Jubiläum 30 Jahre Bistum Görlitz
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28. Juni 2024, 13:15 Uhr
Es ist das kleinste der deutschen Bistümer. Das Bistum Görlitz feiert in diesen Tagen gerade erst seinen 30. Geburtstag. Doch es hat eine viel längere Vorgeschichte – und eine dramatische dazu: Sie erzählt von Kriegen und Vertreibung. Heute leben die Kinder der einstigen Gegner friedlich miteinander.
Hanna und Dawid Sroka singen in der ersten Bankreihe der Görlitzer Heilig-Kreuz-Kirche – auf Polnisch. So wie alle hier. Denn sie gehören zu den knapp 4.000 Katholiken in der Neiße-Stadt, die aus dem Nachbarland hierhergezogen sind. Der Glaube mitten unter den meist nicht-kirchlichen Sachsen ist ganz anders, sagen Hanna und Dawid Sroka.
In Polen wird einen der Glaube in die Wiege gelegt. Wenn man sich hier für die Kirche entscheidet, dann ist das richtig bewusst und auch viel schöner.
Und Dawid ergänzt: "Polen und Deutschland haben eine lange Geschichte, auch Feindseligkeiten natürlich, den Zweiten Weltkrieg zum Beispiel. Aber unser Glaube erlaubt uns auch Vergebung."
Brücken bauen durch gemeinsamen Glauben
Als vor genau 30 Jahren das Bistum Görlitz gegründet wurde, sollte das eine der offenen Wunden des Krieges schließen. Denn das Gebiet zwischen Oberlausitz und Eisenhüttenstadt ist der Rest des früheren Erzbistums Breslau, das seit 1945 größtenteils zu Polen gehört. Der frühere Görlitzer Generalvikar Peter Canisius Birkner, der an den Verhandlungen zur Bistumsgründung beteiligt war, erinnert sich an die Worte des damaligen polnischen Papstes:
Halten Sie gute Verbindung nach Polen, Sie können hier die Brücke sein.
Für den Priester Peter Canisius Birkner vernarbt damit eine Wunde. Als zehnjähriger Junge war er aus seiner schlesischen Heimat vertrieben worden.
"Wir wurden am 29. Dezember 1946 bei minus 15 Grad einfach auf den Marktplatz geholt. Wir durften nur so viel mitbringen, wie wir selbst tragen konnten, höchstens 20 Kilo. Dann wurden wir verfrachtet und kamen in Viehwaggons“, erinnert sich der ehemalige Generalvikar.
Viele der Vertriebenen fanden jenseits der Neiße eine neue Heimat. Doch ein neues Bistum um Görlitz entstand dort erst, als alle Grenzfragen nach der deutschen Wiedervereinigung geklärt waren. Hier lebt für den mittlerweile 88 Jahre alten Peter Canisius Birkner ein Stück schlesischer Geist weiter.
"Das sind die, die sagen: Nu setz dich erstmal hin, sei doch erstmal ruhig. Das macht es aus, die schlesische Art. Das heißt, dass man in einem schlesischen Haus heimisch werden kann, weil man miteinander die Seele verbindet“, erklärt Birkner.
Polnisch-deutsche "Familie"
Im Bistum Görlitz ist dieser Geist lebendig, mit vielen Kindern, mit Gottesdiensten auf Deutsch und Polnisch – wenn auch nicht ohne Spannungen, weiß der Görlitzer Pfarrer Roland Franciszek Elsner.
"Es ist wie in einer Familie. Manchmal habe ich den Eindruck, wenn ich mehr Zeit mit polnischen Familien verbringe, sind jetzt die Anderen ein bisschen neidisch – und umgekehrt", so der Pfarrer.
Anteil der polnischen Katholiken wächst
Gut ein Fünftel der rund 29.000 Katholiken im Bistum Görlitz sind mittlerweile Polen – und ihr Anteil wächst. Ihre Kinder sorgen für drei Viertel aller Taufen in seiner Gemeinde, sagt Pfarrer Elsner.
"Sie bringen eine neue Dynamik mit sich, und wir sind praktisch schon süchtig danach. Ich frage jetzt immer aus Spaß bei der Erstkommunion-Vorbereitung: Wer kann nicht Polnisch? Und dann melden sich nur Einzelne“, erklärt lachend Pfarrer Elsner.
Deutsche und Polen feiern in Görlitz getrennt Gottesdienst, jeder in seiner Sprache – aber auch zusammen. Und dann bereichern sie sich gegenseitig. Fröhliche Weihnachtslieder etwa haben Polen mit in die Görlitzer Gemeinde gebracht, sagen Hanna und Dawid Sroka.
So können wir alle zusammen singen und uns auch verstehen, selbst wenn wir die Sprache nicht beherrschen.
"Wir Polen sind schon 20 Jahre in der EU, man sagt Europastadt Görlitz-Zgorgelec. Aber man merkt auch die Unterschiede und auch ein bisschen die Feindseligkeiten oder ein gegenseitiges Ignorieren. Bei den Katholiken sind wir schon mehr zusammengewachsen“, weiß Dawid.
Während die katholische Kirche überall in Deutschland schrumpft, bleibt sie im Bistum Görlitz nahezu stabil – durch die Familien, die über die Neiße kommen.
Dieses Thema im Programm: MDR KULTUR - Das Radio | Religion und Gesellschaft | 30. Juni 2024 | 09:05 Uhr