Kommentar: In Sofia wird der Rakija-Schnaps halbiert

16. Januar 2018, 14:52 Uhr

Bulgarien, seit 2007 Mitglied in der Europäischen Union, hat am 1. Januar 2018 erstmals die EU-Ratspräsidentschaft übernommen. Dass die Regierung aus diesem Anlass das Zentrum der Hauptstadt Sofia herausgeputzt, ist nicht verwunderlich. Doch andere Maßnahmen ähneln einem großen Täuschungsmanöver, findet unsere Autorin Rayna Breuer.

Was man alles macht, um dem Gästen aus Brüssel zu gefallen

Man macht sich hübsch: Hier noch eine Falte mit Asphalt zuschütten, da noch einen eitrigen Pickel überdecken. Das Zentrum von Sofia war mehrere Monate lang eine einzige Baustelle – es wurde poliert, renoviert, saniert wie noch nie zuvor. Denkmäler aus der sozialistischen Zeit wurden entfernt, denn Bulgarien ist ja europäisch. Die Vergangenheit wurde ausradiert, selbst in den Schulbüchern werden Todor Zhivkov und Co. kaum erwähnt. Dass es damals Arbeitslager gab, muss ja keiner wissen. Die strahlende Zukunft liegt vor uns. Mir ist grad, als hätte ich ein Déjà-vu.

Rechtspopulisten in der zweiten Reihe

Man versteckt ungeliebte Familienmitglieder. So verweist man den rechtspopulistischen Koalitionspartner in die zweite Reihe. Bloß keine rassistischen Äußerungen und keine Fotos in SS-Uniformen in den nächsten sechs Monaten. Beherrscht Euch jetzt mal! Danach könnt ihr weitermachen, denn mit Hassreden gegen Roma wird man Vizepremierminister und Verantwortlicher für Demografie und Minderheiten. Passt wie die Faust aufs Auge.

Der Bulgare fühlt sich verraten

Man verzichtet eben auch auf liebgewonnene, um nicht zu sagen überlebensnotwendige Traditionen: Der "kleine" Rakija-Schnaps wird für die Ratspräsidentschaft von 50 auf 25 Milliliter reduziert. Er wird also nicht in Wassergläser geschüttet und mit eingelegtem Gemüse serviert, sondern in sympathischen Gläsern mit langem Hals und mit Antipasti dargereicht. Zwar betrifft diese Regelung nur die Veranstaltungen, die unmittelbar etwas mit der EU-Ratspräsidentschaft zu tun haben, aber dennoch: Der Bulgare fühlt sich verraten, irgendwie gekränkt, irgendwie ausgenutzt.

Täuschungsmanöver - kein Problem für Politiker

Man muss vortäuschen, was man nicht ist. Aber das werden die bulgarischen Politiker schaffen, da bin ich mir ganz sicher. Sie täuschen eh die ganze Zeit Demokratie und Rechtsstaat vor. Nur vor Gott haben sie Angst. Wie ein ehemaliger Generalstaatsanwalt gesagt hat: "Über mir ist nur Gott." Das Recht spielt keine Rolle, es ist irgendwo da unten.

Und so müssen Unternehmen zittern, ob ihre Zulassung nicht willkürlich aberkannt wird oder ob sie mit dem Einfrieren ihrer Kapitaleinlagen erpresst werden. Das betrifft zwar in der Regel nur bulgarische Unternehmer, aber auch ausländische Unternehmer machen sich langsam Sorgen. Vereinen und Nichtregierungsorganisationen sollte die Finanzierung aus dem Ausland verboten werden, und nur durch einen Aufschrei im Ausland ist die Politik wieder zurückgerudert.

Nun wird man in den kommenden sechs Monaten ganz brav und unschuldig gucken und hoffen, dass 25 Milliliter Rakija ausreichen, um den ausländischen EU-Gästen die Köpfe zu verdrehen und den Elefanten im Raum zu ignorieren. Nazdrave!

Über Rayna Breuer Breuer wurde 1983 im bulgarischen Burgas geboren. Sie studierte in Deutschland und absolvierte ihr journalistisches Volontariat bei der Deutschen Welle. Seitdem arbeitet sie als freie Journalistin u.a. für die Deutsche Welle, WDR, Deutschlandfunk und das Osteuropanetzwerk n-ost. Breuer möchte mit ihren Geschichten den Balkan in all seinen Facetten zeigen.

Über dieses Thema berichtete MDR Aktuell auch im: Radio | 06.01.2018 | 13:22 Uhr