Paletten mit Eiern und Hühner
Viele Hühner für viele Eier. Und nur ein Hahn. Was wird aus männlichen Küken, ein Jahr nach dem "Anti-Küken-Schredder"-Gesetz? Bildrechte: imago images/Geisser

Tierschutz-Gesetz Schicksal vieler männlicher Küken trotz "Schredderverbot" unklar

09. April 2023, 05:00 Uhr

Seit 2022 ist das Gesetz gegen das Kükentöten in Kraft. 45 Millionen männliche Hähnchen wurden bis dahin pro Jahr entweder geschreddert oder vergast. Was passiert mit den Küken, die nicht mehr getötet werden dürfen?

Nastassja von der Weiden
Bildrechte: MDR/Markus Geuther

Ostern steht vor der Tür. Die Temperaturen werden milder, das Licht verändert sich zunehmend, es ist draußen länger hell. Ostern ist für viele ein angenehmer Anlass, trotz Krise, trotz Inflation zur Familienzeit einzuladen.

Was dazugehört: Bunte "echte" Eier, gekocht und verziert. Wer nicht vegan lebt, legt sich die Eier schon zum Frühstück (wachsweich) aufs Brot. Aber auch hier, wie in allen Lebensbereichen, spielt die momentane Finanzlage eine Rolle. Henner Schönecke, Vorsitzender des Bundesverbands Ei, erklärt: "Die Verbraucher versuchen wegen der Inflation auch beim Eierkauf möglichst günstige Angebote zu finden. Die günstigsten Eier, meist aus Bodenhaltung, sind zurzeit besonders gefragt, auch günstige Bioeier beim Discounter. Hochpreisige Bioware hat es zurzeit sehr schwer".

Preiskampf nach oben

Auch das seit 2022 geltende Verbot des Kükentötens, das auch als "Kükenschreddern" bekannt war, treibt die Preise eher nach oben als nach unten. Männliche Eintagsküken aus der Legehennen­Aufzucht haben im Geschäft ums Ei nämlich keinen wirtschaftlichen Nutzen.

Deshalb wurden in der Vergangenheit rund 45 Millionen Küken unmittelbar nach dem Schlupf getötet – bevor 2022 das Verbot kam. Ex‑Landwirtschaftsministerin Julia Klöckner setzte sich damals für diesen "bedeutenden Fortschritt für den Tierschutz" ein. Landwirtschaftsverbände kritisierten den "nationalen Alleingang" und willkürliche Bestimmungen im Gesetz.

Der "nationale Alleingang" führte schon vor Inkrafttreten des Gesetzes für Spekulation. Die Hähne würden nur schnell rüber über die Grenze gefahren, um dort geschreddert zu werden, wurden Stimmen laut.

Zahl der Brütereien in Deutschland geht zurück

Rund ein Jahr später sind die Folgen spürbar: Die Zahl der Brütereien für Legehennen in Deutschland ist zurückgegangen. Es gibt noch acht Betriebe, 2020 waren es 13. 2022 sind 45 Prozent weniger Legeküken in deutschen Brütereien geschlüpft, der Rest wird importiert, vor allem aus den Niederlanden und Polen.

Was aber passiert mit den männlichen Küken, die nicht mehr getötet werden dürfen? Die Organisation "Foodwatch" berichtet, es gebe über den Verbleib von fast neun Millionen Küken, die 2022 geschlüpft seien, "nur Teilaussagen oder sich widersprechende Angaben".

Viele Hähnchen sollen demnach in Polen aufgezogen, geschlachtet und exportiert werden. Die Verbraucherschützer von Foodwatch schreiben, eine Brüterei habe gegenüber den Landesbehörden sogar angegeben, die männlichen Küken zur Tötung ins Ausland zu schicken.

Zweites Gesetz eigentlich ab 2024 in Kraft

Neben dem Verbot des Tötens frisch geschlüpfter Küken brachte die frühere Landwirtschaftsministerin Klöckner noch eine andere Regelung auf den Weg: Ab 2024 soll ein strengeres Tierschutzgesetz greifen, das auch Hühnerembryonen im Ei schützt.

Geschlechtsbestimmungen sind dann nur noch bis zum siebten Bebrütungstag möglich, danach dürfte ein Ei nicht mehr zerstört oder zu Futtermittel verarbeitet werden.

Landwirtschaftsminister Cem Özdemir plant nun, Brütereien hierfür mehr Zeit zu geben. Das Ministerium beruft sich auf neue wissenschaftliche Erkenntnisse, wonach Hühnerembryonen vor dem 13. Bebrütungstag kein Schmerzempfinden haben sollen. Mit dieser Aussicht könnten sich einige Betriebe in Zukunft wohl arrangieren: Geschlecht im Ei feststellen und erst gar nicht erst schlüpfen lassen.

Tierschützer mit rigoroser Forderung

"Dass weibliche und männliche Küken selektiert werden können, noch bevor das Schmerzempfinden beginnt, ist für die Brütereien und die Legehennenaufzucht ein riesiger Fortschritt", sagte der agrarpolitische Sprecher der FDP-Fraktion Gero Hocker dem Redaktionsnetzwerk Deutschland.

Ähnlich sieht das Susanne Mittag, Sprecherin für Ernährung und Landwirtschaft der SPD-Bundestagsfraktion: "Die neuesten wissenschaftlichen Erkenntnisse grenzen den Zeitraum für das Schmerzempfinden deutlich stärker ein, als es bisher der Fall war", sagte sie dem RND. "Es ist gut, dass wir damit eine neue Grundlage für eine rechtliche Anpassung haben und noch ausreichend Zeit, diese umzusetzen."

Tierschützer sehen die Pläne kritisch. Der Deutsche Tierschutzbund findet weiterhin, dass das Kükentöten, ob im Ei oder nach dem Schlüpfen, rigoros zu verbieten sei.

MDR/AKTUELL/Exakt(vdw)

Dieses Thema im Programm: MDR AKTUELL RADIO | 07. Januar 2023 | 06:00 Uhr

6 Kommentare

Jenny0212 am 10.04.2023

Was in den Ställen widerlich ist meinen Sie? Gibt es da irgend etwas was nicht widerlich, schlimm,traurig, Herz zerreißen, dramatisch, grauenvoll ist?

Petras am 09.04.2023

Eine Lösung wäre das Zweinutzungs-Huhn.
Es darf nicht sein, dass die billigste Lösung unter Inkaufnahme von Tier-Leid vorgezogen wird!

Es ist überhaupt nicht klar, ab wann das Küken wirklich Schmerzen empfindet. Noch vor einigen Jahrzehnten war umstritten, ob Tiere überhaupt Schmerzen empfinden, heute bestreitet dies kaum ein Wissenschaftler. Warum reicht nicht die Möglichkeit des Schmerzempfindens, um andere Lösungen zu finden?

Ich verzichte auf Eier, solange Hühner unter Brustbeinbrüchen und Osteoporose wegen zu hoher Ei-Leistung leiden, Küken im Ei getötet werden und die wiederkehrende Stallpflicht die artgerechte Freilandhaltung unmöglich macht!

Peter W. am 09.04.2023

Warum sollen andere sich für Themen einsetzen, die Ihnen gegen den Strich gehen?

Wenn Ihnen die Missstände in der Geflügelwirtschaft wirklich so nahe gehen, warum engagieren Sie sich dann nicht selbst?

Hauptsache wieder eine Gelegenheit zum Meckern genutzt…

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