Schanna Nemzowa, Tochter des ermordeten russischen Oppositionellen Boris Nemzow, bei der Einweihung des „Boris-Nemzow-Instituts“  der Karlsuniversität, Prag. 08.02.2018
Nemzowa Anfang Februar in Prag. Bildrechte: MDR/Alexander Hertel

Schanna Nemzowa: "In Russland gibt es keine Perspektive für mich"

28. Februar 2018, 16:49 Uhr

In Russland herrscht keine Forschungsfreiheit, die Präsidentschaftswahl ist Makulatur und das System selbst eine Autokratie: das sagt Schanna Nemzowa, Tochter des vor drei Jahren ermordeten Oppositionellen Boris Nemzow.

Anfang Februar in der tschechischen Hauptstadt Prag: Schanna Nemzowa hat gerade in der Karls-Universität das "Akademische Boris-Nemzow-Institut für Russlandstudien" eröffnet - ein Projekt der "Boris Nemzov Foundation for Freedom", die sie Ende 2015 gegründet hat. Benannt ist diese nach ihrem Vater Boris. Der russische Oppositionelle wurde am 27.02.2015 in Moskau in unmittelbarer Nähe des Kreml erschossen. Der Fall wirft bis heute Fragen auf. Nemzowa selbst lebt mittlerweile in Deutschland und arbeitet für die "Deutsche Welle". Mit der Arbeit ihrer Stiftung will sie den Austausch zwischen Russland umd dem Westen fördern, aber auch Einfluss auf die gesellschaftliche Entwicklung des Landes nehmen.

Heute im Osten: Frau Nemzowa, warum unterstützt ihre Stiftung die Arbeit eines Russland-Forschungsinstituts gerade in Tschechien.

Schanna Nemzowa: Weil wir hier eine große russische Sprachgemeinschaft haben, sowohl unter den Studierenden, als auch in der Gesellschaft allgemein. Daher ist es der richtige Ort für das Boris-Nemzow-Zentrum. Natürlich träume ich davon, dass wir so ein Zentrum auch eines Tages in Russland haben werden und das wollen wir auch angehen.

Wie lange wird das dauern?

Schanna Nemzowa beim Interview mit der MDR , bei der Einweihung des „Boris-Nemzow-Instituts“  der Karlsuniversität, Prag. 08.02.2018.
Gefragte Gesprächspartnerin: Schanna Nemzowa bei der Einweihung des "Boris-Nemzow-Instituts“ der Karls-Universität, Prag. Bildrechte: MDR/Alexander Hertel

Ich weiß es nicht. Aber ich hätte das gern sobald wie möglich. Als wir vor drei Jahren mit der Planung begonnen haben, waren wir noch ambitionierter und nannten es die Boris-Nemzow-Universität. Heute soll der erste Schritt dahin sein. Es gibt in Russland Probleme mit der akademischen Freiheit und es ist daher wichtig, so eine Institution zu haben – auch um jene Akademiker zu beherbergen, welche in Russland Probleme haben.

Wir brauchen dieses Zentrum als eine Art Denkfabrik für die Forschung. Wir wollen, dass es komplizierte Dinge in einfachen Worten erklärt und attraktiv für ein breiteres Publikum aufbereitet – über den Akademikerkreis hinaus. Wir werden hier auch eine Sommerschule für Journalismus- und Kulturstudien haben. Diese Veranstaltungen werde ich leiten. Es ist wichtig, Journalisten aus Russland und ausländische Journalisten, die sich auf Russland fokussieren, zusammenzubringen. Wir wollen ihnen investigativen Journalismus und neue Kanäle der Verteilung von Medieninhalten beibringen. Das Institut ist die richtige Plattform dafür.

Wie führen sie das Erbe ihres Vaters weiter?

Ich denke, dass es meinerseits vielleicht nicht bescheiden ist das zu sagen, aber ich habe sehr viele Dinge getan, um meinem Vater Tribut zu zollen. Und ich bin glücklich, Gründerin der Boris-Nemzow-Stiftung, sowie Co-Gründerin des akademischen Boris-Nemzow-Zentrums zu sein.

Aber ich bin auch froh, dass ich nicht allein bin. Es gibt buchstäblich Tausende Menschen in Russland und auf der Welt, die dasselbe machen. Das ist sehr hilfreich, unterstützend und inspirierend. Außerdem ist am 27. Februar der dritte Jahrestag der Ermordung meines Vaters. Da wird der Platz vor der russischen Botschaft in Washington umbenannt. Der heißt dann Boris Nemzow Plaza.

Menschen mit Schildern bei einem Gedenkmarsch
Teilnehmer erinnerten mit fünf Mal durchschossenen Plakaten In Form der russischen Fahne daran, dass Nemzow am 27. Februar mit fünf Schüssen in den Rücken ermordet worden war. Boris Nemzow galt als einer der schärfsten Kritiker Putins. Bildrechte: MDR/Roman Schell

Warum haben Sie ihre Heimat Russland verlassen?

Aus zwei Gründen: meine Sicherheit war der eine. Und es gab keine Perspektiven für mich, für meine journalistische Arbeit und als Gründerin der Boris-Nemzow-Stiftung

Im März finden dort Präsidentschaftswahlen statt. Was bedeutet diese Wahl für Sie?

Gar nichts.

Warum "gar nichts"? Könnten Sie das erklären?

Ich werde nicht wählen gehen. Es bedeutet nichts, weil ich das Ergebnis kenne.
Und unter den anderen Bewerbern sehe ich niemanden, den ich mit meiner Stimme unterstützen wollen würde.

Das ist eine harte Aussage.

Nein, das ist meine rationale Entscheidung. Wenn ich niemanden sehe, den ich mit meiner Stimme unterstützen kann, werde ich nicht wählen gehen.

Gibt es niemanden in der russischen Opposition, den Sie unterstützen würden?

Nein. Da gab es Leute, aber denen wurde nicht erlaubt, an der Wahl teilzunehmen. [Anspielung auf Alexej Nawalny, Anm. d. Red.] Und darum werde ich nicht wählen gehen: Weil ich keine zwei Optionen habe. Ich habe keinen Kandidaten, den ich unterstützen wollen würde und ich habe nicht die Option, gegen alle zu stimmen. [schüttelt den Kopf] Die Wahlen bedeuten gar nichts, Sie müssen sie auch nicht als Wahlen bezeichnen. Es ist nur der Übergang zu Putins vierter Amtszeit.

Wie würden sie das derzeitige politische System Russlands bezeichnen?

Autoritär.

Und was wird in Russland geschehen, wenn Putin nicht mehr da ist?

Ich weiß es nicht, weil es von so vielen variablen Szenarien abhängt. Und es gibt so viele Faktoren, dass es nicht meiner akademischen Natur entspricht, dazu öffentlich Thesen aufzustellen.

Über dieses Thema berichtet der MDR auch in: HEUTE IM OSTEN: Reportage | 10.03.2018 | 18:00 Uhr