LexiTV Gegen Tetzel

19. September 2019, 17:44 Uhr

"Wenn das Geld im Kasten klingt, die Seele aus dem Feuer springt." Das soll er gesagt haben, der böse Tetzel. Unter bunten Papstfähnchen habe er auf den Marktplätzen gestanden mit seinem Geldgefäß, ein Abgesandter des Bankhauses Fugger ihm zur Seite zwecks Kontrolle der Einnahmen. Zehntausende, heißt es, fielen auf den Zauber herein. Nur Luther nicht. Doch tatsächlich war die Sache komplizierter.

Ablasshandel ist keine Erfindung der Lutherzeit: Es hat ihn gegeben in Jahrhunderten zuvor. Kathedralen und Kreuzzüge finanzierten sich über den Ablass, manches Kapital wurde so zusammengebracht. Diesmal, zu Beginn des 16. Jahrhunderts, ließ der Papst am Petersdom bauen - und verpulverte dabei Millionen. Das Geld musste irgendwoher kommen.

Für Historiker wäre das Geschäft mit der Angst ums Seelenheil wahrscheinlich eine Fußnote geblieben, eher der Wirtschaftsgeschichte zugehörig als der Religion. Wenn, ja wenn es nicht den Giganten Luther gegeben hätte, der, angeblich donnernd, jene fiese Unart verdammte.

Dummer Missbrauch?

Wirklich war der Tausch von Gulden gegen den Erlass von Fristen im Fegefeuer bloß erster Stein des Anstoßes für Luther. Einen "dummen Missbrauch" nur glaubte Luther entdeckt zu haben; der Papst galt ihm, 1517, noch als Herr, die römische Kirche noch als gut. Damals hatte Luther noch herzlich wenig entdeckt, sah vom Netzwerk finanzieller Interessen kaum einen Schimmer.

So viel steht heute fest: Den Thesenanschlag Luthers an der Schlosskirche zu Wittenberg (31. Oktober 1517, mittags), mit donnernden Hammerschlägen, hat es nie gegeben. Stattdessen verteilte Doktor Luther brav Zettelchen, lud, wie es sich in akademischen Kreisen gehört, zur Disputation über das heiße Thema ein.

Kein "Anschlag auf die Kirche" also, lediglich Begehren nach Gedankenaustausch. Und: Nicht dem Papsttum ging es einstweilen an den Kragen, nur der Tetzel mit seinen Sprüchen sollte sein Fett weg bekommen.

Brauchbare Werbung

Der Tetzel, fleißiger Dominikanermönch und talentierter Verkäufer, spielt den Buhmann für alle Zeit - übrigens unverdient. Seine Reden vor kaufkräftigem Publikum, als Werbung höchst brauchbar, ehrlich, ohne theologischen Tiefgang, hatten Erfolg: Sieben Jahre Abzug vom Fegefeuer, zum fairen Preis, das klang gut.

Tetzel, initiativreicher Untertan ganz anderer Schwergewichte, brachte sogar eigene Ideen mit: Die soziale Staffelung - 25 Gulden für Fürsten (es kamen aber keine), zehn für Barone, sechs für bessere, ein Gulden für geringere Bürger - stammt vielleicht von ihm. Der Clou: Nicht nur an Lebende wandte sich das Angebot, auch dahingegangenen Anverwandten, schon jammervoll röstend, durfte für einen Gulden geholfen werden. Alle waren zufrieden.

Der Lehre Kern

Was Luther störte? Jedenfalls nicht, was uns heute vermutlich stören würde: der blanke Betrug. Luther fand nicht den Betrug zu krass, er fand den Preis zu niedrig! Was soll's: Für'n Appel und 'n Ei dem Bürger die Angst vor himmlischer Strafe nehmen, wo der aufrechte Christenmensch zu Recht bis an sein Lebensende zittert? Das nämlich wollte Luther: Gewissensprüfung, immer währendes Fragen, wie man denn einst vor den höchsten Richter treten wird. Darin, genau darin, liegt ja der Kern der protestantischen Lehre.

Was sonst kommerziell lief, all der Mächtigen Geschäfte, kümmerte Luther lediglich am Rande: Lange hatte er selbst sich, damals schon, mit dem Problem der Gnade gequält. Deshalb glaubte der kleine Mönch und Dozent erfahren zu sein auf diesem Gebiet. Luther schrieb Briefe, bescheiden, ehrfurchtsvoll, traktierte seine Oberen mit Episteln, höflich, korrekt. Es war sein erster Schritt!

Tat aus Zweifel

Wie immer macht auch hier der Widerstand, der ihm entgegenschlägt, den Revolutionär. Dem Erzbischof von Mainz, der zunächst greifbaren Autorität, bleiben des Doktor Luther theologische Thesen böhmische Dörfer. Der Kirchenfürst kapiert nur, dass sein "Heiliges Geschäft" in die Kritik gerät. Einnahmeverlust droht. Bald beginnen die Mühlen zu mahlen.

Luther wollte - das ist der Sinn seiner Thesen - keine Sicherheit, schon gar nicht für Geld: "Buße sollt ihr tun, das ganze Leben des Gläubigen muss Buße sein, so hat Christus es gesagt", steht in des Reformators erstem wirksamen Protest. Keine behagliche Abstimmung der Konten war ihm vereinbar mit dem Glauben.

Gewissheit, ob er genug Reue empfindet um nicht im Höllenfeuer zu schmoren, ist für niemanden zu haben. Nicht: "Frieden, Frieden - und ist doch kein Frieden", sondern: "das Kreuz, das Kreuz!" Luther hatte den Agitator in sich gefunden. Dem Tetzel schickte er ans Sterbebett einen netten Gruß.

Wer bezahlte wen? Ein Netzwerk finanzieller Interessen stand hinter dem Ablasshandel. Es reichte von ganz oben bis weit unten. Wir haben die sieben großen Akteure in einer Übersicht zusammengestellt:

1. Doktor Luther, Martin, Mönch (Augustiner) und Uni-Dozent, Wittenberg: ohne Einblick in kommerzielle Zusammenhänge; hält den Ablasshandel aus theologischer Sicht für verwerflich, predigt, schreibt und doziert vor allem gegen (6).

2. Albrecht von Brandenburg, Kurfürst, oft Magdeburg: seit 1514 Erzbischof von Mainz; ohne Einblick in theologische Zusammenhänge; Sammler teurer kirchlicher Ämter, welche er bei (5) erwirbt; ist hoch verschuldet bei der Firma Fugger (4), die ihm den Erzbischof-Kauf kreditierte; unterstützt den Ablasshandel politisch.

3. Friedrich der Weise, Kurfürst von Sachsen, Wittenberg: Landesherr Luthers (1); betreibt eigenes Geschäft auf Basis von Heiligenresten (Reliquien); fürchtet Abfluss von Kaufkraft aus Kursachsen durch Ablasshandel; fürchtet ebenfalls die im Marketing leider überlegene Konkurrenz Albrechts (2) und Tetzels (6); unterstützt daher Luthers (1) Argumentation.

4. Firma Fugger, global: lebt von Kreditvergaben im Politgeschäft; hat Albrecht (2) den Ämterkauf finanziert und Refinanzierung per Ablasshandel auf dessen Herrschaftsgebiet vereinbart; kassiert operatives Ergebnis der tetzelschen (6) Aktivitäten; unterstützt den Ablasshandel logistisch und personell.

5. Leo X., Papst, Rom: betreibt Verkauf kirchlicher Ämter (zum Beispiel an (2)); erteilt für Geld Dispens, wenn eine Person mehrere Ämter bekleidet (was nach kanonischem Recht verboten ist); baut den Petersdom; ist großer Kunstliebhaber (Raffael, Michelangelo); steckt in teuren militärischen Konflikten (gegen Venedig); verfügt jedoch über ein "Guthaben" aus dem akkumulierten, im Übermaß christlichen Lebenswandel Jesu und der Heiligen; unterstützt den Ablasshandel ideologisch.

6. Tetzel, Johannes, Mönch (Dominikaner): setzt "Guthaben" von (5) mittels Ablasshandel auf dem Gebiet von (2) in klingende Münze um; ist Marketing-Spezialist für (2), (4) und (5); predigt und verteilt Werbefolder; organisiert Verkaufsevents mit Hilfe von (4).

7. Das Volk, Deutschland: hat schlechtes Gewissen und Angst vor dem Fegefeuer (wegen Sünden); will Sicherheit fürs Jenseits; Zielgruppe von (2), (3), (4), (5) und (6).