Stefan Kupietz, Johanniter, sitzt an einem Tagungstisch und schaut in die Kamera.
Stefan Kupietz koordiniert die Erste-Hilfe-Kurse für die Johanniter Unfallhilfe in Leipzig. Bildrechte: MDR/Sina Meißgeier

Experten-Interview Ersthilfe bei Unfällen: "Man kann nichts falsch machen"

07. April 2024, 18:00 Uhr

Wie kann man bei einem Unfall am besten helfen, wenn die Rettungskräfte noch nicht vor Ort sind? Stefan Kupietz ist Ausbildungsleiter für Erste Hilfe bei der Johanniter Unfallhilfe in Leipzig. Im Gespräch mit MDR SACHSEN verrät er einige Tipps und appelliert an die Menschen, ihr Wissen über Erste Hilfe regelmäßig aufzufrischen.

Herr Kupietz, wofür sind Sie bei den Johannitern zuständig?

Ich bin Ausbildungsleiter bei der Johanniter Unfallhilfe hier in Leipzig und mit meinem Team dafür zuständig, vielen Menschen Erste-Hilfe-Wissen beizubringen.

Wir wollen heute über spontane Ersthilfe sprechen. Es passiert ein Unfall, man wird Zeuge und zumindest meine spontane Reaktion wäre: Lieber nichts machen, weil man will es ja nicht noch schlimmer machen für den Verletzten. Wie lautet ihr Ratschlag?

Die Botschaft lautet: Man kann nichts falsch machen! Die einzige Ausnahme von dieser Regel ist, dass man gar nichts tut. Das ist eigentlich immer falsch. Wir müssen uns im Kopf einfach klarmachen: Auch wenn da mehrere Leute sind, wenn man nicht selber agiert, dann macht meistens keiner was. Dieses gruppendynamische Phänomen erleben wir oft. Alle schauen nur, sind betroffen und denken: "Vielleicht macht es ja der andere?“

Loslegen, was tun, zu der betroffenen Person hingehen, mit ihr sprechen.

Stefan Kubietz Johanniter Unfallhilfe Leipzig

Mein Rat daher, loslegen, was tun, zu der betroffenen Person hingehen, mit ihr sprechen. Und dann kommt auch so nach und nach die Erkenntnis: "Notruf könnte ich wählen." Manchmal ist es auch so, dass andere dann auch helfen, unterstützen wollen. Und selbst wenn eine Maßnahme nicht optimal durchgeführt wird, dann ist es meistens immer noch viel besser, als wenn gar nichts passiert. Da braucht es keine Vorkenntnisse. Sich zu trauen, das ist das Wichtige.

Neben Verletzungen am Körper leidet bei Notfällen auch die Psyche. Wie kann ich da spontan Ersthilfe leisten?

Wir sprechen da in den Kursen von psychologischer Erster Hilfe. Stellen sie sich vor sie sind betroffen, dann fühlen sie sich hilflos. Sie können sich vielleicht nicht selber bewegen, sich selbst nicht helfen. Das ist eine Ohnmachtssituation. Und wenn sie dann vielleicht noch mitbekommen, dass andere Personen um sie herum stehen, sie vielleicht nichts sehen können oder nur Geräusche hören können, dann verstärkt sich das Gefühl der Ohnmacht. Deshalb ist es wichtig, dass jemand zu der Person hingeht, mir ihr spricht, vielleicht vorsichtig Körperkontakt sucht, damit die betroffene Person weiß, da ist jemand da, da kümmert sich jetzt jemand um mich. Das nimmt schon mal super viel Druck weg. Das zeigen auch Studien, dass bei Personen, die diese Erfahrung machen, konnten später auch Therapien besser anschlagen, die dann vielleicht nötig sind.  

Ein Mann zeigt an einer Puppe die Herzdruckmassage.
Mittlerweile sind die Dummys so modern, dass sie den Trainern Rückmeldung über die Erste-Hilfe-Maßnahmen der Kursteilnehmer geben, berichtet Stefan Kupietz. Bildrechte: MDR/Sina Meißgeier

Und bei körperlichen Verletzungen? Wie kann ich da helfen, auch wenn vielleicht der erste Hilfe-Kurs schon eine geraume Zeit zurückliegt?

Man muss schauen: „Was ist jetzt gerade das Problem? Was ist der Notfall?“ Wichtig ist, dass man sich auf die Vitalfunktionen konzentriert. Die müssen erhalten oder wiederhergestellt werden. Die Atmung muss natürlich da sein, die muss bestenfalls ungehindert funktionieren können. Denn mit ihr hängt direkt auch der Herzschlag zusammen, der für das Überleben essenziell ist. Das kann ich relativ einfach überprüfen. Das Bewusstsein ist natürlich auch ein wichtiger Punkt. Denn wenn die Person bewusstlos wird, dann erschlafft die Muskulatur und dann kann Erbrochenes eingeatmete werden. Das sind Sachen, die kann ich einfach überprüfen, indem ich mit der Person rede, schaue wie es ihr geht. Wenn ich merke, die Personen blutet, dann ist eine Blutstillung angezeigt, mit Verbandmaterial oder notdürftig mit etwas anderem. Entweicht zu viel Blut aus dem Körper, macht das natürlich den Notfall noch schlimmer.

Schwerer Unfall auf der Autobahn, das Nachbarhaus brennt lichterloh. Einfach losrennen und helfen oder lieber auf Abstand bleiben?

Bei solchen Situationen muss ich genauer hinschauen. Gibt es einen Gefahrenbereich? Warum ist denn der Unfall oder die Verletzung passiert? Kann das auch für mich als Helfender ein Problem sein? Zum Beispiel wenn es eine Autobahn ist, mittlere Spur, fließender schneller Verkehr. Dann muss ich natürlich erst mal schauen, was ich tun kann, damit der Verkehr zum Erliegen kommt. Das Gleiche gilt, wenn es irgendwo brennt. Also schauen, gibt es eine Gefahr für mich? Kann ich die irgendwie abstellen und erst dann zu der Person hingehen. Und dann gilt es, die Person aus dem Gefahrenbereich zu bekommen, um dessen Leben zu schützen. Sollte ich das Gefühl habe, die Person, so wie sie gerade liegt, ist keiner weiteren Gefahr ausgesetzt, dann sollte ich sie so wenig wie möglich bewegen.

Wie oft sollte ich meine Erste-Hilfe-Kenntnisse auffrischen?

Die Kurse sollte man immer wieder mal wiederholen. Das schafft Handlungssicherheit und man traut sich dann auch viel eher einzugreifen. Unsere Kurse sind praktisch. Das heißt, wir machen Fallbeispiele, wir simulieren Situationen. Man kann sich selber ausprobieren und kriegt Tipps und Empfehlungen.

Sind die Angebote denn ausreichend?

In Deutschland gibt es insgesamt noch zu wenige Kursangebote die verpflichtend sind. Das heißt Gelegenheiten, wo man niederschwellig solche Kurse besuchen kann, vielleicht weil sie im Schulplan stehen und sowieso dazugehört. Da sind andere Länder besser. Das merkt man auch, dass im Notfall die Helfenden dort viel schneller und teilweise auch kompetenter agieren können. Da können wir besser werden in Deutschland. Jeder Einzelne kann das individuell machen, indem er zu einem Erste-Hilfe-Kurs geht. Angebote gibt es da genug. In der Gesellschaft können wir hier und da noch schauen, wo es sinnvoll ist, das auch regelmäßig machen. Zum Beispiel einen Kurs für Führerscheinbesitzer alle zwei bis fünf Jahre.

Rundes Gebäude mit Glasfassade, Außenansicht.
Bei den Johannitern in der Torgauer Straße in Leipzig können Interessierte Erste-Hilfe-Kurse belegen. Bildrechte: MDR/Sina Meißgeier

Oft genug hört man von Menschen, die lieber das Handy zücken als zu helfen. Stimmt das? Wird mehr gegafft als geholfen?

Also ich habe da ein bisschen ein geteiltes Bild. Zum einen stimmt es natürlich, dass es eine gesellschaftliche Entwicklungen gerade in den Sozialen Medien gibt, dass Menschen viel schneller den Unfall filmen, als selber einzugreifen. Das kann ich nicht gut heißen. Das hat in den letzten Jahren nicht abgenommen, sondern eher zugenommen. Andersherum erleben wir aber auch, dass viele Personen zu uns in die Kurse kommen, weil sie das wollen. Zudem haben wir auch viele ehrenamtliche Helfende. Ich würde auch unterstellen, dass es oftmals an Helfenden fehlt, weil da die Angst ist, vielleicht etwas falsch zu machen.

MDR (sme)

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