Polizei-Hubschrauber
Jährlich werden in Deutschland rund 100.000 Menschen als vermisst gemeldet. Bildrechte: imago images / onw-images

Kriminalisitik Vermisste Personen - wann greift die Polizei ein?

22. September 2022, 17:49 Uhr

Seit einem Jahr fehlt von der Leipziger Studentin Yolanda jede Spur. Die Polizei sucht noch heute nach ihr. Doch die Ermittler gehen nicht jedem Vermisstenfall nach. Wir erklären, wann eingegriffen wird und wann nicht.

Seit dem 25. September 2019 ist die Leipziger Studentin Yolanda Klug verschwunden. Die letzte bekannte Spur: Die 23-Jährige hatte sich auf den Weg zu einem Möbelhaus in Günthersdorf gemacht. An einer Straßenbahnhaltestelle im Leipziger Süden wurde sie zuletzt gesehen.

Seitdem gibt es kein Lebenszeichen mehr von ihr. Nur wenige Stunden später wurde sie bereits bei der Polizei als vermisst gemeldet. Bis heute ermitteln die Beamten und versuchen Hinweise zu finden, die das Verschwinden von Yolanda aufklären.

BKA-Liste: 9.200 Vermisste oder unbekannte Tote

Anfang März 2020 waren in der Datei "Vermisste/Unbekannte Tote" des Bundeskriminalamtes insgesamt rund 9.200 Fälle gespeichert - einer davon ist Yolanda. Täglich kommen etwa 200 bis 300 hinzu, fast ebenso viele werden täglich wieder gelöscht, weil die Vermissten gefunden werden.

Die Spur der Täter Logo 37 min
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Vermisste Erwachsene werden nicht immer gesucht

Volljährige Menschen gelten als vermisst, wenn sie ihr gewohntes Umfeld verlassen, ihr derzeitiger Aufenthaltsort unbekannt ist und wenn von einer Gefahr für Leib und Leben ausgegangen werden kann.

Sind Erwachsene verschwunden, wird auch in Betracht gezogen, dass sie vielleicht ein neues Leben anfangen - und ihre Vergangenheit sowie ihre Verwandten und Bekannten hinter sich lassen wollen. Wer im Vollbesitz seiner geistigen und körperlichen Fähigkeiten ist, kann sich für einen Aufenthaltsort entscheiden, ohne es seinem näheren Umfeld mitzuteilen.

Eine Frau zieht einen Rollkoffer
Sind auch Koffer und persönliche Gegenstände verschwunden, könnte die vermisste Person "untergetaucht" sein. Bildrechte: imago images/A. Friedrichs

Fehlen Koffer und persönliche Gegenstände einer Person, kann man auch davon ausgehen, dass sie diese bewusst mitgenommen hat. Bei einer ansonsten zuverlässigen Mutter, die plötzlich nicht mehr nach Hause kommt, betrachten die Ermittler den Fall jedoch anders. In schwerwiegenden Fällen können Sonderkommissionen gebildet werden. "Diese erarbeiten eine Struktur, die gewährleistet, dass die Beamten vielen Hinweisen nachgehen können", sagt Wolfgang Benz, früherer Kriminalhauptkommissar bei der Hamburger Polizei war.

Grundlage einer Polizeisuchaktion: die Vermisstenanzeige

Damit die Ermittler überhaupt aktiv werden können, muss eine Vermisstenanzeige vorliegen. Ist eine solche bei der zuständigen Dienststelle für ein Kind eingegangen, werden sofort Suchmaßnahmen eingeleitet.

Die Polizisten beginnen damit, das Wohnumfeld und die nähere Umgebung zu durchkämmen. Bleibt dies ergebnislos, wird der Kriminaldauerdienst informiert. Dort sind rund um die Uhr Mitarbeiter im Einsatz.

Das enthält eine Vermisstenanzeige - ein aktuelles Foto der oder des Vermissten
- letzter bekannter Aufenthaltsort
- Kleidung beim Verschwinden
- eine Liste der möglichen Aufenthaltsorte und Erreichbarkeiten von Kontaktpersonen
- eine Zusammenstellung der eventuell benötigten Medikamente
- Angaben über den gewohnten Tagesablauf

Aufklärungsquote bei Kindern liegt bei 98 Prozent

Die Polizei geht zunächst immer davon aus, dass es sich bei dem Verschwinden eines Kindes um keine Straftat handelt. Tatsächlich liegt die Aufklärungsquote bei Minderjährigen-Vermisstenfällen bei 98 Prozent. Die Ermittler fragen zu Beginn standardmäßig ab, ob das Kind schon einmal ausgerissen ist und an welchen Orten es sich aufhalten könnte. Dazu werden auch Freunde des Kindes kontaktiert und Krankenhäuser abtelefoniert.

Es kommt immer wieder vor, dass Kinder sich einfach verstecken oder sich nicht trauen, wegen einer schlechten Note nach Hause zu kommen. Manchmal wollen sie sich auch einen Scherz erlauben und werden im Keller oder auf dem Dachboden gefunden.

Wolfgang Benz, Kriminalhauptkommissar a.D. bei der Hamburger Polizei

Fahndung nach vermissten Kindern hat oberste Priorität

Bleibt die erste Suche nach einem vermissten Kind ohne Erfolg, wird nachgeforscht, ob der oder die Minderjährige weggelaufen ist. Auch jetzt gehen die Beamten noch nicht zwingend von einer Straftat aus.

Die Suche nach Kindern gilt als "Prioeinsatz" - die Beamten behandeln den Fall vorrangig und stellen andere Fälle zurück, soweit das möglich ist. "Bei Prio-Einsätzen spielt die Wirtschaftlichkeit nur eine untergeordnete Rolle", erklärt Wolfgang Benz. Mithilfe von Hubschraubern mit Wärmebildkameras wird die Umgebung durchforstet, auf großen Gebieten wie Waldstücken sind weitere Einheiten im Einsatz. Falls das Kind ein Handy besitzt, wird versucht, dieses zu orten.

Führt noch immer keine Spur zu dem vermissten Kind, wird es wahrscheinlicher, dass doch eine Straftat dahinter steckt. Nun wird auch das familiäre Umfeld näher beleuchtet. In der Regel gründet sich zu diesem Zeitpunkt eine Sonderkommission aus Kriminalbeamten, die sich nur mit diesem Fall beschäftigen.

Suchinitiativen Auch die Initiative "Vermisste Kinder" hilft bei der Suche nach verschwundenen Kindern.

Sie ist europaweit ganztägig erreichbar unter der Notrufnummer 116 000.

Die Öffentlichkeitsfahndung

Sind erste Suchmaßnahmen ins Leere gelaufen, gehen die Ermittler mit dem Verschwinden des Kindes an die Öffentlichkeit - es werden Zeugenaufrufe gestartet. Um besonders viele Menschen zu erreichen, werden oft auch Hinweisportale eingerichtet.

Auch die Aktionen der Polizei werden weiter ausgeweitet. Hier können Mantrailer-Hunde zum Einsatz kommen, die menschliche Gerüche über große Strecken zurückverfolgen oder Polizeitaucher, die die Gewässer in der Nähe absuchen.

Generell gilt: Je länger das Kind verschwunden ist, desto intensiver suchen die Beamten. Hier können auch Kinder- oder Jugendpsychologen als Experten herangezogen werden. Führen all diese Bemühungen zu keinem Ergebnis, werden die Fälle an sogenannte "Cold-Case-Behörden" übermittelt, die versuchen, neue Ermittlungsansätze zu finden.

Cold Case Als Cold Case (engl. = kalter Fall) werden Altfälle bezeichnet.

So verlief die Suche nach Yolanda

Vermisste Studentin galt als zuverlässig

Nach dem Bekanntwerden des Verschwindens von Yolanda begann die Polizei schnell mit der Suche. Denn es war bekannt, dass die Studentin unter wiederkehrenden Ohnmachtsanfällen litt. Die letzte noch bekannte Kontaktperson war eine Freundin. Mit der die bis heute vermisste Studentin am 25. September 2019 verabredet war: Nach einem Besuch in einem Möbelhaus wollte sich Yolanda mit ihr an der Burg Giebichenstein treffen. Doch dort kam sie nicht an. Yolanda galt bei ihrer Familie und im Freundeskreis als zuverlässig. Aus diesem Grund entschied sich die Polizei, schnell zu handeln.

Spürhund im Einsatz - Öffentlichkeit eingeschaltet

Noch in der Nacht wurde ein Spürhund eingesetzt, der Yolandas Fährte von ihrer Wohngemeinschaft in der Körnerstraße bis zur Straßenbahnhaltestelle am Südplatz verfolgte. Schon am nächsten Tag ging die Polizei mit dem Verschwinden der Studentin an die Öffentlichkeit und schaltete Zeugenaufrufe. Umliegende Krankenhäuser wurden abgefragt. Eine Spur zu Yolanda konnte nicht gefunden werden. Zwei Tage später entschloss sich ihr Vater, in Leipzig bei der Suche nach seiner Tochter zu helfen.

Ermittlungen durch die Staatsanwaltschaft

Vier Tage nach Yolandas Verschwinden wurde die Gegend rund um das Möbelhaus in Günthersdorf durchkämmt. Doch auch hier fand sich keine Spur. Für eine Überprüfung der Aufnahmen der Überwachungskameras aus der Straßenbahn kamen die Beamten zu spät. Diese waren inzwischen routinemäßig gelöscht. Am 1. Oktober 2019 wurde der Vermisstenfall der Leipziger Staatsanwaltschaft übergeben, denn inzwischen konnte eine Straftat nicht mehr ausgeschlossen werden.

Groß angelegte Suchaktionen

Noch eine weitere Woche später waren 100 Polizeibeamte und drei Spürhunde im Einsatz, um den Bereich rund um das Möbelhaus zum wiederholten Male auf Spuren hin zu überprüfen. Im weiteren Verlauf wurden auch Polizeitaucher hinzugezogen, die den Saale-Elster-Kanal und einen Weiher bei Günthersdorf durchsuchten.

Einen Monat nach Yolandas Verschwinden wurde schließlich auch ihr familiäres Umfeld durchleuchtet, ihre Angehörigen wurden mehrmals vernommen. Yolandas Vater erklärte, dass es seit dem Verschwinden der jungen Studentin keinerlei Aktivitäten auf ihrem Konto oder ihren Social-Media-Kanälen gegeben hätte.

Letzter bisheriger Hoffnungsschimmer verpufft

Nachdem Yolanda nunmehr fast zwei Monate lang verschwunden war, erhielten die Ermittler den Hinweis, dass die vermisste Studentin möglicherweise nach Halle gefahren sein könnte, ohne ihrer Freundin Bescheid zu geben. Daraufhin durchkämmten die Beamten mit Spürhunden und Polizeitauchern das Areal rund um den Campus der Burg Giebichenstein nach Spuren. Die Spur verlief ins Nichts. Die Ermittlungen der Polizei dauern bis heute an.

Dieses Thema im Programm: MDR FERNSEHEN | Kripo Live | 20. September 2020 | 19:50 Uhr

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