Ein Mann steht am Fenster eines Männerschutzhauses.
Ein Mann sucht Schutz vor Gewalt in einem Männerschutzhaus. Bildrechte: IMAGO / Funke Foto Services

Männerschutz in Sachsen-Anhalt Geschlagen und alleingelassen

27. März 2018, 15:14 Uhr

Wer als Mann in Sachsen-Anhalt von seinem Partner oder seiner Partnerin Gewalt erfährt, kann sich an eine von vier Interventionsstellen für häusliche Gewalt wenden. Dort arbeiten nur Frauen. Das einzige Angebot, das sich explizit an Männer richtet, berät Täter. Was sagt Sachsen-Anhalts neue Gleichstellungsbeauftragte dazu? Im Rahmen des Projekts "Studenten schreiben" hat sich Alisa Sonntag über Bedarf und Angebot informiert.

Irgendwo zwischen 18 und 50 Prozent – ganz einig sind sich die Experten nicht, wie hoch der Anteil an Männern unter den Opfern häuslicher Gewalt bundesweit liegt. Fest steht nur: Es gibt eine hohe Dunkelziffer. Und: Egal, wie viele es sind – für betroffene Männer gibt es in Sachsen-Anhalt kein passendes Angebot. Das Land hat sich zwar früh im Frauenschutz engagiert, im Männerschutz allerdings hängt es hinterher.

Es gibt ein landesweites Netzwerk für ein Leben ohne Gewalt. Dort treffen sich vier Arbeitsgemeinschaften, die sich für Frauen engagieren, zwei Gruppen von Beratungsstellen, die beide Geschlechter beraten und die Beratungsstelle ProMann. Die arbeitet zwar mit Jungen und Männern – allerdings nur in der Täterberatung.

Mehr betroffene Männer in den Ballungsgebieten

Lissy Herrmann arbeitet in der Interventionsstelle für häusliche Gewalt und Stalking in Magdeburg – eine der vier Interventionsstellen landesweit. Aktuell sind es diese Interventionsstellen, die genau wie Frauen auch Männer beraten, die häusliche Gewalt erfahren haben. Die Formen der Gewalt seien dabei vielfältig: "Da ist die klassische Bratpfanne dabei, ich hatte auch mal einen Mann, dem die Partnerin beide Arme gebrochen hatte – bis hin zu sexueller Gewalt wie dem Griff an die Genitalien", beschreibt sie. Psychische Gewalt gehöre zur körperlichen immer dazu.

Etwa zehn Prozent der Betroffenen, die zu ihr kommen, seien Männer, sagt Herrmann. Die Zahlen seien in Ballungsräumen höher – im Dorf wisse immer gleich der Nachbar, wenn jemand die Polizei rufe. Dort bräuchten die Beamten auch länger, bis sie vor Ort seien.

Übersicht der Interventionsstellen häusliche Gewalt und Stalking Dessau-Roßlau
Telefon und Fax: 0340 2165100
Mobil: 0177 7844072

Halle
Telefon: 0345 6867907
Fax: 0345 6867845
Mobil: 0176 10035262

Magdeburg
Telefon: 0391 6106226
Fax: 0391 6106227
Mobil: 0176 25345132

Stendal
Telefon: 03931 700105
Fax: 0931 210221
Mobil: 0176 52115290

Ihre Kollegin Beate Uhlig ist seit 2003 für die Interventionsstelle in Dessau zuständig. Alle vier Interventionsstellen in Sachsen-Anhalt sind mit Frauen besetzt. Deswegen wünscht sich Uhlig auch einen männlichen Berater, der bei entsprechenden Fällen eingesetzt werden kann. Die niedrigen Fallzahlen betroffener Männer in Dessau würden eine volle Personalstelle dort nicht rechtfertigen, einen mobilen Berater auf Honorarbasis kann sie sich jedoch gut vorstellen. "Zu mir kommen im Jahr etwa zehn Männer, prozentual machen Männer damit etwa 5 Prozent der Fälle aus", erzählt sie. Beinahe alle würden von der Polizei vermittelt.

Eine hohe Dunkelziffer

Die meisten Männer hätten zu viel Scheu, um sich von alleine zu melden. Deswegen vermutet auch sie eine hohe Dunkelziffer an Frauen, die ihrem Partner Gewalt antun. In 15 Jahren ihrer Arbeit habe sie nur drei Fälle erlebt, in denen Frauen wegen Gewalttätigkeit der Wohnung verwiesen worden. Uhlig kritisiert, dass das Thema tabuisiert werde:

Die Männer wollen damit nicht an die Öffentlichkeit gehen, weil sie Angst haben, als Waschlappen dazustehen.

Beate Uhlig, Beraterin in der Interventionsstelle in Dessau

Trotz der geringen Fallzahl im Raum Dessau hält sie sogenannte Männerschutzwohnungen, in denen Betroffene Zuflucht finden können, vor allem in den Städten Sachsen-Anhalts für nötig: "Wenn wir in Magdeburg und Halle jeweils einfach nur eine Einzimmerwohnung für betroffene Männer zur Verfügung hätten, würde das schon helfen."

Mit der Forderung steht sie nicht alleine da. André Gödecke ist für die Fachberatungsstelle ProMann in Halle tätig. Manchmal, sagt er, riefen bei ihm auch Männer an, die geschlagen werden. Etwa zweimal im Jahr sei das der Fall. "Ein Erstgespräch führe ich natürlich auch mit denen, ich möchte niemanden abweisen", meint er. Er könne die Betroffenen jedoch nur weitervermitteln, zu den Interventionsstellen oder nach Leipzig. Dort gibt es seit Anfang des letzten Jahres eine Männerschutzwohnung. Gerade, wenn Betroffene Kinder hätten, sei ein Wegzug für sie aber keine Option.

Neue Hoffnung mit der Gleichstellungsbeauftragten

Was im benachbarten Bundesland Sachsen in Sachen Männerschutz passiert, hat auch Andrea Blumtritt im Blick. Die Soziologin ist seit November 2017 Gleichstellungsbeauftragte Sachsen-Anhalts. Zuvor war der Posten beinahe zehn Jahre lang unbesetzt oder wurde vom Gleichstellungsministerium mit übernommen. Das könnte auch der Grund dafür sein, warum der Männerschutz Sachsen-Anhalts so lange still stand. Jetzt scheint sich langsam etwas zu bewegen: Am 24.11.2017 hat der Landtag einen Beschluss gefasst, der Prävention von sexueller Belästigung und sexualisierter Gewalt ausbauen und Beratung stärken will. Deswegen seien sie und das Gleichstellungsministerium jetzt im Gespräch mit den Beratungsstellen, um den aktuellen Bedarf abzufragen und die bereitgestellten Finanzen darauf anzupassen, erklärt Blumtritt.

Sachsen-Anhalts Gleichstellungsbeauftragte Andrea Blumtritt.
Sachsen-Anhalts Gleichstellungsbeauftragte Andrea Blumtritt Bildrechte: Fotoatelier Menzel

Die Gleichstellungsbeauftragte will die Veränderung jedoch nicht "übers Knie brechen", wie sie sagt. Erst 2019 soll möglicherweise ein männlicher Berater angestellt und mehr Fokus auf die Paarberatung von ProMann gelegt werden, die André Gödecke gemeinsam mit einer Kollegin anbietet. Über Unterstützung dabei würde er sich freuen, sagt der Sozialarbeiter. Momentan sei die Paarberatung nur am Rande seiner Arbeit in der Täterberatung und mit viel Engagement möglich.

"Sachsen-Anhalt geht seinen eigenen Weg"

Vorher sei es wichtig, den Bedarf zu analysieren: "Es greift zu kurz, den Spieß einfach umzudrehen.", erklärt Blumtritt ihr Vorgehen, "Die Gewalt, die Männer erfahren, muss nicht identisch sein mit der, die Frauen erfahren." Man wolle auch die Auswertungen des Projekts in Sachsen abwarten.

In Sachsen gibt es mittlerweile drei Männerschutzwohnungen, in Sachsen-Anhalt schätzt Blumtritt den Bedarf als niedrig ein. Sie verlässt sich dabei auf die fünf bis sieben Prozent Männer, die die Angebote der vier Interventionsstellen durchschnittlich wahrnehmen. Dass deren Anteil wahrscheinlich höher ausfallen würde, wenn es Beratungsangebote explizit für Männer gäbe, weiß sie genauso wie die Beraterinnen in den Interventionsstellen. Insgesamt sieht sie den Männerschutz in Sachsen-Anhalt aber auf einem guten Weg: "Wir verharren nicht, sondern arbeiten zielgerichtet weiter." Jedes Bundesland habe eine andere Vorgeschichte und andere Voraussetzungen – Sachsen-Anhalt, sagt sie, gehe seinen eigenen Weg in seinem eigenen Tempo.

Alisa Sonntag
Bildrechte: MDR/Martin Paul

Über die Autorin Neugierig ist Alisa Sonntag schon immer gewesen – zukünftig, hofft sie, auch hauptberuflich. Aktuell studiert sie in Halle Multimedia und Autorschaft und International Area Studies. Dabei schreibt sie unter anderem für das Leipziger Journalismus-Startup The Buzzard, die Mitteldeutsche Zeitung , die Freie Presse Chemnitz und den Dresdner Blog Campusrauschen, den sie 2016 mitgegründet hat.

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Quelle: MDR/cw

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