Gewerkschafter Martin Kröber "Wir müssen darüber reden, dass man die Zugbegleiterin nicht schlägt"

13. Februar 2022, 16:52 Uhr

Sie werden beleidigt, geschlagen und angespuckt: Das gehört zum Arbeitsalltag vieler Zugbegleiterinnen und Zugbegleiter. Woran liegt das – und wie kann man ihre Lage verbessern? Martin Kröber von der Eisenbahn- und Verkehrsgewerkschaft gibt Antworten.

MDR SACHSEN-ANHALT: Herr Kröber, eine groß angelegte Umfrage der Gewerkschaft GDL zeigt: Jeder Zugbegleiter und jede Zugbegleiterin wird im Jahr durchschnittlich 35 Mal beleidigt, mehr als viermal angespuckt und zweimal körperlich angegriffen – gehört das zum Berufsrisiko oder haben wir hier eine Schieflage im System?

Martin Kröber: Ich glaube, hier haben wir wirklich eine große Schieflage im System. Es gibt viele Berufsgruppen, bei denen es ähnliche Auswertungen gibt. Ich glaube aber, wenn man Kundenbetreuer in einer Bahn wird, erwartet man nicht automatisch, dass man den ganzen Tag beleidigt oder auch angegriffen wird. Und ich weiß, dass man die Situation verbessern kann, wenn man dem entschlossen entgegentritt, Angebote schafft und für Sicherheit sorgt. Und es täte uns gut, wenn wir daran arbeiten.

Bevor wir zu möglichen Lösungsansätzen kommen, lassen Sie uns beim Ursprung der Probleme beginnen: Wie erklären Sie sich die hohe Zahl der Vorfälle?

Ich fürchte, da kommen wir jetzt schnell in eine philosophische Debatte. Ich glaube, dass es tatsächlich so ein bisschen daran liegt, wie sich die Gesellschaft verändert. Der Leistungsdruck in der Gesellschaft wird immer höher. Die Leute haben viel mehr Stress auf Arbeit, spüren mehr Druck. Und in der Regel kommen die Leute gerade von der Arbeit mit einem ganzen Päckchen an Stress und steigen dann in diesen Zug ein. Dann ist der vielleicht auch noch voll. So kommen schon alleine viele Kleinigkeiten zusammen.

Das Reportergespräch zum Nachhören:

Darüber hinaus kann man ja generell bei Gewalttaten beobachten: Die Hemmschwelle, zum Beispiel einen Menschen zu schlagen, ist im Vergleich zu vor zehn Jahren eher gesunken. Und das ist grundsätzlich eine Frage des Respekts vor Menschen an sich. Ich fürchte, der hat ein bisschen abgenommen. Das nehme ich in vielen Berufsgruppen wahr – aber tatsächlich halt auch sehr stark beim Zugpersonal.

Und dann kommen seit 2020 ja auch noch die Kontrollen der Corona-Auflagen hinzu – zum Beispiel der Maskenpflicht oder des 3G-Status. Welchen zusätzlichen Einfluss hat das auf die Arbeitsbedingungen?

Das hat die Belastung enorm erhöht, wir haben direkt in den ersten Wochen von riesigen Problemen der Kolleginnen und Kollegen gehört. Dementsprechend haben wir als EVG auch sofort Kontakt zu den Bundes- und Landesministerien aufgenommen. Solche Kontrollen können nicht einfach auf das Zugpersonal übertragen werden. Das ist nicht deren Aufgabe, das muss die Bundespolizei übernehmen. Und wenn die das nicht übernehmen kann, dann können die Zugbegleiter nur dann die Corona-Auflagen kontrollieren, wenn ausgebildete Sicherheitskräfte mit an Bord für Schutz sorgen. Hier muss man aber wirklich auch lobend sagen, dass die Politik relativ schnell reagiert hat und es jetzt überwiegend so ist, dass eine Person alleine keine derartigen Kontrollen macht. Es gibt immer noch diverse Verkehrsunternehmen, die das eine Person alleine machen lassen, aber im Großen und Ganzen ist das jetzt erstmal vom Tisch und da bin ich auch sehr froh drüber. Weil hier reden wir nicht nur davon, dass man beleidigt wird. Zumindest in den Fällen, die mir bekannt geworden sind, kam es in der Regel auch zu Gewalt.

Das ist Martin Kröber Seit Mai 2020 leitet Martin Kröber die Geschäftsstelle der Eisenbahn-Verkehrsgewerkschaft EVG in Magdeburg. Ende Februar übergibt er nun sein Amt. Denn der SPD-Politiker sitzt seit Oktober 2021 für den Wahlkreis Magdeburg im Bundestag und beschäftigt sich dort als Mitglied des Verkehrsausschusses weiter mit dem Zugverkehr.

Wenn wir die Problemfelder mal zusammenfassen: Wie groß ist die Belastung für die Zugbegleiterinnen und Zugbegleiter aus Ihrer Sicht?

Also die Belastung ist allgemein enorm hoch. Es gibt immer weniger Personal. Das, was jeder und jede Einzelne leisten muss, wird immer mehr. Das ist ja nicht nur bei den Fahrgästen so, das ist auch beim Personal in den Zügen so. Und das ist natürlich ein Riesenproblem.

Und natürlich: Der Druck durch Bedrohung und Gewalt ist enorm hoch. Und spätestens, wenn man sowas zwei, drei Mal in seinem Leben erlebt hat, geht man schon mit einer sehr großen Angst in so einen Zug rein. Das ist ja ein Druck, den man nie wieder los wird.

Mit "Ruf Robin" haben Sie als EVG eine Hotline für solche Fälle eingerichtet. Wie läuft das ab?

Das ist tatsächlich erst einmal eine Art Erste-Hilfe-Hotline. Da sitzen qualifizierte Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, die auch seelsorgerisch ausgebildet sind. Dann geht es erstmal darum, zu sortieren: Was ist das Problem, welche Hilfe braucht man und wo kann man die bekommen.

Und wer meldet sich dort so?

Das sind in der Regel wirklich Leute, die körperliche Gewalt erfahren haben. Und man ist schon wirklich erschrocken, wie häufig sich da Leute melden. Ich bin sehr froh, dass es dieses Angebot gibt. Aber ich muss an der Stelle auch loswerden, dass ich es sehr traurig finde, dass die Gewerkschaft so ein Angebot in diese Richtung leisten muss. Unsere Kernaufgabe ist es, die Lebens- und Arbeitsbedingungen zu verbessern und Tarifverträge zu verhandeln. 

Natürlich gehört auch die Sicherheit zu den Lebens- und Arbeitsbedingungen. Aber das, was wir hier leisten, ist tatsächlich eine Betreuung von Menschen, die verängstigt sind, die verletzt worden sind. Und das halte ich schon für sehr traurig, dass das in dem Umfang notwendig ist.

Nun bieten ja aber auch Arbeitgeber wie die Deutsche Bahn psychologische Hilfsangebote für solche Fälle. Wie bewerten Sie die?

Also erstmal finde ich es gut, dass die Bahn überhaupt ein Angebot in die Richtung macht. Aber ein großer Teil des Regionalverkehrs wird ja zum Beispiel nicht über die Deutsche Bahn bedient. Und viele Eisenbahnverkehrsunternehmen haben so ein Angebot gar nicht für ihre Mitarbeiter.

Aber auch wenn es so etwas gibt – und das wird der Grund sein, warum der ein oder andere Kollege da wahrscheinlich ein bisschen zurückschreckt: so ein Angebot vom Arbeitgeber birgt immer die Gefahr, dass es eine gewisse Rückkopplung mit dem Arbeitgeber oder dem arbeitsmedizinischen Dienst gibt. Und dann stellt sich immer die Frage: Ist derjenige noch diensttauglich oder nicht? Und alleine deshalb ist es vielen erstmal wichtig, extern ein Gefühl dafür zu bekommen, wie es ihnen geht, bevor sie von irgendeinem arbeitsmedizinischen Institut bewertet werden, ob sie noch in der Lage sind, in einen Zug zu gehen. Also ich persönlich täte mich da wahrscheinlich auch schwer.

In aktuellen Stellenausschreibungen für Bordpersonal wird "Durchsetzungsvermögen, Konflikt- und Kommunikationsfähigkeit" gefordert. Reicht das für den praktischen Arbeitsalltag?

Ich glaube, dass zum Beispiel Sie und ich 'Konfliktfähigkeit' unter einem anderen Gesichtspunkt lesen, als jemand, der sich da vielleicht mit 16 Jahren bewirbt. Da ist vor allem die Frage, ob ich dann tatsächlich schon so viel davon mitbringen kann. Und: Was erwarte ich denn von so einem Menschen, der bei mir anfängt. 

Ich glaube, das muss man natürlich auch zu einem gehörigen Maß und regelmäßig schulen. Nun gibt’s Verkehrsunternehmen, die machen das im großen Stil. Es gibt aber auch einige, die machen das überhaupt nicht. Und das macht schon einen großen Unterschied aus.

Was konkret fordern Sie und die EVG, damit Zugbegleiterinnen und Zugbegleiter ihren Job mit einem sicheren Gefühl starten können?

Ich fände es unfassbar wichtig, dass man tatsächlich eine Doppelbesetzung von Zugbegleitern hinbekommt – gerade in den frühen Morgen- und Abendstunden und am Wochenende. Außerdem würde ich mir wünschen, dass die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter viel besser für solche Situationen qualifiziert werden. Dass es deutlich mehr Sicherheitspersonal auf den Bahnhöfen und auch in den Zügen gibt. Und es muss mehr Kontrollen der Bundespolizei geben. Das sind aus meiner Sicht erstmal die fundamentalsten Sachen, an denen man tunlichst was machen sollte.

Darüber hinaus würde ich mir eigentlich mal eine richtige Werbekampagne für alle Kräfte wünschen. Das betrifft ja nicht nur Zugbegleiter, sondern auch Krankenwagenfahrer und viele andere Berufsgruppen. Es wird hier für so viele Dinge Werbung gemacht. Warum sensibilisieren wir die Bevölkerung nicht mal dafür? So traurig es ist, aber ich glaube, wir müssen mal darüber reden, dass man den Krankenwagenfahrer oder die Zugbegleiterin nicht schlägt und nicht beleidigt.

Doppelbesetzung, Sicherheitskräfte – all das muss natürlich finanziert werden. Wie kann das klappen?

Ich glaube, in erster Linie muss man mit der Ursache des Problems anfangen. Und die liegt gar nicht so sehr bei den Verkehrsunternehmen, sondern tatsächlich bei der öffentlichen Ausschreibung. Wenn ich über Jahre einen Preiswettbewerb habe, der sich immer nur nach unten dividiert, dann ist klar, dass irgendwann auch nicht mehr genug Geld für ausreichend Personal da ist. Und das hat am Ende des Tages auch dafür gesorgt, dass man über Jahre nicht genügend Leute ausgebildet hat und jetzt auch nicht mehr genügend Leute hat. Ich glaube, das kann man noch korrigieren. Wir sind da gerade an einem Scheideweg. Aber das setzt natürlich voraus, dass man als öffentlicher Auftraggeber genug Geld da reingibt.

Jetzt übergeben Sie Ihr Amt in der EVG und fokussieren sich mehr auf die Arbeit im Bundestag. Welche Hebel können Sie da in Bewegung setzen, damit sich an der Situation etwas ändert?

Ich bin ja in der komfortablen Situation, dass ich tatsächlich auch im Verkehrsausschuss bin – und somit zuständig für die Finanzierung des öffentlichen Personennahverkehrs und des Schienenverkehrs. Ich habe mir fest vorgenommen, in den nächsten vier Jahren mit aller Kraft dafür zu kämpfen, dass auch genug Mittel in den Ländern ankommen, um das finanzieren zu können, was ich gerade gefordert habe. Und darüber hinaus haben wir vor, ein Vergabegesetz auf den Weg zu bringen, das auch die Arbeitsbedingungen von den Menschen regelt – das muss es endlich auch.

Herzlichen Dank für das Gespräch.

Die Fragen stellte Daniel Tautz.

MDR (Daniel Tautz)

Dieses Thema im Programm: MDR SACHSEN-ANHALT | 13. Februar 2022 | 12:00 Uhr

1 Kommentar

hilflos am 13.02.2022

Ja, dann soll doch der Staat (Polizei, Justiz) eine NULL Toleranzlinie fahren und hart durchgreifen. Ob das hilft weiß ich nicht, aber schaden wird es nicht Straftaten konsequent zu verfolgen und richtig hart zu bestrafen

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