Ein Mann auf dem Boden mit Lichterketten.
Im Festspielhaus Hellerau gibt es beim Festival "Nebenan" die Arbeiten ukrainischer Kunstschaffender zu sehen. Bildrechte: Lidia-Crisafulli

28. Juni bis 2. Juli 2023 Festival "Nebenan" in Dresden-Hellerau: Unabhängige Kunst aus der Ukraine

28. Juni 2023, 04:00 Uhr

Das Festival "Nebenan" in Dresden-Hellerau präsentiert fünf Tage lang die Arbeiten ukrainischer Künstlerinnen und Künstlern, die inzwischen zum Teil im Exil leben. In Ausstellungen, Performances oder Workshops kann man sie am Europäischen Zentrum der Künste erleben. Eine der Beteiligten ist Regisseurin Roza Sarkisian. Ihre Inszenierung "Ship. Bridge. Body" eröffnet das Festival am Mittwoch.

Energie – dieses Schlagwort fällt einem als erstes ein, wenn man Roza Sarkisian gegenübersitzt und ihr zuhört. Leidenschaftlich erzählt die Regisseurin über ihre Arbeit. Besonders, wenn die Rede auf ihr Kollektiv "Bliadski Circus Queebaret" kommt. Zirkus, queer und Cabaret taucht in diesem Namen auf und das beschreibt die wilde, intensive Mischung, die sich dabei auf der Bühne entwickelt.

Mitten im Ukraine-Krieg das Leben feiern

Von einer fantastischen Show spricht die vielfach ausgezeichnete Regisseurin, bei der das Publikum eingeladen sei, mit zu tanzen und zu feiern. Was? Das Leben – mitten im Krieg. "Wir haben uns diesen Krieg nicht ausgesucht", sagt Sarkisian. "Nach dem Euromaidan hatten wir die Wahl, unseren eigenen Weg einzuschlagen, haben wir nach eigenen Wegen in der Kunst gesucht. Dieser Möglichkeit wurden wir jetzt beraubt. Es gibt keine Wahl mehr, wenn das ganze Land überfallen wird. Was wir tun können: weiter nach Ausdrucksformen suchen und danach, wie wir als Künstler weiterarbeiten können."

Zwei Frauen blicken in die Kamera.
Der Film "Das Hamlet Syndrom" dokumentiert ein Theaterprojekt von Roza Sarkisian, in dem fünf junge Ukrainerinnen und Ukrainer ihre Kriegserfahrungen seit 2014 mit Shakespeares "Hamlet" in Beziehung setzen sollen. Bildrechte: Kundschafter Filmproduktion

Entwicklung progressiver Kunst in der Ukraine

Gegründet hat Roza Sarkisian das Kollektiv zusammen mit drei Mitstreiterinnen nach dem Angriff Russlands im vergangenen Jahr. Und auch wenn der Krieg unterschwellig immer mitschwingt, so will sie, will das "Bliadski Circus Queebaret" in erster Linie zeigen, was aktuelle ukrainische Kunst ausmacht. Im Fokus steht dabei die sich wandelnde Welt an sich.

Die 36-jährige Sarkisian gehört in ihrer Heimat zu einer progressiven Theaterszene, die sich nach dem Euromaidan 2013/14, der Revolution der Würde, wie sie in der Ukraine genannt wird, vom klassischen Theater emanzipiert hat. Als Ergebnis der Bewegung hätten sich viele unabhängige Theaterinitiativen wie das Theatre of Playwrights gegründet, erklärt Sarkisian. "Auch als eine Art Gegenreaktion zu den großen Staatstheatern, die bis dahin das Monopol innehatten, was die Auswahl der Texte betraf, die auf die Bühne gebracht wurden. Damit wurde ein Prozess in Gang gesetzt, mit dem dieses Monopol aufgebrochen wurde und sich neue, progressive künstlerische Gruppen und Ansätze etablieren konnten."

Tänzer in buntem Licht.
Eine Performance des ukrainischen Kollektivs "Bliadski Circus Queebaret", das im Exil aktiv ist. Bildrechte: Oleksil Tovpyha

"Theater of Playwrights" im Exil aktiv

Das besagte "Theatre of Playwrights", ein Kollektiv von 20 ukrainischen Dramatikerinnen und Dramatikern, stand bereits in den Startlöchern, um am 12. März 2022 ein eigenes Theater in Kiew zu eröffnen. Der russische Angriffskrieg beendete diese Pläne jäh.

Dennoch ist diese Plattform nach wie vor aktiv, im Exil – unter anderem in der Schaubühne Lindenfels in Leipzig. Auch Roza Sarkisian, die inzwischen in Warschau lebt, hat für das "Theatre of Playwrights" inszeniert. Die Premiere ihrer Musical-Performance "Ship. Bridge. Body" wird das Festival "Nebenan" in Hellerau eröffnen.

Künstlerischer Widerstand gegen den Krieg in der Ukraine

Der Prozess dieser Inszenierung, den Sarkisian als eine Art Kunsttherapie beschreibt, sei nicht einfach gewesen. Künstlerinnen und Künstler aus der Ukraine, Italien, Georgien und Deutschland stehen dabei gemeinsam auf der Bühne. Und selbst wenn in diesem Stück der Krieg nie direkt angesprochen wird, so veränderten doch die unterschiedlichen Erfahrungen der Beteiligten mit dieser Situation die ursprüngliche Idee, wie Sarkisian erklärt: "Entstanden ist ein Stück, in dem die Künstlerinnen und Künstler schon mit dem ursprünglichen Text arbeiten. Sie reichern ihn aber mit sehr persönlichen Kommentaren an. Dabei geht es unter anderem darum, zu verstehen, was in ihnen vorgeht in dieser Konfrontation mit dem Krieg. Letztlich haben sie damit ihr eigenes künstlerisch-performatives Statement geschaffen."

Tänzer in buntem Licht.
Die Musical-Performance "Ship. Bridge. Body" eröffnet das Nebenan-Festival. Bildrechte: Sara Holitschke

Schrill und gleichzeitig berührend. Eine Kombination aus Textfragmenten und persönlichen Geschichten mit Hits der 90er-Jahre, Percussion, Klavier und Gesang. Es ist letztlich Roza Sarkisians Art von Widerstand gegen den Krieg in der Ukraine, sich nicht von den bedrückenden Nachrichten, die sie täglich aus der Heimat erreichen, entmutigen zu lassen. Und gleichzeitig findet sie darin, in dieser Arbeit, wieder ein kleines Stück Freiheit.    

Weitere Informationen

"Nebenan/Поруч. Unabhängige Kunst aus der Ukraine"
27. Juni bis 2. Juli 2023

Festspielhaus Hellerau
Karl-Liebknecht-Straße 56
01109 Dresden

(Redaktionelle Bearbeitung: Cornelia Winkler)

Dieses Thema im Programm: MDR KULTUR - Das Radio | 28. Juni 2023 | 07:40 Uhr