Reportage Neues von den Flaschensammlern

17. Juli 2023, 11:00 Uhr

Für viele Menschen ist das Flaschensammeln ein Zusatzverdienst, um die oft kärgliche Rente oder die staatliche Grundsicherung aufzubessern. Die Reportage von Wibke Kämpfer berichtet von Schicksalen am Rande der Wohlstandsgesellschaft.

"Wenn die Leute blöd gucken, weil man mir die Armut nicht ansieht, sage ich: Ich bin eine deutsche Rentnerin. Das reicht dann meist!" Das sagt Marion, ehemals Friseurin. Sie gehört zu den vielen meist älteren Flaschensammlern, die weder obdachlos noch drogensüchtig sind. Für immer mehr Menschen auch aus der gesellschaftlichen Mitte sind die wenigen Cent Anreiz genug, unter den Augen der Öffentlichkeit leergetrunkene Büchsen und Flaschen einzusammeln.

Dabei hatte die 72-Jährige nicht schlecht verdient. Nun liegt ihre Rente ein paar Euro über der Bemessungsgrenze. Eine staatliche Grundsicherung kann sie deshalb nicht beantragen, auch wenn die Rente gerade so zum Überleben reicht. Am schwierigsten sind immer die Tage kurz vor Auszahlung der Rente.

Ich will mich nicht gehen lassen. Ich will auch nicht, dass man mir ansieht, dass ich arm bin. Ich bemühe mich immer, mich schön anzuziehen.

Marion

Tägliche Herausforderung

Die meisten Flaschensammler tragen auch Geschichten von Krankheit, Verlust oder Enttäuschung mit sich herum. Trotzdem nicht aufzugeben, ist eine tägliche Herausforderung.

Wie bei dem 51-jährigen Axel - auch bei ihm kam Einiges zusammen. Schon als junger Mann quälte er sich mit schweren Kopfschmerzen, die schubweise kamen und nie behandelt werden konnten. Trotz dieser Beeinträchtigung schloss er eine Ausbildung zum Elektriker ab, war jahrelang auf Montage in der Welt unterwegs und lebte und arbeitete zuletzt in Tschechien. Nach einem schweren Arbeitsunfall kam die Entlassung. In Tschechien hatte er nach dem Unfall keinen Anspruch auf Unterhalt. So kam er nach Berlin und entdeckte das Flaschensammeln. Zusammen mit der Grundsicherung geht es jetzt langsam wieder bergauf. Etappenweise.

Durch das Flaschensammeln bin ich ja schon viel weiter, als ich in Tschechien war. Ich war in Tschechien ganz unten. Da war ich ohne Wohnung, ohne alles.

Axel

Wenn die Gesundheit streikt

Vor sieben Jahren hatte die RBB-Autorin Wibke Kämpfer schon einmal zwei Berliner Flaschensammler bei ihrer mühsamen "Arbeit" begleitet. Da griffen Frank und Hannelore, beide Rentner, täglich in Papierkörbe, Mülltonnen und unter Büsche im Park. "Wofür soll ich mich schämen? Ich habe meine Situation nicht von mir herausgefordert", sagte Frank damals. Nun, mit mittlerweile 74 Jahren, sammelt er immer noch - wenn der Rücken schmerzfrei ist. Ihm helfen jetzt Bürogemeinschaften, denen das Fortbringen des Leergutes zu umständlich ist. Sie rufen ihn einfach an.

Hannelore, die bis zur Rente durchgehend gearbeitet und dazu drei Kinder großgezogen hat, kann aus gesundheitlichen Gründen nicht mehr Flaschen sammeln. Aber das braucht sie auch nicht mehr, ihre Enkelkinder sind groß genug und verdienen sich in den Ferien selbst etwas dazu. Und sie hat festgestellt, dass viele Sammelreviere umkämpft sind und sich das Sammeln so recht nicht mehr lohnt.