Nancy Faeser (SPD) Bundesministerin des Innern und Heimat, und Holger Münch, Präsident des Bundeskriminalamtes (BKA), präsentieren die Polizeiliche Kriminalstatistik 2023 (PKS).
Bundesinnenministerin Nancy Faeser (r) präsentiert gemeinsam mit BKA-Präsident Holger Münch die Polizeiliche Kriminalstatistik 2023. Bildrechte: picture alliance/dpa | Britta Pedersen

Polizeiliche Kriminalstatistik Gewaltkriminalität um 8,6 Prozent gestiegen

09. April 2024, 12:54 Uhr

Die Zahl der Straftaten in Deutschland ist im vergangenen Jahr um 5,5 Prozent gestiegen. Dies geht aus der Polizeilichen Kriminalstatistik 2023 hervor. Kritik an der Datengrundlage übt ein Kieler Wissenschaftler. Diskussionen über vorab veröffentlichte Zahlen gab es seit dem Wochenende.

Mehr Diebstähle, mehr Gewaltdelikte: Die Zahl der Straftaten in Deutschland ist im vergangenen Jahr deutlich gestiegen und lag damit auf dem höchsten Stand seit 2016. Insgesamt registrierten die Behörden 5,941 Millionen Fälle von Kriminalität, wie aus der polizeilichen Kriminalstatistik 2023 des Bundeskriminalamts (BKA) hervorgeht. Demnach wurde ein Anstieg von 5,5 Prozent im Vergleich zum Vorjahr und von 9,3 Prozent gegenüber dem letzten Vor-Corona-Jahr 2019 ermittelt.

Zuletzt war die Gesamtzahl der Straftaten im Jahr 2016 höher. Starke Anstiege wurden 2023 bei der so genannten Gewaltkriminalität und bei Diebstahlsdelikten registriert. Allein 1,97 Millionen Fälle wurden der Diebstahlskriminalität zugeordnet - ein Plus von 10,7 Prozent im Vergleich zu 2022. Rund 214.000 Fälle gab es in der Gewaltkriminalität, also Körperverletzungen, Raubdelikte und verschiedene Sexualstraftaten. Das waren 8,6 Prozent mehr als 2022.

Anstieg bei Anteil ausländischer Verdächtiger

Besonders stark stiegen Zahl und Anteil der ausländischen Tatverdächtigen. Während die Zahl der deutschen Verdächtigen innerhalb eines Jahres nur um ein Prozent auf etwa 1,32 Millionen anstieg, wuchs die Zahl der nichtdeutschen Tatverdächtigen um 17,8 Prozent auf rund 923.000 an. Der Anteil nichtdeutscher Verdächtiger an allen Verdächtigen nahm um 3,7 Prozentpunkte zu und lag bei 41,1 Prozent. 

Bei den Diebstahlsdelikten stieg die Zahl der nichtdeutschen Tatverdächtigen sogar um 22,8 Prozent, die der deutschen Verdächtigen dagegen nur um 7,4 Prozent. Trotzdem gab es in dem Bereich mit gut 237.000 immer noch mehr deutsche als nichtdeutsche Verdächtige. Hier waren es knapp 187.000, darunter rund 52.000 Zugewanderte. Allerdings war beim Diebstahl die Aufklärungsquote mit knapp 32 Prozent zwar höher als 2022, aber wie üblich recht niedrig.

Bundesinnenministerin Nancy Faeser plädierte dafür, die stark gestiegenen Zahl sowie den Anteil ausländischer Verdächtiger "ohne Scheu und Ressentiments" zu diskutieren. Neben unmittelbaren strafrechtlichen Konsequenzen bedeute die Entwicklung auch, dass Straftäter ohne deutschen Pass "Deutschland deutlich schneller verlassen müssen als bisher", sagte sie. "Wer sich nicht an die Regeln hält, muss gehen." Zugleich gehe es aber auch um bessere Prävention und Integration.

Drei Faktoren als Ursachen vermutet

Insgesamt spielen nach Einschätzung des BKAs drei Faktoren eine Rolle bei der Entwicklung: Nachwirkungen der Corona-Pandemie, die hohe Inflation und starke Zuwanderung innerhalb eines kurzen Zeitraums, die für den Einzelnen zu schlechteren Integrationschancen führen kann.

Mit Blick auf die Corona-Pandemie vermuten die Experten Nachholeffekte - also dass Straftaten mangels Gelegenheit später verübt wurden. Zweitens verweisen sie auf Studien, die zeigen, dass die psychischen Belastungen aus der Zeit, als Schulen und Universitäten geschlossen waren, bei jungen Menschen teils auch nach Beendigung der staatlichen Maßnahmen noch wirkten. 

Auch die relativ hohe Inflation und ihre wirtschaftlichen und sozialen Folgen könnten nach Ansicht von Kriminalitätsforschern 2023 zu mehr Straftaten geführt haben. Zumindest fielen die Fall- und Tatverdächtigen-Zahlen in ökonomisch schwächeren Regionen höher aus - und zwar sowohl in den Städten als auch in ländlichen Gebieten

Ebenfalls deutlich angestiegen sind Zahl und Anteil der jungen Tatverdächtigen. So wurden 2023 gut 104.000 verdächtige Kinder unter 14 Jahren ermittelt - ein Zuwachs von 43 Prozent gegenüber 2019. Bei Jugendlichen von 14 Jahren bis zur Volljährigkeit liegt die Zahl mit rund 177.000 Tatverdächtigen 17 Prozent über der von 2019. In beiden Gruppen zeigte sich der Anstieg erneut vor allem bei nichtdeutschen Verdächtigen. Die Steigerungsraten gegenüber 2022 lagen hier bei jeweils über 30 Prozent, während sie bei deutschen Verdächtigen jeweils unter drei Prozent lagen. 

"Die Zunahme der Gewaltkriminalität mit mehr jungen Tatverdächtigen, einem gestiegenen Anteil nicht deutscher Tatverdächtiger und erheblich mehr Wohnungseinbruchdiebstählen verdeutlicht, dass der Kampf um Wohlstand begonnen hat und das Recht des Stärkeren populärer wird", sagte der Bundesvorsitzende der Gewerkschaft der Polizei (GdP), Jochen Kopelke. 

Kritik an Datengrundlage

Der Kieler Kriminologe Martin Thüne betrachtet die Polizeiliche Kriminalstatistik "eine problematische Datengrundlage", wie er der "Frankfurter Rundschau" (Mittwoch) sagte. Er plädiere stark dafür, "dieses PKS-System radikal in Frage zu stellen, sich zusammenzusetzen und etwas Neues zu entwickeln". 

Vorschläge dazu gebe es seit Jahrzehnten. Thüne verwies darauf, dass die Statistik "in der Öffentlichkeit polarisiert". Es würden daraus Maßnahmen abgeleitet, "die auf dieser Datengrundlage besser nicht abgeleitet werden sollten", fügte er hinzu. "Die PKS ist unvollständig, verzerrt, potenziell manipulierbar und ungewichtet", so das Urteil des Wissenschaftlers.

Diskussionen bereits vor Veröffentlichung

Eine Silhouette einer Frau
Debatte um Statistik schon vor ihrer Veröffentlichung Bildrechte: picture alliance / dpa | Tobias Kleinschmidt

Die Debatte über mögliche Konsequenzen der Kriminalstatistik wurde bereits am Wochenende geführt, nachdem erste Zahlen der Untersuchung bekannt gemacht wurden. Vor allem Unions-Politiker forderten eine andere Asylpolitik und leiteten aus den statistischen Daten vom Bundeskriminalamt erneut Kritik an der Bundesregierung aus SPD, Grünen und FDP ab.

Die Opposition forderte wegen der Zahlen erneut eine andere Asylpolitik. CDU-Generalsekretär Carsten Linnemann erklärte, die hohe illegale Migration werde immer mehr zum Sicherheitsrisiko. Bayerns Innenminister Joachim Herrmann von der CSU verlangte einen Kurswechsel in der Asylpolitik.

Sachsens Innenminister Armin Schuster forderte im "Tagesspiegel" eine "Migrationsobergrenze": Die "sehr negative Entwicklung zeigt, wie angespannt die Integrationsbedingungen hinsichtlich Unterbringung, Sprache und Arbeit sind". Es brauche "dringend eine Migrationsobergrenze für Geflüchtete".

Thüringens CDU-Chef Mario Voigt sprach im selben Blatt von einem "Alarmsignal für die Ampel, das Thema innere Sicherheit nicht stiefmütterlich zu behandeln". Freiheit und Sicherheit der Bürger müssten für den Staat "immer Top-Priorität haben", sagte der Landtagswahl-Spitzenkandidat.

Im Deutschlandfunk verlangte am Montag dann auch der CDU-Politiker Alexander Throm mehr Befugnisse für die Sicherheitsbehörden und ebenfalls eine Wende in der Migrationspolitik. Zu den Gründen etwa für die gestiegene Zahl an Gewaltdelikten sagte Throm dem Sender, dass auch Erfahrungen von Gewalt im Herkunftsland zu geringeren Hemmschwellen hierzulande führten.

Was Ampel-Politiker dazu sagen

Aus Parteien der Ampel-Koalition kamen bereits unterschiedliche Reaktionen. FDP-Vizechef Wolfgang Kubicki bezeichnete die Zahlen ebenfalls im "Tagesspiegel" als "extrem alarmierend". Man brauche Kontrolle über die Zuwanderung.

Polizisten stehen anlässlich von Grenzkontrollen auf dem Rastplatz "Am Heideholz" an der Autobahn 17 nahe der deutsch-tschechischen Grenze.
Kontrollen nahe der deutsch-tschechischen Grenze in Sachsen Bildrechte: picture alliance/dpa | Sebastian Kahnert

Der SPD-Innenpolitiker Sebastian Hartmann forderte dagegen eine neue Strategie "im Verbund mit den in erster Linie verantwortlichen Ländern", wozu Prävention und Aufklärung gehörten sowie eine konsequente Strafverfolgung.

Die Bundestagsabgeordnete der Grünen Lamya Kaddor sagte, die hohen Fallzahlen seien ein Auftrag an die Politik, "besonders nach den Ursachen zu forschen". Als eine mögliche nannte sie unter anderem, dass Kriminalitätsraten in "sozio-ökonomisch schwachen Gruppen" eben meistens höher seien, "zu denen sehr häufig ausländische Personen gehören".

dpa/AFP/Reuters/MDR(ksc, lko)

Dieses Thema im Programm: MDR AKTUELL – Das Nachrichtenradio | 09. April 2024 | 12:00 Uhr

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