Abstrakte Darstellung
Bildrechte: Colourbox.de

Sachbuch der Woche | MDR FIGARO | 15.04.2015 Jörg Böckem & Henrik Jungaberle: "High Sein"

15. April 2015, 08:29 Uhr

Drogen sind schädlich. Diese Prämisse galt jahrzehntelang. Die Autoren des MDR FIGARO Sachbuchs der Woche sagen: Es wird den Konsum immer geben, deshalb braucht es vor allem Aufklärung und den richtigen Umgang. Bastian Wierzioch hat das Buch "High Sein: Ein Aufklärungsbuch" gelesen.

Die mit Abstand schädlichste Droge der Welt ist Alkohol. So lautet ein zentrales Ergebnis in einer britischen Studie, bei der die Schädlichkeit von Suchtmitteln für Konsumenten und Gesellschaft untersucht wurde. Demnach sorgt die Trunksucht für die größten körperlichen, psychischen und sozialen Schäden weltweit. Erst danach folgen der Konsum von Heroin, Crack, Methamphetamin, Kokain und Tabak. In dieser Reihenfolge.

Das ist nachzulesen im MDR FIGARO-Sachbuch der Woche mit dem Titel "High sein". Bei Rogner & Bernhard haben der Journalist Jörg Böckmann und der Drogen- und Präventionsforscher Henrik Junghaberle zusammen mit den Studierenden Julia Kluttig und Immanuel Jork ein Aufklärungsbuch zum Thema vorgelegt und zwar, wie sie selbst sagen, nüchtern, kritisch und ohne Vorurteile.

Ein Drogen-Lexikon...

Die Autoren liefern in ihrem Buch neben Erfahrungsberichten von Konsumenten eine Fülle an Fakten und Informationen über Drogen und über Drogenkonsum. Sie beantworten Fragen nach der Funktionsweise von Drogen. Wie verändern psychoaktive Substanzen Emotionalität, Körperwahrnehmung, das Denken, die Wahrnehmung?

Wie funktionieren Drogen biologisch im Blut und im Gehirn? Dafür nehmen sie zahlreiche Substanzen auseinander, beschreiben etwa deren medizinischen sowie problematischen Gebrauch oder die Verbreitung der Substanzen.

Ausführlich aufgeschlüsselt werden die eher bekannten Stoffe wie Amphetamin, Kokain oder Cannabis. Eher nebenbei geht es um unbekanntere Stoffe wie zum Beispiel Liquid Ecstasy, das stark euphorisierend wirkt und gleichzeitig ein hohes Abhängigkeitspotential birgt. Zudem geht es um sogenannte Research Chemicals auch Legal Highs genannt, neuere psychoaktive Substanzen, die als Kräutermischungen oder Badesalze angeboten werden. Diese Stoffe imitieren die Wirkung klassischer Drogen, wie etwa von Marihuana.

... und dabei weit mehr als ein Drogen-Lexikon

Drogen-Lexika gibt es zuhauf. Zum Beispiel bei Reclam das Taschenbuch: "Drogen und Medikamente: Geschichte, Herstellung, Wirkung". "High sein" aber bietet mehr. Das Buch will zum Nachdenken anregen und liefert Debatten-Beiträge, etwa wenn es um Drogenpolitik zwischen Repression und Prävention geht. Geboten werden zudem Hintergrund-Informationen wie im Kapitel "Drogen online". In hunderten Internetshops werden Drogen verkauft.

Die EU meldet wöchentlich eine neue psychoaktive Substanz auf dem Schwarzmarkt. Diese Legal Highs werden auch online verkauft. Ständig kommen neue Substanzen hinzu, und es dauert, bis sie verboten werden. Doch auch dann werden sie im Internet weiter gehandelt. Lesenswert auch das Kapitel über Smart-Drugs, also über Alltagsdoping zur Leistungssteigerung im Büro oder beim Sport.

Warnungen vor Gefahr von Drogen, Kiffen aber richtig

Zudem informieren die Autoren über den Konsum von Drogen. Kiffen, aber richtig? Tatsächlich! Jörg Böckmann und Henrik Junghaberle geben Tipps und Hinweise für einen verantwortungsbewussten Gebrauch von Drogen. Die beiden sind also keine kategorischen Gegner des Drogenkonsums. Sie sind vielmehr Realisten und stellen fest, dass ca. 35 Prozent aller Jugendlichen, die jünger als 20 Jahre alt sind, in Deutschland Erfahrungen mit illegalen Drogen gemacht haben.

Konsum ist Alltag und Realität. Gleichzeitig stellen die beiden fest, dass Abschreckung und Strafe vor Sucht und Missbrauch nicht besonders wirksam zu schützen scheinen. Deswegen geben die beiden in ihrem Buch Hinweise dafür, wie Risiken beim Konsum minimiert und sogar kontrolliert werden könnten: Schadensbegrenzung.

Streitbare Thesen

Wobei die Autoren noch weiter gehen und meinen, Drogen seien immer gleichzeitig gut und schlecht. Diese guten Seiten, die könne man für sich nutzbar machen. Böckmann und Junghaberle sind der Überzeugung, dass es gelingen kann, mit psychoaktiven Substanzen "bewusst und positiv umzugehen". Eine streitbare These.

Dieser zweifelsohne aufgeklärte Ansatz könnte manche Leser irritieren. Und tatsächlich stellt sich die Frage, wem gelingt der geforderte verantwortungsbewusste und reflektierte Umgang mit Drogen? Ein in der Praxis äußerst schwieriges Unterfangen. Und wer rutscht auf der anderen Seite ab in die Abhängigkeit? Wer schadet sich und anderen durch den Konsum?

Die Zielgruppe

So wie das Buch geschrieben ist, in einem lockeren, humorigen Ton, werden zuvörderst Jugendliche und junge Erwachsene von "High sein" angesprochen. Für sie ist die Lektüre tatsächlich sinnvoll, weil sie von den Autoren an die Hand genommen werden, im Sinne besagter Schadensbegrenzung.

Streiten kann man allerdings mit Blick auf die junge Zielgruppe über die aufgeschlossene Haltung der Autoren Drogen gegenüber. Es fragt sich, ob da nicht vielleicht Lust auf Konsum geweckt wird, wo vorher keiner gewesen ist. Ideal und zu empfehlen ist das Buch hingegen vor allem Eltern, deren Kinder mit Drogen in Berührung gekommen sind. Ein Tipp der Autoren für Eltern etwa lautet, sie sollten informiert mit ihren Kindern über Drogen sprechen. Diese Informiertheit liefert dieses Buch.

Die Autoren:

Vier Autoren schrieben arbeiten an dem Buch. Jörg Bockem ist freier Journalist für u.a. den Spiegel und das Zeit Magazin. Er veröffentlichte bereits vier Bücher zu Drogen und Suchtproblemen. Darin verarbeitet er auch seine eigene langjährige und überstandene Heroinabhängigkeit.

Wissenschaftler, Präventionspraktiker und Berater Dr. Henrik Jungaberle forscht zur Wirkung und zum Umgang mit Drogen. Neben dem Forschungsprojekt RISA am Uniklinikum Heidelberg, entwickelte er REBOUND, ein filmisches Aufklärungsprogramm für Kinder- und Jugendeinrichtungen.

Immanuel Jork und Julia Kluttig haben als Interviewer am Buch mitgearbeitet. Beide wurden für ihre journalistischen Arbeiten bereits mit dem Spiegel-Schülerzeitungspreis ausgezeichnet.

Angaben zum Buch Jörg Böckem & Henrik Jungaberle, Julia Kluttig & Immanuel Jork: "High Sein: Ein Aufklärungsbuch"

Verlag: Rogner & Bernhard
broschiert, 312 Seiten: 22,95 Euro

ISBN: 978-3954030866