Ein junger Mann mit Brille
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Reportage Verräter! - Vom schwierigen Ausstieg aus der Neonazi-Szene

22. Juli 2023, 14:07 Uhr

Mit 14 Jahren geriet Felix in die rechtsextremen Szene. Zehn Jahre war er aktiv. Unerreichbar für seine Eltern und Lehrer. Als er schließlich während einer Haftstrafe mit Ausländern in Berührung kam und von ihren Schicksalen erfuhr, wurde er nachdenklich. 2011 stieg er aus. Als Verräter gebrandmarkt, musste Felix nun sein Leben neu ordnen.

Zehn Jahre lang war Felix einer der führenden Köpfe in Bayerns Neonazi-Szene. Seit seinem Ausstieg aus der Szene erhält er von seinen ehemaligen Freunden Schmähschriften und Drohungen. Er gilt als Verräter. Aus Mails und Anrufen erfährt Felix, was seine früheren Kameraden von ihm, dem "Verräter", halten. Felix weiß, was das bedeutet. "Es gibt kaum einen schlimmeren Stellenwert, den man haben kann", so der Szene-Aussteiger. Und er weiß auch, dass er vorsichtig sein muss. Mit seiner Freundin lebt er verdeckt. Trotzdem sprechen sie offen über die Vergangenheit. Bundesweit sind sie in Schulen und Jugendzentren unterwegs und berichten von ihren Erfahrungen. Jede Reise, vor allem die in den Osten Deutschlands, treten sie mit gemischten Gefühlen an.

Ich sichere mich immer ab, wenn ich irgendwo hinfahre, hab dann schon Plan B und C, falls mir was passiert (...) Ich denke natürlich daran, dass im Fall des Falles Schutz da ist.

Felix

Der Weg in die Szene

Aufgewachsen in einer gutbürgerlichen Familie, begann Felix mit etwa 11 Jahren, gegen sein Elternhaus und die Welt der Erwachsenen zu rebellieren. Anfangs war es die Musik mit provozierenden Texten auf schwarzgebrannten CDs, dann die Kleidung, durch die er sich von anderen Gleichaltrigen "abhob". Schnell band ihn die rechte Szene ein. Felix nahm bei Aufmärschen in seiner kleinen Heimatstadt teil und lernte irgendwann ranghohe Mitglieder der "Kameradschaft München" kennen. Von da an dauerte es nicht mehr lange, Felix wurde NPD-Mitglied. Ab 2005 trat er als Liedermacher Flex bei Kameradschaftstreffen in ganz Deutschland auf. Ein Jahr später gründete er in Erding eine eigene Kameradschaft. Durch nichts ließ sich Felix beirren. Seine Eltern waren machtlos.

Der Ausstieg aus der Szene

2007 zog Felix nach Dortmund-Dorstfeld, einer Hochburg der Rechten, um dort die Szene weiter zu stärken. Doch die Szene in seiner neuen Heimat war gespalten. Und als es hier zu gewalttätigen Auseinandersetzungen unter den Neonazis kam, geriet Felix zwischen die Fronten und wurde dabei leicht verletzt. Hals über Kopf floh er nach München. Doch auch hier gab es Probleme. Bei einem Streit zog er sich ein Schädelhirntrauma zu und musste sich behandeln lassen. Die Polizei, die ihn wegen offener Haftbefehle und nicht bezahlter Haftstrafen längst suchte, machte Felix schließlich ausfindig. Es folgte eine Haftstrafe. Im Gefängnis saß er dann, Tür an Tür, auf einem Gang mit Abschiebehäftlingen. Er hörte deren Geschichten und begann, seine Ideologie in Frage zu stellen.

Ich konnte ab dem Moment nicht mehr davon ausgehen, dass eine anonyme Masse Ausländer hier hereinschwemmt, die wir abwehren müssen. Sondern ich verstand, da geht es um einzelne Menschen, denen es sehr schlecht ging. Sonst hätten sie den Weg nicht auf sich genommen. Die Menschen, die ich da kennenlernte, waren auch unglaublich nett zu mir. Und da verschwieg ich zum ersten Mal meinen Background.

Felix

Hilfe für Aussteiger

Im Gefängnis entschloss sich Felix zum Ausstieg aus der Szene. Da er sich dem Verfassungsschutz nicht anvertrauen wollte, nahm er zunächst Kontakt mit der Berliner Aussteigerhilfe Exit auf. Doch es dauerte noch fast zwei Jahre, bis ihm der Ausstieg aus der rechtsextremen Szene gelang. Um auch anderen vor Ort zu helfen, gründete er danach die Aussteigerhilfe Bayern, die mit Exit zusammenarbeitet. Er will andere bei ihrem Schritt unterstützen, denn er hat selbst erfahren, wie kompliziert es ist, ohne Schulabschluss, ohne Geld, dafür aber mit Vorstrafen zurück in die Gesellschaft zu finden. Er selbst hat solche Unterstützung gebraucht - und bekam sie auch vom Bayrischen Bündnis für Toleranz, einer gemeinsamen Initiative der katholischen und evangelischen Kirche.

Zukunftsträume

Mittlerweile ist Felix 28 Jahre alt. Der Erfolg als rechter Liedermacher Flex ist längst Vergangenheit. Der Ex-Nazi hat sein Leben neu geordnet. Das war mit Schwierigkeiten verbunden. Und ist es noch. Aber auch mit Träumen, denn da gibt es ja auch noch Heidi, seine Freundin. Auch sie ist Aussteigerin. Seit sechs Jahren sind beide nun schon ein Paar. Nun wollen sie sich gemeinsam eine Zukunft aufbauen.

Dieses Thema im Programm: MDR FERNSEHEN | Nah dran | 05. März 2015 | 22:35 Uhr