Kulturhauptstadt 2025 Chemnitz: So viel Theater bietet die Stadt

Nach Dresden und Leipzig ist Chemnitz die drittgrößte Metropole in Sachsen. Viel Kultur bleibt für die "graue" Stadt also nicht mehr übrig. Dennoch konnte sich Chemnitz (unter anderem gegen Dresden) in der Bewerbung als Kulturhauptstadt 2025 durchsetzen. Zum einen, weil die ganze Stadtgemeinschaft darum zu kämpfen schien, zum anderen hat Chemnitz mehr zu bieten, als es auf den ersten Blick scheint. Beides zeichnet auch die hiesige Theaterszene aus. Ein Überblick.

Mehrere Personen sitzen auf Hockern auf einer nebelbedeckten Bühne.
Der Chemnitzer Verein Taupunkt und die Gruppe FysioArt erzählten 2022 vom "deutschen Traum". Bildrechte: Laura Kaiser

Die Theaterszene in Chemnitz – eigentlich die gesamte Kunst- und Kulturszene der Stadt – ist relativ klein und gut überschaubar. Doch genau darin liegt ihr Wert: Wer in der "grauen" Stadt etwas auf die Bühne bringen will, versucht nicht einfach auf ein Karriere-Sprungbrett zu hüpfen, sondern will wirklich etwas für die Stadt schaffen. Alle Akteurinnen und Akteure werden als Bereicherung für die Stadt wahrgenommen. Und wer noch Unterstützung beispielsweise in Form von Probenräumen oder musikalischer Untermalung sucht, wird in Chemnitz schnell fündig. Man kennt und hilft sich.  

Opernhaus: Zwischen klassisch und modern 

In Chemnitz ist das Theater zentral: Drei breite Straßen laufen vor dem Theaterplatz zusammen, wo das Opernhaus gemeinsam mit den Kunstsammlungen und der Petrikirche ein architektonisch beeindruckendes Ensemble bildet. 1909 wurde das Theaterhaus mit Wagners "Parsifal" eingeweiht – und noch heute kommt diese Wagner-Tradition wieder vor. Ende der 80er-Jahre wurde eine umfassende Sanierung geplant, die auch nach der Wiedervereinigung plangemäß vollendet werden konnte. Während die historische Fassade bewahrt wurde, überrascht das Haus innen mit einer modernen und hellen Ausstattung, zu der auch moderne Kunst in Form von Gemälden und Skulpturen gehören.

Erst vor wenigen Jahren machte das Haus bundesweit auf sich aufmerksam, als es vier Regisseurinnen einlud, jeweils einen der vier Teile des "Ring des Nibelungen" zu inszenieren. Zuletzt konnte auch "Lohengrin" überzeugen. Das Programm der Opernsparte verlässt sich mit einigen Ausnahmen auf das erprobte Repertoire, deren Inszenierungen gerne mit großen Bildern (wie es sich für gute Oper gehört) und einem zeitgenössischen, aber nicht modernistischen Blick überzeugen. Opernfans kommen hier also auf ihre Kosten: Immer wieder machten später erfolgreiche Solistinnen und Solisten erste Schritte. 

Tänzerinnen in Kleidchen tanzen auf Spitze hintereinander über die Bühne.
Das Chemnitzer Ballett überzeugt mit klassischer Technik und modernen Ansätzen. Bildrechte: Nasser Hashemi

Auch das Chemnitzer Ballett ist im Opernhaus beheimatet, das seit 2017 von Sabrina Sadowska geleitet wird. Die Choreografin ist stark geprägt vom klassischen Ballett des 19. Jahrhunderts – mit Spitzentanz und Sprüngen, die die Tänzerinnen fliegen lassen. Doch Sadowska bleibt dabei immer für die Moderne offen: Ihre Märchenstücke besitzen einen zeitlosen Glanz und sie lädt immer wieder auch Gäste ein, die eine andere Tanzsprache nutzen. Auch das Festival Tanz|Moderne|Tanz richtet sie aus. 

Adresse Opernhaus
Theaterplatz 2
09111 Chemnitz

Spinnbau: In die Industriekultur ausgewichen 

Zu den Städtischen Theatern gehören noch zwei weitere Sparten, die eigentlich auch ihr eigenes Haus bespielen. Das wird aber noch bis 2026 saniert und so lange sind Schauspiel und Figurentheater in einem alten Industriebau untergekommen: dem Spinnbau. Das Schauspiel setzt gerne auf modernere Stoffe und brachte beispielsweise Paula Irmschlers Chemnitz-Roman "Superbusen" auf die Bühne oder versetzte Shakespeares "Sommernachtstraum" in die Postapokalypse. Dabei überzeugt das junge Ensemble (darunter auch einige Studierende kurz vor ihrem Abschluss) mit viel Energie. 

Eine Frau in roter Bluse und rotem Rock sitzt auf einer Bühne neben einer Puppe, die ihr ähnelt.
Das Chemnitzer Puppentheater erzählte die Geschichten von vietnamesischen Migrantinnen. Bildrechte: Dieter Wuschanski

Am meisten fällt wohl das Figurentheater heraus. Gundula Hoffmann leitet die Sparte bereits seit 2014. Als Regisseurin findet sie immer wieder spannende Spielweisen für die zu erzählenden Geschichten und findet auch immer wieder spannende Stoffe. Neben Märchen und Kindergeschichten wagt sich das Ensemble auch immer wieder an Arbeiten für älteres Publikum wie einer Adaption von Storms "Schimmelreiter". Für "So glücklich, dass du Angst bekommst" konnte sie Miriam Tscholl gewinnen, die ehemalige Gastarbeiterinnen aus Vietnam auf die Bühne einlud, wo ihre Geschichten mit Puppen nacherzählt wurden. In Chemnitz gilt das Figurentheater der Freien Szene sehr nah. 

Blick auf einen Eingangsbereich, über dem Spinnbau steht.
Bis 2026 wird das Chemnitzer Puppentheater und Schauspiel in einem Industriebau spielt. Bildrechte: MDR/Pia Uffelmann

Adresse Spinnbau
Altchemnitzer Straße 27
09120 Chemnitz

Fritz Theater: Gekonnte Unterhaltung 

Das Fritz Theater im Chemnitzer Osten ist der Orte für diejenigen, die leichte Unterhaltung nicht leichtfertig nehmen. Früher war das Haus ein Lichtspieltheater, das für den Bühnenbetrieb umgerüstet wurde. Seit 2010 betreibt das Gründungsteam Isabelle Weh, Alica Weirauch und Hardy Hoosmann ein freies Theater, das sich ein festes Ensemble leistet – auch dank einer institutionellen Förderung durch die Stadt Chemnitz. Zum Programm gehören hier vor allem Komödien und Kriminalstücke. Es ist jedoch wichtig, sich früh um Tickets zu kümmern, denn die Produktionen sind schnell ausverkauft.

Eine Frau steht zwischen Sitzreihen mit rotem Samt.
Isabelle Weh leitet seit 2010 mit einem Team das Fritz Theater in Chemnitz. Bildrechte: Katja Riga

Adresse Fritz Theater
Kirchhoffstraße 34
09117 Chemnitz

Theater KOMPLEX: Neue Perspektiven 

Theater hat immer auch viel mit Glauben zu tun, doch besonders trifft das auf die Off-Bühne KOMPLEX in Chemnitz zu, dass in dem ehemaligen Versammlungsraum einer Freikirche untergekommen ist. Dabei ist der Sonnenberg vielleicht nicht der Ort, wo man Theater vermuten würde, da er gemeinhin etwas verrufen gilt. Genau deswegen hat das Viertel ein Theater wie das KOMPLEX gebraucht, das Leerstand belebt und Theater für eine andere Zielgruppe machen möchte.  

Blick auf eine Häuserzeile. Auf einem Banner über einem Tor steht "Konplex"
Ein Tordurchgang führt zur Chemnitzer Off-Bühne in einem unscheinbaren Hinterhof. Bildrechte: Laura Kaiser

Die Leiterin der kleinen Bühne, Heda Bayer, ist nach ihrem Studium in Chemnitz geblieben und beobachtete, dass hier Theater für Publikum gemacht wurde, das schon dazu gehört, sich mit Opern auskennt und die Witze über die Chemnitzer Stadtgeschichte auf Anhieb versteht. Sie wollte Theater ermöglichen für diejenigen, die erst später in die Stadt, vielleicht sogar ins Land gekommen sind. Das Theater KOMPLEX und der dazu gehörige Verein Taupunkt e.V. holt verschiedene Gastspiele aus der Freie Szene Sachsens und der ganzen Welt nach Chemnitz. So zeigt das in Leipzig gegründete Festival Off-Europa beispielsweise einen Teil seines Programms auf der kleinen Bühne. Aber der Verein ermöglicht auch eigene (Ko-)Produktionen. Mit Unterstützung verschiedener Residenzprogramme laden sie zum Beispiel deutsche und internationale Theaterschaffende ein, die Stadt kennenzulernen und neue Stücke zu entwickeln. Die gezeigten Arbeiten gehören eher in die Kategorien Performance und Tanztheater. Es werden meist gesellschaftlich relevante und auch junge Themen mit gewagteren Formen als dem klassischen Drama verarbeitet. 

Mehrere Menschen stehen in einer Reihe vor einer Tordurchfahrt und halten sich an den Händen, um sich zu verbeugen.
Mit dem Theater Continuo aus Tschechien bespielte der Taupunkt e.V. auch das Chemnitzer Viertel Sonnenberg. Bildrechte: Franziska Kurz

Adresse Off-Bühne Komplex
Zietenstraße 32
09130 Chemnitz

Das Festival "Off-Europa: Heimat Landschaften" findet vom 14. bis zum 21. Mai 2023 in Leipzig, Dresden und Chemnitz statt.

Welt-Echo: Alternativ, bunt und einzigartig

Blick durch eine Bachlandschauft auf einen Gebäude, an dem mehrere bunte Banner hängen.
Das Weltecho ist das Zentrum für alternative Kultur in Chemnitz. Bildrechte: Roman Mensing

Das Welt-Echo ist vielleicht der wichtigste Ort für junge und alternative Kulturangebote in Chemnitz. Regelmäßig treten hier junge und gefragte Bands oder Solo-Acts auf und DJs legen auf. Außerdem werden in dem ehemaligen Zeitungshaus regelmäßig Ausstellungen und auch Theaterprojekte gezeigt. Dabei verfolgt das Team keine ausgearbeitet Programmatik, sondern arbeitet mit anderen Akteurinnen und Akteuren der Freien Szene zusammen und bietet unterschiedlichen Produktionen eine Bühne. So findet jedes Jahr das kleine Festival Kammermachen statt. 
Auch hier ist wieder Heda Bayer federführend und lädt Künstlerinnen und Künstler aus ganz Europa ein, die mit Formen zwischen Theater, Tanz und Konzert experimentieren. Wichtig ist dabei das intensive Erlebnis in dem kleinen Aufführungsort. 

Adresse Weltecho
Annaberger Straße 24
09111 Chemnitz

Das Festival Kammermachen findet vom 7. bis zum 13. November statt.

Die Stadt bespielen: Die Freie Szene

Blick auf ein Hochhaus zur blauen Stunde. Einzelne Balkone sind erleuchtet, auf denen mehrere Menschen stehen.
Beim Balkonballett wurden die Hausbewohnerinnen und Hausbewohner zu Performern. Bildrechte: Franziska Kurz

Die Freie Theaterszene in Chemnitz würde vermutlich den kleinsten Saal nicht füllen, aber ist umso mehr daran interesssiert, in die Stadt zu wirken. Dazu gehört beispielsweise Gabi Reinhardt. An Chemnitz schätzt sie zum einen, dass im Gegensatz zu Leipzig oder Berlin die Mieten noch erschwinglich sind, und zum anderen, dass sie so Freiräume bespielen kann. In ihren Arbeiten beschäftigt sie sich oft mit feministischen Themen. So hat sie in ihrem "Balkonballett" mit Bewohnerinnen und Bewohnern eines Chemnitzer Plattenbaus verschiedene Nummern erarbeitet, die sie an der Fassade, also auf den eigenen Balkonen zeigen konnte. 
Ein wichtiger Akteur ist auch der ASA-FF e.V. und das Projekt "neue unentd_ckte narrative 2025". Dabei sollen neue Erzählräume geschaffen werden, die sich vor allem für eine weltoffene und demokratische Gesellschaft und gegen Rechtsextremismus einsetzen. Dabei entstand zuletzt aber vor allem eine Arbeit auf der digitalen Bühne: ein interaktiver Comic über Gastarbeiterinnen aus Vietnam. Der Verein war aber auch maßgeblich an dem Stück "So glücklich, dass du Angst bekommst" beteiligt. 

Fast zeitgleich mit der Nominierung von Chemnitz zur Kulturhauptstadt 2025 haben sich die Theatermacherinnen und -macher im Verein Verband der Freien Darstellenden Künste in Chemnitz organisiert, der aktuell von Frauke Wetzel vom ASA-FF geleitet wird. So wollen sie die Zusammenarbeit weiter verstärken und mehr Einfluss auf die Stadtpolitik nehmen, um mehr Förderung zu erhalten. Für sie ist das Kulturhauptstadtjahr 2025 auch mit vielen Hoffnung verbunden: dass sich nicht nur Gastspiele sondern auch die Freie Szene vor Ort präsentieren kann und die Menschen in und um Chemnitz feststellen, wie vielfältig die "graue" Stadt ist. 

Mehr Theater in und um Chemnitz

Dieses Thema im Programm: MDR KULTUR - Das Radio | 30. Januar 2023 | 08:40 Uhr