Ein Hahn im Stall. Auf dem Hof Biophilja werden schon immer männliche und weibliche Küken aufgezogen.
Kükentöten ist inzwischen verboten. In Halle-Osendorf spielt das keine Rolle, passierte hier bei Familie Thielicke nämlich sowieso nicht. Bildrechte: MDR/Daniel Tautz

Kükentöten abgeschafft Schreddern verboten: Wie jetzt mit all den lebenden Hähnen umgegangen wird

16. Januar 2022, 18:27 Uhr

Auf deutschen Höfen darf seit Jahresbeginn kein Küken mehr getötet werden. Für rund 40 Millionen junge Hähne müssen die Betriebe eine Lösung finden. Optionen gibt es: Die Hähne aufziehen? Ihr Schlüpfen verhindern? Eine Suche zwischen maschinellen Großbetrieben und kleinem Biohof im Süden von Sachsen-Anhalt.

Daniel Tautz vor einer grauen Wand
Bildrechte: MDR/Jörn Rettig

  • Wegen mangelnder Wirtschaftlichkeit wurden in der Eierindustrie männliche Küken bisher oftmals getötet. Seit dem 1. Januar 2022 ist das gesetzlich verboten.
  • Nun müssen die Betriebe entscheiden, ob sie die Küken aufziehen, das Geschlecht im Ei bestimmen oder auf andere Hühnerrassen setzen. Ein Hof in Halle arbeitet mit sogenannten Zweinutzungshühnern.
  • Eines der Probleme, die mit dem Gesetz aufgekommen sind: Manche Höfe bringen ihre Eier einfach ins Ausland – und nutzen eine Lücke im System.

Kikerikiiii. Der krächzend-laute Hahnenschrei komplettiert den malerischen Sonnenaufgang über Halle-Osendorf. René Thielicke läuft zu einem der mobilen Stallwagen und klopft an die Verkleidung. "Guten Morgen", ruft er, bevor er die Luke zum Inneren öffnet – und, wild durcheinander gackernd, seine Hühner nach draußen flitzen.

Der absolut größte Teil von ihnen sind Hennen, 485 leben momentan auf dem Hof Biophilja von René Thielicke und seiner Frau Sabine. Zwischen ihnen stolzieren einige Hähne. "Das ist total wichtig für das Sozialverhalten", erklärt René Thielicke.

Hennen für die Eier, Hähne fürs Fleisch

Auch all die Brüder zu den Hennen sind hier mit aufgezogen worden. 24 Wochen lang haben sie auf dem Hof gelebt, bevor sie geschlachtet wurden. Die Hennen, für die Eier zuständig, bleiben insgesamt zwei Jahre. Familie Thielicke arbeitet nur mit solchen Zweinutzungshühnern, die sowohl fürs Fleisch als auch für die Eier gehalten werden. Doch dazu später mehr.

René Thielicke betritt den nun leeren Stallwagen, sammelt die Eier aus dem Stroh. "Unsere Hühner legen 220 im ersten und 180 im zweiten Jahr", erzählt er, während er die Eier behutsam in eine Kiste packt. Dazwischen liegt eine Regenerationsphase für die Hühner, die sogenannte Mauser. In der konventionellen Landwirtschaft mit den hochgezüchteten Hybridhühnern läuft das anders. "Dort habe ich vom aktuellen Zuchtziel des 500-Eier-Huhns gehört. In 14 bis 16 Monaten, ohne Regenerationsphase und dann ab zum Schlachthof."

Darauf wurden die Legelinien der konventionellen Landwirtschaft in den vergangenen Jahrzehnten hingezüchtet. Die Hennen sollten die maximale Zahl an Eiern legen. Die Hähne tun das nicht und wurden deshalb direkt nach dem Schlüpfen getötet – bis jetzt. Ein neues Gesetz verbietet das Kükentöten seit dem 1. Januar 2022. Welche Möglichkeiten bleiben den Betrieben?

Option 1: Die männlichen Küken aufziehen

Eine naheliegende Möglichkeit: anstelle des sofortigen Todes können die Junghähne aufgezogen und später im Schlachthof zur Fleischerzeugung genutzt werden. Bei der Züchtung der Legelinien habe die Fleischleistung allerdings keine Rolle gespielt, sagt Steffen Maak vom Forschungsinstitut für Nutztierbiologie. "Und entsprechend sind die männlichen Tiere in ihrer Fleischleistung hoffnungslos den Linien unterlegen, die direkt dafür gezüchtet worden sind", erklärt er. "Um das mal drastisch zu sagen: Diese Bruderhähne sehen fast aus, als wären sie unter Hungerbedingungen gehalten worden, wenn man sie neben einen Broiler-Schlachtkörper legt."

Doch bereits vor dem neuen Gesetz gab es Höfe – viele davon aus dem Biobereich – die sich für die Aufzucht entschieden haben. Leonie und Annalina Behrens vom Erzeugerzusammenschluss Fürstenhof zum Beispiel. 2012 haben die beiden Schwestern ein Konzept zum Retten der Küken entwickelt, die Marke "haehnlein" geschaffen und diese dem Handel angeboten. So ziehen sie auf ihren Höfen Bruderhähne auf – und stehen seitdem vor eben diesen Problemen. Die Hähne der Legelinien halten sie drei- bis viermal so lange wie klassische Masthähnchen. "Das verursacht entsprechend hohe Kosten. Hinzu kommt, dass wir weniger wertvolles Filet haben, das den Kosten gegenübergestellt werden kann."

Heute arbeiten sie mit mehr als 20 Betrieben zusammen, ein Großteil aller deutschen Bio-Eier stammt von ihnen. "Die Aufzucht funktionierte bei uns von Anfang an über eine Querfinanzierung der Eier", sagen sie. Im Vergleich zu anderen Bio-Eiern kosten ihre ein paar Cent mehr – und damit wird die Aufzucht der männlichen Küken subventioniert.

Im Laufe der Jahre haben sich einige weitere Eier-Marken mit garantierter Aufzucht der Bruderhähne gegründet. Aus der Sicht des Nutztierexperten Steffen Maak wird das aber eher eine Nische bleiben. "Das funktioniert in relativ kleinen Märkten, wo Leute aus prinzipiellen Erwägungen bereit sind, deutlich mehr auszugeben für Eier", sagt er. "Aber es muss ein Anreiz geschaffen werden für die Produzenten, dass sie dieses eigentlich ineffiziente Produktionsverfahren anwenden."

Option 2: Das Geschlecht schon im Ei bestimmen

Viele Brütereien und Betriebe setzen auf technische Verfahren, um das neue Gesetz einzuhalten: die Geschlechtsbestimmung im Ei. So gibt es bereits praxistaugliche Verfahren wie das des Unternehmens Seleggt. Dabei wird mithilfe von Lasern ein feines Loch in der Schale erzeugt, Flüssigkeit entnommen und diese auf das Geschlecht des Embryos untersucht. Die weiblichen Eier können dann weiter bebrütet werden, die männlichen nicht. 

Vier Millionen Küken seien 2021 so "ohne Kükentöten" in die Lieferketten gegeben worden, teilt Seleggt MDR SACHSEN-ANHALT mit. Im kommenden Jahr könne diese Zahl voraussichtlich durch drei weitere Maschinen vervierfacht werden.

Küken-Geschlechtsbestimmung im Ei
Küken-Geschlechtsbestimmung im Ei Bildrechte: SELEGGT GmbH

Doch auch die Geschlechtsbestimmung steht vor einer problematischen Diskussion: Ab wann ist das Embryo eines Kükens schmerzempfindlich? Dem Nutztierexperten Steffen Maak zufolge besteht ein gewisser wissenschaftlicher Konsens, dass Embryonen des Huhnes bereits ab dem siebten Tag ein Schmerzempfinden haben. 

Deshalb hat das Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft eine geplante Verschärfung des Gesetzes terminiert: ab 2024 muss die Geschlechtsbestimmung im Ei bis zum sechsten Bruttag stattfinden. Das Seleggt-Verfahren erkennt das Geschlecht derzeit erst ab etwa dem neunten Bruttag.

Das Unternehmen teilt mit, dass es sehr intensiv und kostspielig an einer Verfrühung der Geschlechtsbestimmung forscht. Dennoch gehe man aber nicht davon aus, das geforderte praxistaugliche Sechs-Tage-Verfahren rechtzeitig vorstellen zu können. Stattdessen setze man auf eine Überarbeitung der Gesetzeslage, die die Geschlechtsbestimmung auch nach dem sechsten Tag noch erlaubt. Das Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft hat eine entsprechende Studie in Auftrag gegeben.

Die meisten Biomarken lehnen die Geschlechtsbestimmung übrigens grundsätzlich ab – unter anderem, da dies das Töten des Kükens nur vorverlege.

Option 3: Kükentöten im Ausland

Politisch ist es nicht gewollt, doch es bleibt eine Lücke im System: das Ausland. Denn mit dem Verbot des Kükentötens ist Deutschland alleine vorgestoßen – was zum Beispiel in Polen oder den Niederlanden mit den männlichen Küken geschieht, ist davon nicht betroffen.

"Das Gesetz ist der größte Witz aller Zeiten", erzählt eine kleinere Brüterei aus Nordrhein-Westfalen im Gespräch mit MDR SACHSEN-ANHALT. "Unsere Eier bringen wir jetzt alle über die Grenze nach Polen", sagt der Landwirt. "Und zurück kommen einfach nur die Legehennen." Teure Maschinen zur Geschlechtsbestimmung könne er sich für seine Brüterei nicht leisten. Da bleibe das die einzig wirtschaftliche Möglichkeit. 

Auch Nutztierexperte Maak weist auf dieses Problem hin: "Die Gefahr ist groß, dass Deutschland mit solchen Alleingängen in Richtung Tierschutz dafür sorgt, dass wir unsere Tierschutzprobleme nur exportieren." Maak warnt aber auch vor einer Dramatisierung der Lage. Er glaube nicht, dass jetzt alle Brütereien und Höfe ins Ausland gehen.

Der Biologe erklärt das mit dem Verbot der Käfighaltung im Jahr 2007. Auch damals sei Deutschland vorgeprescht und es sei befürchtet worden, dass dadurch irgendwann nur noch 35 Prozent der Eier aus dem eigenen Land stammen. "Die Realität war dann: Es ging bis auf 60 Prozent runter und hat sich trotz des Verbots der Käfighaltung wieder auf 70 bis 75 Prozent stabilisiert", sagt Maak rückblickend. Und so sehe er das auch mit dem Verbot des Kükentötens: "Es wird eine Abwanderung ins Ausland geben, definitiv. Aber unterm Strich wird sich das auf lange Sicht wieder hier etablieren."

Option 4: Andere Hühnerrassen halten

Zurück zu Familie Thielicke auf ihrem Biohof am Stadtrand von Halle. Auf sie kommt mit dem neuen Gesetz keine Umstellung zu. Denn bei ihnen leben sogenannte Zweinutzungshühner. Im Vergleich zu den gezüchteten Legerassen legen bei denen die Hennen zwar weniger Eier, die Hähne setzen dafür aber deutlich mehr Fleisch an. Eine Mischkalkulation also.

Aus der Sicht des Biologen Steffen Maak wäre das mit dem entsprechenden politischen Willen durchaus auch in der Breite möglich, er hält es aber mit Blick auf den Gesamtmarkt für absolut unrealistisch. "Man muss klipp und klar sagen: Die sind wirtschaftlich unter den gegenwärtigen Bedingungen in keiner der beiden Disziplinen konkurrenzfähig."

239 Eier pro Kopf pro Jahr

Zudem sei es schwer vorstellbar, dass Deutschland sich da eine Insellösung schafft und völlig vom Weltmarkt abkoppelt. "Das würde heißen, dass die komplette etablierte Produktion verschwinden und neu aufgebaut werden müsste", sagt Maak. Und zwar bei einem hohen Eierkonsum in Deutschland – 239 Stück sind es derzeit pro Kopf und Jahr.

Familie Thielicke ist da zuversichtlicher. Die Politik müsse für das Wohl der Tiere nur genügend Anreize schaffen, sagt Landwirtin Sabine Thielicke. "Es geht da leider derzeit nur übers Geld, wenn Betriebe mit großen Tierzahlen wirtschaften und dabei nur wenig Ertrag generieren können." Und natürlich muss auch die Bevölkerung bereit sein, mehr Geld für ein Ei zu bezahlen.

Am Ende ist es ein Zusammenspiel aller Beteiligten: Die Politik hat mit dem Verbot des Kükentötens eine neue Grundlage geschaffen – und die Betriebe entscheiden jetzt, wie sie damit umgehen. Auch der Handel hat einen Einfluss, welche Produkte er listet oder nicht. Aber den wohl größten Einfluss haben: Wir alle. Mit der Entscheidung, was, wie viel und woher man kauft.

MDR (Daniel Tautz)

Dieses Thema im Programm: MDR SACHSEN-ANHALT HEUTE | 16. Januar 2022 | 19:00 Uhr

5 Kommentare

Ramona am 17.01.2022

Dazu sage ich folgendes: Diese Tiere sollten nicht getötet werden, wir sollten unsere Ernährung überdenken. Vielleicht sind sie nicht profitablel, das rechtfertigt nichts. Da geht es den Menschen, wie den Tieren. LG

Anni22 am 17.01.2022

Das wär zwar schön, aber letztlich wird es laufen wie immer, es wird woanders in der EU oder außerhalb produziert, billig und mit dem Üblichen schreddern. Denn egal was der Käufer zahlt, da sind Genug dazwischen (wenn Sie nicht direkt beim Bauern kaufen), die den Gewinn gerne abschöpfen. Und echte Bioproduktion gibt es bei weitem nicht genug. Im besten Fall gehen die Billigeier dann halt in die Weiterverarbeitung und nicht an den Endkunden.

Monazit am 17.01.2022

Das dürfte wohl eine der größten sozialen Fragen unserer Zeit sein. (auch wenn man die natürlich nicht auf Grünen-Wähler und andere reduzieren sollte)

Sollte z.B. weniger gegflogen werden? Ja, unbedingt!
Müssen dafür Flüge teurer (besteuert) werden? Wäre wohl vernünfig.
Sollten sich nur reiche Leute Flugreisen leisten können? Auf keinen Fall.
Sollte der Staat lieber Flugmarken, ähnlich Essensmarken nach dem Krieg, verteilen? Auch nicht wirklich.

Ähnlich dürfte es mit Eiern, Steaks und Klamotten verhalten und die einfache, für alle gerechte, aber dennoch liberale Lösung scheint es nicht zu geben.

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