein mögliches Referendum im Herbst. Ein lesbisches Paar in Bukarest bestärkt das in seinen Auswanderungsplänen.

Junge Frau zeigt Protestplakate in Bukarest
Ella Gligor mit ihren Protestplakaten. Links steht : PSD, beseitige deine Straftäter! Rechts: Parlament der Mafiosis Bildrechte: MDR/Annett Müller

Ella Gligor holt ihre Protestplakate aus der Abstellkammer: Mitte Mai war sie mit rund 6.000 Menschen in Bukarest auf der Straße, um gegen den umstrittenen Regierungsstil der sozialdemokratisch-liberalen Koalition zu protestieren. Die sozial-liberalen Regierungsparteien PSD und ALDE weichen seit Monaten den Anti-Korruptionskampf auf, um sich vor Strafermittlungen zu schützen. Die 37-jährige Gligor dachte anfänglich noch, mit ihren Protesten etwas bewirken zu können: "Doch jetzt haben die meisten von uns resigniert und denken nur noch ans Auswandern."

Kein Vertrauen in den Wirtschaftsboom

Junge Frau kauft auf einem Gemüsemarkt in Bukarest ein
Einkauf auf dem Gemüsemarkt: Pilze und Zwiebeln für die Pizza Bildrechte: MDR/Annett Müller

Nebenan in der Küche zerkleinert Crina Caliman frische Pilze, um damit den Pizzateig zu belegen. Seit fünf Jahren ist sie mit Ella zusammen: Sie teilen sich eine 45 Quadratmeter-Wohnung, ein Bett und ihre Liebe. Die beiden Frauen gehören zum Mittelstand, in einem Land, das im vorigen Jahr zu den am stärksten wachsenden Volkswirtschaften in Europa zählte - mit einem Wachstum von 8,7 Prozent. Die Gründe für den Boom: gut ausgebildete Fachkräfte, die westliche Firmen anziehen, Steuererleichterungen, Lohnerhöhungen im öffentlichen Dienst und eine deutliche Anhebung des Mindestlohnes auf monatlich rund 400 Euro. Doch Ella Gligor und ihre Partnerin trauen dem Boom nicht und vor allem nicht ihrer Regierung, "die versucht, Korruption zu legalisieren".

Pro Stunde acht Auswanderer

Dass die beiden Frauen auswandern wollen, ist in Rumänien ein Massenphänomen. Laut Nationalem Statistikamt verließen im vorigen Jahr rund 70.000 das Land. Das sind stündlich acht Landsleute. Rumänien verzeichnet wie kein anderes Land in der EU so viele Erwerbstätige im EU-Ausland, verkündete Eurostat Ende Mai: Es ist gut ein Fünftel der Bevölkerung. Auch die beiden Frauen aus Bukarest werden demnächst in dieser Statistik auftauchen. "Um dem willkürlichen Regierungsstil ihrer Politiker zu entkommen", fangen sie andernorts wieder bei Null an. Doch die beiden haben noch einen Auswanderungsgrund mehr als die anderen.

Verfassungsänderung gefordert

"Weißt Du noch, wie ich um Deine Hand angehalten habe?", fragt Crina schmunzelnd. "Auf einem Parkplatz", antwortet Ella lächelnd zurück, "gleich drei Monate nachdem wir uns kennengelernt haben." Seither hängt der Heiratsantrag in der Warteschleife. Denn in Rumänien gibt es weder die eingetragene Partnerschaft noch die gleichgeschlechtliche Ehe. Letztere ist im Zivilrecht sogar ausdrücklich verboten. Vielen Rumänen geht selbst das aber nicht weit genug. Sie wünschen sich, dass in ihrer Verfassung künftig nur noch die Ehe zwischen Mann und Frau zugelassen wird, statt bislang geschlechtsneutral zwischen Eheleuten. Die "Ehe für alle" bliebe dann auf lange Zeit in Rumänien verboten.

Referendum für Herbst versprochen

Drei Millionen Rumänen - und damit sechs Mal so viele wie nötig - unterzeichneten im Mai 2016 ein entsprechendes Volksbegehren. Im Herbst soll es nach Vorstellung der sozialdemokratischen Regierungspartei PSD in einem Referendum zur Verfassungsänderung münden. Den Stein ins Rollen hatte einst die "Koalition für die Familie" gebracht, ein konservatives Bürgerbündnis aus über 40 religiösen Nichtregierungsorganisationen. Angeführt wird es von Theologen, prominenten Schauspielern, Medizinern und Anwälten. Sie alle lehnen ein Interview ab, wollen in einem deutschen Medium nicht zitiert werden.

Ängste der Homo-Ehen-Gegner

Octav Bjoza, Chef des Verbandes früherer politischer Häftlinge in Rumänien in seinem Büro in Bukarest.
Gegner der Homo-Ehe, Octav Bjoza: "Unser Land verkommt ansonsten." Bildrechte: MDR/Annett Müller

Einer der wenigen, die sich zu dem Thema äußern, ist Octav Bjoza. "Wir haben in der Frage der Homosexualität eben andere Ansichten als Westeuropa", sagt er. Der 79-jährige Chef des Verbandes früherer politischer Häftlinge gilt als prominenter Unterstützer der "Koalition für die Familie" und als ausgewiesener Gegner der Homo-Ehe: "Homosexualität darf nicht unterstützt werden, sonst verkommt unser Land und die Ehe zwischen Mann und Frau wird womöglich damit zur Ausnahme werden," meint er im MDR-Interview.

Ein Angstszenario, das auch die einflussreiche Rumänisch-Orthodoxe Kirche predigt, die anders als Wissenschaftler Homosexualität nicht für angeboren hält, sondern für erworben und für eine "Sünde", zu der man nicht verführt werden dürfe. Viele Rumänen fragen sich deshalb, warum man Lesben und Schwulen das Recht der Eheschließung zugestehen soll, wenn doch die Kirche meint, dass sie durch Beichten und Beten wieder auf den richtigen Weg gebracht werden könnten?

Behandlung beim Priester?

Um solch grotesken Therapiemethoden aus dem Weg zu gehen, outen sich in Rumänien bis heute nur wenige Homosexuelle. Auch Crinas Mutter hat von Bekannten empfohlen bekommen, ihre Tochter "doch mal beim Priester behandeln zu lassen". Crina Caliman kann darüber nur den Kopf schütteln. In ihrem mehrgeschossigen Bukarester Wohnblock sind sie für die Nachbarschaft, die "Mädels von Etage 7", die offenbar Cousinen sein müssen, weil sie zusammenleben.

Ihre Liebe verstecken die beiden Frauen in den eigenen vier Wänden. Auf der Straße Zärtlichkeiten auszutauschen, sich gar zu küssen, würden sie sich nicht trauen. "Wir haben lange Blicke geerntet, es gab sinnlose Beleidigungen, auch gab es heftige Auseinandersetzungen, die zeigten, dass wir als lesbisches Pärchen hier keinesfalls sicher sind", erzählt Ella Gligor.

Umzug durch Bukarester Zentrum

Journalisten befragen Rechtskläger auf Straße in Bukarest
Journalisten umlagern am Dienstag den NGO-Aktivisten Adrian Coman (rechts im Bild), der vor dem EuGH erfolgreich zur Anerkennung seiner Homo-Ehe in Rumänien geklagt hat. Bildrechte: MDR/Annett Müller

Am Samstag will die LGBT-Gemeinschaft in Bukarest demonstrieren, in den vergangenen Jahren waren rund 2.000 Menschen zum "Umzug der Vielfalt" gekommen. Erstmals wird der Demonstrationszug durch die Innenstadt führen, beste Präsenz für die Szene, die lautstark die eingetragene Partnerschaft einfordern will. Deren Einführung scheint nach einem Urteil des Europäischen Gerichtshofes in Rumänien jetzt greifbar nahe.

Ein rumänischer Kläger hatte am Dienstag erreicht, dass seine im EU-Ausland geschlossene Homo-Ehe auch in seinem Heimatland teilweise rechtlich anerkannt werden muss - und zwar beim Aufenthaltsrecht für seinen US-amerikanischen Ehemann. Die Szene feierte das Urteil als "historische Wende". Sollte Rumänien nicht mit einer entsprechenden Gesetzgebung auf das Urteil reagieren, drohen dem Land ein Vertragsverletzungsverfahren durch die EU-Kommission und finanzielle Sanktionen.

LGBT Die Abkürzung steht für "Lesbian, Gay, Bisexual und Transgender". 2001 wurde in Rumänien im Zuge der Vorbereitungen auf den EU-Beitritt der berüchtigte Strafparagraph 200 abgeschafft: Wer sich als homosexuell outete, dem drohte bis dahin eine mehrjährige Gefängnisstrafe.

Pläne sind unumstößlich

Wohnblock in Bukarest
Im Block sind sie die "Mädels von Etage 7" Bildrechte: MDR/Annett Müller

Das jüngste Gerichtsurteil könnte auch Crina und Ella Hoffnung geben, doch sie wissen: Eheschließungen von Homosexuellen sind in breiten Teilen der rumänischen Gesellschaft absolut unerwünscht. "Das Urteil ist Wasser auf die Mühlen von rigiden Konservativen, die sagen werden: 'Schaut mal, wozu uns Europa nötigt'", sagt Ella Gligor. Der Auswanderungsplan der beiden Frauen bleibt damit trotz des Urteils unumstößlich.

Ausgerechnet nach Großbritannien wollen sie gehen, wo osteuropäischen Einwanderern viel Unsicherheit droht, jetzt wo der Brexit vor der Haustür steht. Doch sie haben Freunde dort, die ihnen den Start erleichtern könnten und sie sprechen perfekt Englisch. Außerdem werden sie dort eine Sorge weniger haben: Auf der Insel ist seit 2014 die "Ehe für alle" erlaubt.

Über dieses Thema berichtet MDR AKTUELL auch im: FERNSEHEN | 08.06.2018 | 17:45 Uhr