Ein Gemälde zeigt einen Mann von hinten, der auf einem Holzgerüst am Strand steht und aufs Meer schaut
Hermann Bachmann: "Am Meer", um 1950, jetzt zu sehen in der Ausstellung "halle am Meer" im Kunstmuseum Moritzburg Halle. Bildrechte: Punctum/Bertram Kober © Nachlass Hermann Bachmann

2-teilige Ausstellung "Halle am Meer": Ausstellung zeigt Kunst von halleschen Künstlern in Ahrenshoop

24. Juni 2023, 04:00 Uhr

Seit Generationen halten sich Künstler aus Halle regelmäßig in Ahrenshoop an der Ostsee auf, um dort zu arbeiten – von Gerhard Marcks bis Moritz Götze. Eine zweiteilige Ausstellung im Kunstmuseum Moritzburg Halle und in der Kunsthalle Talstraße zeigt unter dem Titel "Halle am Meer" Hunderte Werke aus dieser besonderen künstlerischen Fernbeziehung. Die beiden Ausstellungen sind bis zum 17. bzw. 24. September 2023 zu sehen.

Geografisch irritierend: "Halle am Meer" nennt sich eine große Ausstellung in der Kunsthalle Talstraße und im Kunstmuseum Moritzburg. Sie erzählt die intensive und dramatische, ja tragische Beziehung der halleschen Kunst zu Fischland-Darß und zu Ahrenshoop im Besonderen.

Im Gegensatz zu Worpswede ist die Künstlerkolonie von Ahrenshoop wenig bekannt. Im Jahre 1892 siedelte sich der Oldenburger Maler Paul Müller-Kaempff hier in der ersehnten Naturidylle an. Schülerinnen und Schüler und Kollegen kamen dazu – und Ahrenshoops Karriere als Künstlerort begann.

Der Bildhauer Gerhard Marcks war der erste Professor der Burg Giebichenstein Halle, der sich in Ahrenshoop ansiedelte. Unter den Sommergästen des Fischerdorfes waren etliche bekannte Maler, zum Beispiel George Grosz, Erich Heckel und Alexej von Jawlensky.

Hallesche Künstler im "Bad der Kulturschaffenden"

Der ursprünglichen Ahrenshooper Künstlerkolonie bis 1945 ist der Teil der Ausstellung in der Galerie Talstraße gewidmet. Das Kunstmuseum Moritzburg versammelt die danach entstandenen Bilder, Keramiken und Fotografien hallescher Künstler. Offenbar bereits unter russisch-sowjetischer Verwaltung war die Idee entstanden, Ahrenshoop nach dem Vorbild von Peredelkino bei Moskau als "Bad der Kulturschaffenden" auszubauen. Der Kulturbund und das Kulturministerium verwalteten die Ferienplätze. So kam es, dass sowohl die neue Nomenklatura der DDR ihren Urlaub in Ahrenshoop verbrachte als auch die Künstlerschaft, die ihre Ostsee-Netzwerke ausbaute.

DDR-Regierung ging gegen Künstler aus Halle vor

Der Konflikt war programmiert, denn die besten Maler in Halle hatten die klassische Moderne fortgesetzt, entsprachen also nicht dem "Sozialistischen Realismus", und die Ausbildung an der Burg Giebichenstein folgte modernen Prämissen. Im Sommer 1951 kam es in Ahrenshoop zum Eklat. Eine von Ulrich Knispel geleitete Malerei-Klasse der Burg stellt die Ergebnisse ihres Aufenthalts in Ahrenshoop in der "Bunten Stube" aus.

Ein Blick vom Balkon eines Hochhauses auf weitere Plattenbauten
Uwe Pfeifer: "Beton und Steine" von 1972 Bildrechte: Reinhard Hentze © VG Bild-Kunst, Bonn 2023

Der Berliner Feriengast Wilhelm Girnus verreißt die Ausstellung in einem "Ferienbrief" in der zentralen Parteizeitung "Neues Deutschland" aggressiv-polemisch als westlich-formalistisch und fäulnis-dekadent: stinkende Fische statt gesellschaftlichem Fortschritt. Er fordert einen Kurswechsel und Entlassung der Lehrer, die diesem im Wege stünden.

Damit beginnt ein Kesseltreiben gegen die "Modernisten" in Halle. Knispel wird fristlos entlassen, unter Hausarrest gestellt und flieht sofort. Paul Kaiser, einer der Kuratoren, erklärt: "Im Zuge dieser Skandalisierung wurden eigentlich fast alle wesentlichen Moderne-Maler entweder kaltgestellt, in die innere Emigration getrieben oder haben die DDR verlassen."

Ein Gemälde zeigt Fische und Fischgräten
Die Ausstellung in Halle zeigt viele maritime Motive, so auch Ulrich Knispels "Fischstillleben" (um 1951) Bildrechte: David Ertl © Nachlass Ulrich Knispel

Die Ausstellung "Halle am Meer" ist mit exklusiven Werken von 60 Leihgebern gewiss der Höhepunkt der bisherigen Bemühungen, die "Hallesche Schule" gebührend zu würdigen. Bilder von Meer und Strand gehören zu ihren besten Werken, häufig still und melancholisch in stimmigen Brauntönen gehalten. Das besondere Verhältnis zwischen den Künstlern aus der "Stadt im Chemiedreieck" und ihrem Sehnsuchtsort Ahrenshoop hält danach freilich an. Jedes Fisch-Stillleben kann politisch aufgeladen sein, der Strand – in der DDR auch Grenzregime – wird oft zur politischen Landschaft.

Ahrenshoop als Sehnsuchtsort und Fernbeziehung

Jüngere Generationen setzen die "Landnahme" fort und der politische Skandal von 1951 rückt in den Hintergrund. Ahrenshoop bleibt die "Fernbeziehung". Hallesche Künstlerdynastien wie die Ehepaare Rataiczyk und Götze ziehen viele Sommer lang mit ihren Kindern nach Ahrenshoop. Der Sohn Moritz Götze malt sich noch 2011 selbst als "Der letzte Kolonist in Ahrenshoop".

Drei Bilder von Strandszenen
Der hallesche Maler Moritz Götze hat sich selbst als "letzten Kolonisten in Ahrenshoop" gemalt. Hier ein anderes Bild von ihm mit Motiven aus Ahrenshoop von 2013. Bildrechte: Markus Werner © VG Bild-Kunst, Bonn 2023

Dazu sagt Kurator Paul Kaiser: "Moritz Götze ist in gewisser Weise der Phänotyp dieser dritten Generation, der Kindergeneration der zweiten Welle, die in den 60er-Jahren in Ahrenshoop Fuß fassten, und er ist in gewisser Weise auch der Historiograph dieser ganzen Entwicklung. In seinem Triptychon, das wir hier zeigen, bündelt er all die Erfahrungen, die Künstlerkollegen aus Halle nach 1945 in Ahrenshoop gemacht haben, in einem wunderbaren Bild, und er sieht diesen Ort Ahrenshoop als einen Parallelort der halleschen Künstlerexistenz."

Das zwischen Galerie Talstraße, Moritzburg und Dresdner Institut für Kulturstudien entwickelte Projekt belegt in einem großen Panorama mit 300 Werken die zunächst überraschende Behauptung "Halle am Meer" wünschenswert deutlich. Vom 19. Jahrhundert bis in die Gegenwart: Auf nach Ahrenshoop.

Informationen zu den Ausstellungen

"Halle am Meer" – Strandzone und Naturidyll. Ahrenshoop 1945–2023
24. Juni bis 17. September 2023

Kunstmuseum Moritzburg
Friedemann-Bach-Platz 5
06108 Halle (Saale)

Öffnungszeiten:
täglich außer Mittwoch, 10 bis 18 Uhr

Eintritt:
13 Euro, ermäßigt 9 Euro, Kinder, Jugendliche bis 18 Jahren, Studierende und Auszubildende haben freien Eintritt.



Künstlerkolonie und Sommergäste: Ahrenshoop 1892–1945
24. Juni bis 24. September 2023

Kunsthalle Talstraße
Talstraße 23
06120 Halle (Saale)

Öffnungszeiten:
Mittwoch bis Freitag 13 bis 18 Uhr
Samstag, Sonntag und Feiertage 13 bis 17 Uhr

Eintritt:
8 Euro, ermäßigt 6 Euro

Ein Gemälde zeigt zerbrochene Boote am Strand
Kurt Bunge: "Zerbrochene Boote", 1959 Bildrechte: Museumslandschaft Hessen Kassel © Nachlass Kurt Bunge

Redaktionelle Bearbeitung: Hendrik Kirchhof

Dieses Thema im Programm: MDR FERNSEHEN | artour | 22. Juni 2023 | 22:10 Uhr