#MDRklärt Sterbehilfe: Was erlaubt ist – und was nicht

13. September 2019, 19:07 Uhr

Gut zwei Drittel der Deutschen wollen, dass aktive Sterbehilfe erlaubt ist. Das zeigen repräsentative Umfragen. Die Gesetzeslage ist aber eine andere. Wann ist was erlaubt, wenn ein schwerkranker Mensch sterben will? Ein Rechtsanwalt gibt Antworten. Teil 2 der MDR SACHSEN-ANHALT-Reihe zur Sterbehilfe.

Luca Deutschländer
Bildrechte: MDR/Jörn Rettig

Eigentlich ist die Lage klar: Wer Menschen aktiv in den Tod hilft – Stichwort Sterbehilfe – wird in Deutschland bestraft. Paragraph 216 im Strafgesetzbuch verbietet die aktive Sterbehilfe. So weit, so klar. Anders ist die Lage bei Paragraph 217 des Strafgesetzbuchs: Der wird in Deutschland heftig diskutiert, vor dem Bundesverfassungsgericht sind Verfassungsbeschwerden anhängig.

Rolf Heinemann, Fachanwalt für Medizinrecht in Magdeburg, erklärt bei MDR SACHSEN-ANHALT die aktuelle gesetzliche Lage – und die vier Arten von Sterbehilfe.

Aktive oder direkte Sterbehilfe

"Aktiv – das bedeutet zunächst: Ich handele, ich habe die Tatherrschaft. Durch meine Handlung führe ich eine Person in den Tod., zum Beispiel durch das Spritzen von Insulin oder der Verabreichung einer Überdosis Schmerzmittel." In Deutschland ist das verboten. Rechtsanwalt Rolf Heinemann verweist auf Paragraph 216 des Strafgesetzbuchs. Der regelt den Straftatbestand der "Tötung auf Verlangen", wie es juristisch heißt. Bestraft wird das mit sechs Monaten bis fünf Jahren Haft.

Dazu kommt die Bedeutung des Worts Verlangen: "Der, der den Tod verlangt, muss entscheidungsfähig sein", sagt Heinemann. Es darf also kein Zweifel daran bestehen, dass eine Person auch wirklich sterben will. Wenn das nicht der Fall ist, kann der Straftatbestand auch schnell Tötung oder Mord lauten, sagt der Experte.

Der Experte: Rolf Heinemann Rolf Heinemann arbeitet seit 1995 als niedergelassener Rechtsanwalt in Magdeburg. Seine Kanzlei ist am Schellheimer Platz. Heinemann ist Fachwalt für Medizinrecht und für Kapitalrecht. Bevor er sich als Jurist niederließ, hat er unter anderem als Geschäftsführer eines Krankenhauses gearbeitet, außerdem war er bei einer Krankenkasse angestellt. Er vertritt Ärzte – aber auch Patienten, die wegen Behandlungsfehlern klagen. Außerdem kümmern er und seine Kollegen sich um Patientenverfügungen und Vorsorgevollmachten.

Assistierter Suizid oder die Beihilfe

Beim assistierten Suizid ist die Lage nicht mehr so eindeutig: Im Strafgesetzbuch gibt es seit 2015 zwar Paragraph 217, der die "geschäftsmäßige Förderung der Selbsttötung" verbietet. Bei einer Verurteilung drohen bis zu drei Jahre Haft – oder eine Geldstrafe. Der Gesetzgeber wollte mit Einführung des Paragraphen verhindern, dass Suizidhilfe-Vereine wie "Sterbehilfe Deutschland" ihre Angebote für zahlende Mitglieder ausweiten oder gesellschaftsfähig werden.

In der Realität können sehr viele Menschen allerdings nichts mit diesem Paragraphen anfangen. Das liegt auch an dem Wort "geschäftsmäßig". Das nämlich muss juristisch betrachtet nicht "kommerziell" bedeuten. "Geschäftsmäßig" soll in diesem Fall vor allem heißen, dass es verboten ist, wiederholt Sterbehilfe anzubieten. Wenn ein Suizidhilfe-Verein also regelmäßig Menschen bei der Selbsttötung unterstützt, kann er wegen Paragraph 217 Probleme bekommen.

Vor dem Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe haben Ärzte, Schwerstkranke und auch Sterbehilfevereine aus Deutschland und der Schweiz Verfassungsbeschwerde gegen den Paragraphen eingereicht. Sie wollen prüfen lassen, ob Paragraph 217 in seiner jetzigen Form verfassungsgemäß ist oder nicht. "Bei politisch brisanten Vorschriften passiert das gelegentlich", sagt Heinemann. "Eine solche Vorschrift ist das hier."

§ 217 Strafgesetzbuch – Geschäftsmäßige Förderung der Selbsttötung

"(1) Wer in der Absicht, die Selbsttötung eines anderen zu fördern, diesem hierzu geschäftsmäßig die Gelegenheit gewährt, verschafft oder vermittelt, wird mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder mit Geldstrafe bestraft.

(2) Als Teilnehmer bleibt
straffrei, wer selbst nicht geschäftsmäßig handelt und entweder Angehöriger des in Absatz 1 genannten anderen ist oder diesem nahesteht."

Paragraph 217 des Strafgesetzbuches ist umstritten. Eingeführt wurde er – nach langer Diskussion im Bundestag – im Jahr 2015. Das Gesetz hatte seinerzeit weitreichende Folgen für Sterbehilfe-Vereine in Deutschland. Zwar blieb die Beihilfe zur Selbsttötung grundsätzlich erlaubt. Ihr wurden allerdings Grenzen gesetzt. Ziel des Gesetzgebers war es damals, Sterbehilfe-Organisationen das Handwerk zu legen – besonders, wenn sie mit Sterbehilfe Geld verdienen wollen.

Beim Bundesverfassungsgericht liegen inzwischen mehrere Klagen von Kranken, Ärzten und Vereinen vor, Anfang April dieses Jahres wurde an zwei Tagen mündlich verhandelt. Ein Urteil der Karlsruher Richter wird für diesen Herbst erwartet.

Rechtsanwalt Heinemann sagt: "Grundsätzlich ist Selbsttötung in Deutschland und die gegebenenfalls geleistete Beihilfe straffrei sind." Das Problem: "Wenn der Betreffende demjenigen, der sich umbringen will, ein Medikament hinstellt, er das nimmt und bewusstlos wird, dann kehrt sich die sogenannte Tatherrschaft um." Es gibt dann Menschen mit einer sogenannten Garantenstellung – Betreuer beispielsweise oder der Arzt. Sie sind verpflichtet, Hilfe zu leisten – müssten den bewusstlosen und sterbewilligen Patienten also retten. Tut er das nicht, macht er sich im Zweifel selbst strafbar – wegen Tötung, Tötung auf Verlangen oder aber Tötung durch Unterlassen. Es ist also kompliziert.

Ärzte vom Bundesgerichtshof freigesprochen

Die Betonung liegt allerdings auf "im Zweifel". Dazu passt ein Urteil des Bundesgerichtshofs, der im Juli dieses Jahres den Freispruch gegen zwei Ärzte bestätigt hatte. Sie hatten Patientinnen bei Selbsttötungen unterstützt und sie nach der Einnahme tödlicher Medikamente bis zum Tod begleitet. "Beide Frauen hatten schriftlich erklärt, dass sie nicht gerettet werden wollen", sagt Heinemann. "Die Ärzte waren deshalb von ihrer Garantenstellung befreit", erklärt er. Das Urteil habe den Patientenwillen gestärkt, sagt Heinemann.

Passive Sterbehilfe

Passive Sterbehilfe ist in Deutschland nicht verboten. Bedeutet also: Wenn bei einem sterbenskranken Menschen auf dessen Wunsch hin die Behandlung abgebrochen wird und so der Tod eingeleitet wird, dann ist das gesetzlich unproblematisch. Wichtig: Diese Menschen müssen schon im Sterben liegen. "Passive Sterbehilfe bedeutet nicht, dass man gar nichts mehr macht", sagt Rechtsanwalt Heinemann. "Der Patient wird im begonnenden Sterbeprozess nach Behandlungabbruch noch palliativ versorgt, damit er menschenwürdig sterben kann." Heinemann weiter: "Die Handlungen sind nicht mehr auf Heilung, sondern auf Verbesserung der Lebensqualität durch palliative Versorgung gerichtet."

Indirekte Sterbehilfe

Über die sogenannte indirekte Sterbehilfe wird in Deutschland kaum gesprochen. Auch diese Form der Sterbehilfe ist erlaubt. "Sie kommt zur Anwendung, wenn starke Schmerzen mit Medikamenten unterdrückt werden sollen", sagt Rechtsanwalt Heinemann. Der Unterschied zur passiven Sterbehilfe ist: "Es wird in Kauf genommen, dass diese Medikamente lebensverkürzend sind." Hauptgrund ist nach den Worten des Juristen: Der Patient soll menschenwürdig behandelt werden, soll keine unerträglichen Schmerzen haben. "Da kann es sein, dass durch bestimmte Medikamente sein Leben verkürzt wird."

Der Anwalt weiter: "Eine Strafbarkeit kommt danach eher in Betracht, wenn dem Patienten die erforderliche Palliativmedizin vorenthalten wird."

Sie haben suizidale Gedanken oder eine persönlichen Krise? Die Telefonseelsorge hilft Ihnen! Sie können jederzeit kostenlos anrufen: 0 800 / 111 0 111 und 0 800 / 111 0 222. Der Anruf ist anonym und taucht nicht im Einzelverbindungsnachweis auf. Auf der Webseite www.telefonseelsorge.de finden Sie weitere Hilfsangebote, zum Beispiel per E-Mail oder im Chat.

Luca Deutschländer
Bildrechte: MDR/Jörn Rettig

Über den Autor Luca Deutschländer arbeitet seit Januar 2016 bei MDR SACHSEN-ANHALT - in der Online-Redaktion und im Hörfunk. Seine Schwerpunkte sind Themen aus Politik und Gesellschaft. Bevor er zu MDR SACHSEN-ANHALT kam, hat der gebürtige Hesse bei der Hessischen/Niedersächsischen Allgemeine in Kassel gearbeitet. Während des Journalistik-Studiums in Magdeburg Praktika bei dpa, Hessischem Rundfunk, Süddeutsche.de und dem Kindermagazin "Dein Spiegel". Seine Lieblingsorte in Sachsen-Anhalt sind das Schleinufer in Magdeburg und der Saaleradweg – besonders rund um Naumburg. In seiner Freizeit steht er mit Leidenschaft auf der Theaterbühne.

Quelle: MDR/ld

Dieses Thema im Programm: MDR FERNSEHEN | FAKT IST! aus Magdeburg | 16. September 2019 | 22:05 Uhr

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