Siebenbürgen Orbán hält Lobrede auf sich selbst

25. Juli 2017, 12:08 Uhr

Jedes Jahr im Juli reist Viktor Orbán zur ungarischen Sommeruniversität ins rumänische Siebenbürgen - eines der wichtigsten politischen Ereignisse seiner Fidesz-Partei. Seine dortigen Reden sorgen für Schlagzeilen. Eine Orbán-Kritikerin wurde bei der diesjährigen Veranstaltung von Sicherheitsleuten abgeführt.

Preisfrage: Was war das wichtigste politische Ereignis im vergangenen Jahr? Etwa die US-Präsidentenwahl? Nein! Nicht, wenn es nach Ungarns Premier Viktor Orbán geht. Bei seinem alljährlichen Auftritt in Siebenbürgen betonte er am Wochenende, das wichtigste Ereignis 2016 sei das Erstarken der Visegrád-Gruppe gewesen, das selbstverständlich ihm zu verdanken sei. Man könne "wirklich stolz darauf sein", dass vier so unterschiedliche Nationen "eine Sprache sprechen" würden. 

Das ungarische Internetportal "444.hu" spöttelte nach der Orbán-Rede, die vor Unterstellungen, Beleidigungen und Selbstbeweihräucherungen nur so strotzte, dass der Premier in seiner Rede lediglich begründet hätte, warum er zur Zeit "der wichtigste Mensch der Welt" sei.

Ungarische Politik-Veranstaltung in Rumänien

Orbáns Auftritt im Kurort Baile Tusnad gilt als eines der wichtigstens Ereignisse seiner Fidesz-Partei. Jährlich treffen sich junge Intellektuelle und Parteigrößen an einem für sie symbolischen Ort - in Siebenbürgen, dem Teil, den Ungarn nach dem Ersten Weltkrieg an Rumänien verloren hatte. Der Kurort Baile Tusnad gehört zum Kreis Harghita, in dem rund 85 Prozent der dortigen Einwohner zur ungarischen Minderheit gehören. Zuhörer für die ungarischen Fidesz-Politiker gibt es damit ausreichend. Doch inzwischen geht es bei den Reden im Sommerlager nicht mehr nur um Autonomieforderungen für Siebenbürgen. Vor drei Jahren sorgte der ungarische Regierungschef mit seinem Konzept einer "illiberalen Demokratie" im Sommerlager für Schlagzeilen.

Orbán stärkt polnischer Regierung den Rücken

In diesem Jahr sicherte Orbán der polnischen PiS-Regierung seine Unterstützung in der Konfrontation mit der EU zu: "Um unsere eigenen nationalen wie auch der europäischen Interessen und der polnisch-ungarischen Freundschaft willen, müssen wir klarstellen, dass die gegen Polen gerichtete inquisitorische Kampagne niemals Erfolg haben kann, weil Ungarn alle rechtlichen Mittel der EU nutzen wird, um sich mit den Polen soldidarisch zu zeigen", betonte Orbán. Den Vizepräsidenten der EU-Kommission, Frans Timmermans, der gleichzeitig auch EU-Kommissar für Rechtstaatlichkeit ist, nannte er einen "Chefinquisitor".

Kritik an Flüchtlingsstrom

Einen guten Teil seiner Rede widmete Orbán der Migration im Allgemeinen und der Flüchtlingsfrage im Besonderen. Solidarität mit Menschen, die in Europa Schutz vor Hunger und Krieg suchen, lehnt er mit dem Argument ab, diese würden die Kultur Europas verändern. Eine solche Solidarität käme der Selbstaufgabe gleich. Inwieweit die Abschottung Europas durch Zäune und Stacheldraht die europäische Kultur verändert, diskutierte er aber nicht.

Er bezeichnete den Andrang Geflüchteter als "Invasion", gegen die sein Land nicht nur sich selbst, sondern die gesamte Europäische Union "verteidigt" habe, und beklagte, dass Ungarn die entstandenen Kosten weitestgehend habe alleine tragen müssen. Überhaupt wusste Orbán von der EU allerhand Schauergeschichten zu erzählen: Deren Eliten hätten sich gegen die eigenen Völker gewendet und würden Europa gezielt "entchristianisieren".

"Wir kennen keine erfolgreiche Integration"

Auch die rassistische Tonlage der Rede ist schwer zu überhören, knüpft Orbán doch die kulturelle Identität eines Landes explizit an die ethnische Zusammensetzung: "Die ethnische Zusammensetzung eines Landes zu ändern, bedeutet die kulturelle Identität zu verändern. Ein starkes Land kann so etwas niemals zulassen", so der Premier. Und an anderer Stelle: "Wir kennen keine erfolgreiche Integration“. Will sagen: Einwanderer anderer Ethnien verändern die kulturelle Identität zwangsläufig zum Schlechteren. Damit vertritt Orbán die Ideologie des Ethnopluralismus, die auch "Rassismus ohne Rasse" genannt wird.

Kritikerin von Sicherheitsleuten abgeführt

Mediale Aufmerksamkeit gab es nicht nur für den Ministerpräsidenten, sondern auch für einen Zwischenfall: Eine Frau, die Orbán während seiner Rede auspfiff – sie wollte damit unter anderem gegen den Ausbau des Atomkraftwerkes Páks II protestieren – wurde von Umstehenden attackiert, an den Haaren zu Boden gerissen und später von der Security vom Gelände gebracht. Der Fraktionsvorsitzende der Fidesz, Lajos Kósa, verurteilte zwar die Gewalt, relativierte sie aber sofort, indem er die "Provokation", die die Frau begangen habe in gleichem Maße verurteilte. Und so war dieses Jahr im siebenbürgischen Baile Tusnad (auf Ungarisch: Tusnádfürdö) vor allem eines zu sehen: Der Verfall der politischen Kultur Ungarns.  

Über dieses Thema berichtete der MDR auch im: Fernsehen | 24.07.2017 | 22:05 Uhr