Serbien und Kosovo Neue Eskalation der Spannungen auf dem Westbalkan

28. Dezember 2022, 12:46 Uhr

Noch im November schien eine Annäherung zwischen Serbien und Kososvo möglich. Den Streit um serbische Autokennzeichen im Kosovo hatte man beigelegt, es war von weiteren Verhandlungen mit Erfolgsaussichten die Rede. Doch nun haben die Spannungen auf dem Westbalkan eine neue Eskalationsstufe erreicht: Präsident Vucic hat die serbische Armee in Kampfbereitschaft versetzt, Kosovo den größten Grenzübergang zu Serbien geschlossen. Was auf dem Balkan passiert und warum:

Nachdem Serbien seine Armee am Montag in erhöhte Alarmbereitschaft versetzt hatte, hat Kosovo nun am Mittwoch den größten Grenzübergang zu Serbien geschlossen.

Auf der serbischen Seite hatten Kosovo-Serben die Zufahrt zu dem Übergang Merdare bereits seit Dienstag blockiert. Zuvor waren zwei weitere Grenzübergänge von der kosovarischen Polizei geschlossen worden, nachdem serbische Demonstranten durch Straßenblockaden den Zugang zu diesen versperrt hatten.

Das Außenministerium des Kosovo erklärte auf Facebook, wer in Serbien unterwegs sei, müsse andere Grenzübergänge nehmen oder über Nordmazedonien ins Land reisen.

Serbische Armee in "Kampfbereitschaft"

Am Dienstag hatte der serbische Verteidigungsminister Vucevic während eines Besuchs bei serbischen Truppen im Grenzgebiet zum Kosovo erklärt: "5.000 Spezialkräfte der serbischen Armee werden in Kampfbereitschaft versetzt. Bis Ende 2023 sind alle einsatzfähig. Sie werden unsere stärkste Faust sein und die schlechten Ziele derjenigen, die unser Land nicht mögen, in Stücke zerschlagen".

Die von Vucic besuchte Kaserne liegt unweit einer fünf Kilometer breiten Pufferzone entlang der Kosovo-Grenze, in die serbische Sicherheitskräfte nur mit Erlaubnis der im Kosovo stationierten Nato-geführten Schutztruppe KFOR vordringen dürfen. Dies ist Teil der Vereinbarungen, die nach den Nato-Luftangriffen 1999 getroffen worden waren und die zum vollständigen Abzug der serbischen Sicherheitskräfte und Verwaltung aus dem Kosovo geführt hatten.

Der Konflikt auf dem Westbalkan Das heute fast ausschließlich von Albanern bewohnte Kosovo hatte früher zu Serbien gehört und ist seit 2008 unabhängig. 1999 hatte die Nato Serbien bombardiert, nachdem serbische Sicherheitskräfte albanische Zivilisten getötet und vertrieben hatten. Bis 2008 hatte die UN-Mission Unmik das Kosovo verwaltet. Die Unabhängigkeit erkennt Serbien jedoch nicht an.

Straßenblockaden im Kosovo

Im überwiegend serbisch besiedelten Norden des Kosovo sind derzeit viele Bürger im Aufstand. Seit dem 10. Dezember errichteten sie an allen wichtigen Landstraßen des Nordens Barrikaden, zum Beispiel mit quergestellten Lkw, und legten so den Grenzverkehr im Norden des Landes lahm.

Stunden nach Errichtung der ersten Blockaden war die kosovarische Polizei nach eigenen Angaben auf einer der Straßen zur Grenze drei Mal mit Schusswaffen angegriffen worden. Auch eine Aufklärungspatrouille der EU-Mission Eulex, die dem Land beim Aufbau von Polizei, Justiz und Verwaltung helfen soll, wurde nach Eulex-Angaben mit einer Blendgranate beschossen.

Der EU-Außenbeauftragte Josep Borrell verurteilte die Angriffe scharf. Alle Seiten müssten jede "Eskalation" vermeiden und für Ruhe sorgen, erklärte Borrell auf Twitter. Die Kosovo-Serben forderte er auf, die Blockaden "sofort" zu entfernen.

Kommunalwahlen ausgesetzt

Grund für die ersten Barrikaden war die Verhaftung eines serbischstämmigen ehemaligen Beamten der Kosovo-Polizei, der nach Darstellung der kosovarischen Behörden Angriffe auf Beamte der Wahlkommission angeführt hatte.

Pläne der Regierung in Pristina, für den 18. Dezember Kommunalwahlen in den mehrheitlich serbischen Gebieten anzusetzen, mussten auf Eis gelegt werden. Die wichtigste Serben-Partei kündigte ihren Boykott an, und als die Wahlbehörden Anfang der Woche mit den Vorbereitungen beginnen wollten, kam es zu Schießereien und Explosionen.

Gegenseitige Schuldzuweisungen

Im Rahmen der Schießereien gab es drei Festnahmen serbischstämmiger Männer, zwei von ihnen ehemalige Polizisten. Dies wurde von der Regierung in Belgrad heftig kritisiert. Der serbische Präsident Vucic warf der kosovarischen Regierung Rechtsbrüche vor.

Vucic gibt sich als Beschützer der Serben im Nordkosovo. Dass die serbische Armee in Kampfbereitschaft versetzt wurde, bezeichnet er als defensive Maßnahme. Auf seinem Instagramprofil sagte er am Montag: "Wir geben alles, um Frieden und Stabilität zu erhalten. Aber nachdem sich die Albaner bewaffnet haben und gegen unser Volk vorgehen, werden wir alles dafür tun, dass wir die Serben im Norden des Kosovo beschützen".

Serbien Premierministerin Ana Brnabic
Die rechtsnationale Politikerin Ana Brnabic ist seit 2017 Regierungschefin in Serbien. Bildrechte: imago images/ITAR-TASS

Angesichts der wachsenden Spannungen im Norden des Kosovo hatte Serbiens Regierungschefin Ana Brnabic erst kürzlich vor einer Eskalation der Situation gewarnt. Beide Länder stünden "wirklich am Rande bewaffneter Konflikte", sagte sie. Für die Spannungen machte Brnabic die Regierung in Pristina verantwortlich.

Der Sicherheitsrat des Kosovo hingegen warf Serbien in einer Sitzung am Montag die Schuld an der Verschlechterung der Beziehungen vor. Serbien gehe "mit allen verfügbaren Mitteln gegen die verfassungsmäßige Ordnung der Republik Kosovo" vor, erklärte das Gremium. Belgrad bestärkt die serbische Minderheit im Norden des Kosovo, die dessen Unabhängigkeit von Serbien nicht anerkennt, seit Jahren bei ihren Versuchen, sich der Autorität Pristinas zu widersetzen. 

Auslöser: Streit um Autokennzeichen

Ausgangspunkt der stufenweisen Eskalation war ein Streit um Autokennzeichen. Die kosovarische Regierung hatte Angehörige der serbischen Minderheit verpflichten wollen, nicht mehr mit serbischen Nummernschildern zu fahren, sondern die der Republik Kosovo zu akzeptieren. Aus Protest hatten daher hunderte serbische Polizisten, Richter, Staatsanwälte und andere Beamte im Kosovo ihre Arbeit eingestellt.

Der Streit wurde zwar im November in Brüssel beigelegt, die Serben erhielten Recht, doch die Beamten kehrten nicht auf ihre Posten zurück. Und die Serben fordern nun, dass im Kosovo eine serbische Verwaltung zwischen den losen serbischen Gemeinden eingerichtet wird, so wie es vor zehn Jahren in Brüssel ausgehandelt wurde. Ein Vorhaben, das die Regierung in Pristina ablehnt, aus Angst die Serben könnten so zu viel Macht im Kosovo erlangen.

(dpa, AFP)

Dieses Thema im Programm: MDR AKTUELL | MDR AKTUELL RADIO | 28. Dezember 2022 | 12:30 Uhr

Mehr Politik in Osteuropa

Mehr aus Osteuropa