Missbrauchskonzept der Evangelischen Kirche in Deutschland "Es ist viel Vertrauen verloren gegangen"

Ein Beitrag von Ulrike Bieritz

13. November 2019, 16:28 Uhr

Anders als die katholische Kirche plant die Evangelische Kirche keine vergleichbare Studie zu sexuellem Missbrauch in ihren Reihen. Gleichwohl zieht sie Konsequenzen, denn auch innerhalb der evangelischen Landeskirchen gab und gibt es entsprechende Vorfälle.

Anfang September hat sich die Kirchenkonferenz, das Leitungsgremium der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD), auf ein einheitliches Vorgehen der 20 Landeskirchen im Umgang mit sexuellem Missbrauch verständigt. Im November ist das auch Thema der EKD Synode.

Selbstbild erschüttert

Kirsten Fehrs, Bischöfin von Hamburg und Lübeck, ist seit ihrem Amtsantritt mit dem Thema Missbrauch konfrontiert. Ihre Amtsvorgängerin Maria Jepsen trat 2010 zurück, weil ihr vorgeworfen wurde, sie habe von den Vorfällen in Ahrensburg gewusst, aber nichts getan.

Die Gespräche mit den Betroffenen seit 2012, das sind ja über hundert inzwischen, die haben mich so tief berührt und mein Selbstbild, also das Bild von Kirche auch so erschüttert an einigen Stellen.

Kirsten Fehrs

Es ihr eine Herzensangelegenheit geworden, sich für die Aufarbeitung der Missbrauchsfälle einzusetzen. Sie befasst sich innerhalb der Evangelischen Kirche in Deutschland hauptsächlich mit diesem Thema und ist eines von fünf Mitgliedern eines neu geschaffenen Beauftragtenrates, zu dem Theologen und Juristen gehören.

Wir haben eben sowohl eine Aufgabe juristisch als auch eine Aufgabe als Leitungskräfte deutlich zu machen, wir nehmen das Thema an. Wir delegieren es nicht an Präventionsstellen allein und sagen: damit ist es erledigt, sondern wir müssen es auch sehr stark an uns rankommen lassen, wenn wir eine Verantwortung übernehmen wollen.  

Kirsten Fehrs

Und diese Verantwortung habe die Kirche, meint Fehrs. Durch die föderalen, sprich dezentralen Strukturen der evangelischen Kirche mit ihren zwanzig Landeskirchen ist manches komplizierter und schwieriger als bei der katholischen Kirche. Jede Landeskirche entscheidet selbst, wie sie mit dem Thema Aufarbeitung umgeht. Etliche hätten schon unabhängige Kommissionen und Beauftragte, aber eben nicht alle. Wie von vielen Opfern gefordert, soll es jetzt eine zentrale Anlaufstelle mit einer unabhängigen externen Person geben, an die sie sich wenden können.

Opferschutz zuerst

Wichtig sei - so Fehrs - vor allem ein Kulturwechsel, weg vom Schutz der Institution, hin zum Opferschutz. Für Aufarbeitung  und Prävention sollen gemeinsame Standards entwickelt werden.

Da die Kirchen auf den Weg zu bringen, auch im Sinne von: das ist unser gemeinsames, positives Interesse, dass dieser Vertrauensraum geschützt bleibt, das geht ja nicht immer nur darum, in Verdächtigungen zu operieren, sondern zu gucken, wie kriegt man den Vertrauensraum hergestellt und behalten. Dass das auch im Interesse der Kirche auf ihren verschiedenen Ebenen ist, davon bin ich überzeugt.   

Kirsten Fehrs

Vertrauen zurückgewinnen

In ihrer Landeskirche gibt es inzwischen ein Präventionsgesetz, das verbindlich regelt, wie Präventions- und Schutzkonzepte entwickelt werden. Die Theologenausbildung soll entsprechend reformiert werden. Außerdem will die EKD alle Missbrauchsfälle, Disziplinarverfahren und finanzielle Leistungen für Opfer zentral erfassen und veröffentlichen. Genaue Zahlen gibt es allerdings nicht, denn auch hier ist die Dunkelziffer groß, nicht jeder Missbrauch wird angezeigt, nicht jeder Täter bekannt. Es sei viel Vertrauen verloren gegangen, so Bischöfin Fehrs.

Die Schicksale, die sich dann hinter den einzelnen Betroffenen verbergen, sind ja wirklich furchtbar. Und es sind tiefe Eingriffe in die Integrität eines Menschen, und wenn es eine Institution gibt, die sagen muss: wir haben als Vertrauensraum hier eine Pflicht, auch theologisch, gegenüber unseren Mitmenschen, dann ist das die Kirche.  

Kirsten Fehrs

Dieses Thema im Programm: MDR KULTUR - Das Radio | Religion und Gesellschaft | 07. Oktober 2018 | 08:15 Uhr