Verkündigungssendung Das Wort zum Tag bei MDR SACHSEN vom 01.-07.07.2019

Täglich hören Sie das Wort zum Tag. Montags bis freitags gegen 5:45 Uhr und 8:50 Uhr, am Sonnabend gegen 8:50 Uhr, sonntags 7:45 Uhr. Das Wort zum Tag spricht in dieser Woche Pfarrer Thomas Bohne, am Sonntag Pfarrer Holger Treutmann.

Wort zum Sonntag, 07.07.2019: Lebenslügen

Ich möchte etwas aus meinem Leben machen. Das wollen wir doch alle. Der junge Mann wollte es. Sein Start ins Leben war durchaus komfortabel. Aufgewachsen auf einem soliden Hof. Mit Tieren, Land, intakter Familie, Angestellten. Der Vater hatte seinen Laden im Griff. Das spornt an. Ich möchte etwas aus meinem Leben machen, Vater. Gut, wenn irgendwann in einem Menschen ein solcher Impuls entsteht. Das Leben liegt vor mir. Ich kann es gestalten. Ich bin für Wohl und Wehe selbst verantwortlich. Und ich habe ein Kapital. Einen klugen Kopf, starke Hände und einen soliden Willen. Nein, es geht nicht nur um Reichtum. Es geht um Gelingen. Einen Erfolg, der sich zwar auch, aber nicht nur in Zahlen messen lässt. Es geht um das gute Gefühl, zur eigenen Würde auch ein wenig selbst beigetragen zu haben.

Ein Startup. Dafür bräuchte ich etwas Geld. Kannst du mir schon geben, was eigentlich erst später für mich gedacht ist? Das Erbe? Der Junge soll etwas aus seinem Leben machen. Welcher Vater will das nicht? Er geht auf's Ganze. Das ist riskant, aber nicht verwerflich. Und er gibt ihm, was ihm einmal zustehen wird. Alles. Das Erbe. Einen Vorschuss an Vertrauen. Es hätte gut gehen können. Ist es aber nicht. Wir kennen das Gleichnis der Bibel, auch wenn wir nicht bibelfest sind. Der verlorene Sohn kommt eines Tages zurück. Völlig abgerissen. Ausgehungert. Ohne Illusionen. Misserfolg. Alles vergeigt. Nicht nur Pech gehabt, sondern auch selbst Schuld. Das ist fast immer so, wenn es im Leben schiefgeht. Beides. Pech und Schuld oder Schuld und Pech. Übrig bleibt in der Wahrnehmung der anderen die Schuld. Das ist das, was der Gescheiterte spürt, so als würde jeder es ihm ansehen. Dieser Makel. Die verlorene Würde. Vater, ich bin nicht wert, dass ich dein Sohn heiße. Lass mich einfach arbeiten wie einen deiner Knechte. So redet einer, der in seinem Scheitern Verantwortung übernimmt. Respekt.

Wir wollen etwas aus unserem Leben machen: Das Hochzeitspaar geht die Stufen herunter aus der Kirche. Eine Schülerin zeigt den Numerus Clausus auf dem Abschlusszeugnis neben ihrem Namen. Ein Reicher investiert Geld in ein neues Objekt. Die Schwangere will alles richtig machen in der Erziehung des Kindes. Idealisten schieben Rollstühle für einen Gotteslohn. Die Politikerin legt den Amtseid ab für eine größere Sache als den eigenen Ruhm. Der Flüchtling kann jetzt Deutsch und unterschreibt den Arbeitsvertrag. Die alte Frau läuft ohne Gehhilfe wieder zum Einkaufen in die Stadt.

Wir wollen etwas aus unserem Leben machen. Auch mitten im Leben noch und sogar am Ende. Nie hört das auf, und das ist gut so. Und doch kommen die Momente, wo uns das Streben fraglich wird. Nicht nur, weil Schuld und Pech uns einen Strich durch die Rechnung gemacht haben; auch wenn alles glatt geht, ist nicht alles gut. Mancher hat alles erreicht, und doch will sich kein Sinn mehr erschließen in den Zielen und Idealen, die man vertreten hat. War denn alles gelogen? Die Schwüre der Liebe, wenn eine Beziehung zerbricht; und die wunderbaren Erlebnisse? Alles gelogen? War ich denn nicht immer eine gute Schülerin, und jetzt macht mir meine Arbeit keinen Spaß mehr? Hatte ich nicht große Ideale in Politik und Gesellschaft; und was ist der Dank? Warum habe ich mein Leben riskiert bei der Flucht nach Deutschland; und hier bleibe ich trotzdem immer der Fremde? Lief nicht alles so gut nach der OP; aber irgendwann schlägt das Alter einfach zu und da nutzen keine Ersatzteile mehr. Und mein Reichtum? Alles erreicht, aber was nutzt es dir, wenn die Tage gezählt sind? Alles gelogen? Betrogen ums Leben?

Der verlorene Sohn hat seinen Titel über die Jahrhunderte nie verloren. Er blieb verlorener Sohn. Nie wurde er "wiedergefundener Sohn" oder "neugeborener Sohn" genannt. Obwohl sein Vater ihn wieder bei sich aufgenommen hat, und zwar mit allen Ehren, als hätte er nichts verbockt.

Manchmal frage ich mich, wozu mehr Mut gehört, zum Startup, oder zum Neustart. Zu einem Start, wenn die Würde schon angekratzt ist. Wenn ich mir eingestehen muss, dass ich nichts oder nur wenig aus meinem Leben machen konnte. Die Bibel erzählt mehrere Neustart-Geschichten, weil Neustarts wohl mehr Kraft kosten. Wie finde ich die Selbstachtung wieder, wenn ich vor mir selbst nicht mehr gerade stehen kann? Was mache ich, wenn mein Leben ein fake war, oder mir so vorkommt, wie gelogen?

Im Bibeltext für den Sonntag heute ist vom Apostel Paulus die Rede. Sein Leben kam ihm selbst einmal vor wie eine Fälschung; nicht echt, nicht wirklich stimmig. Er hatte sich für etwas ereifert, was sich im Nachhinein als große Schuld herausstellte. Er hat Menschen wegen ihres Glaubens verfolgt: Die neue Gruppe im Judentum, die sich Christen nannten. Ganz zu Anfang war er einer ihrer größten Verfolger. Dann verfinsterte sich für ihn die Welt. Er wurde blind und es öffneten sich ihm die Augen, dass in Jesus Christus nicht sein Feind, sondern sein Retter geboren wurde. Wie lebt man mit so einer Schuld gegenüber den Menschen und mit solchem Versagen, sich selbst gegenüber? Dankbarkeit spricht aus seinen Worten im 1. Timotheusbrief, auch wenn andere mit Fug und Recht von ihm behaupten könnten, dass sein Leben verlogen war.
"Ich danke unserem Herrn Christus Jesus, der mich stark gemacht und für treu erachtet hat und in das Amt eingesetzt, mich, der ich früher ein Lästerer und ein Verfolger und ein Frevler war; aber mir ist Barmherzigkeit widerfahren, denn ich habe es unwissend getan, im Unglauben. Es ist aber desto reicher geworden die Gnade unseres Herrn samt dem Glauben und der Liebe, die in Jesus Christus ist."

Das ist gewisslich wahr und ein teuer wertes Wort:
"Christus Jesus ist in die Welt gekommen, die Sünder selig zu machen, unter denen ich der erste bin. Dieser ganze Brief ist nicht echt. So hat Paulus das selbst nie geschrieben."

Aber er hätte es so schreiben können, urteilten die Nachfolger des Paulus in späteren Jahren. Und sie machen damit deutlich, dass das, was er erlebt hat, jeder zu jeder Zeit erleben kann: Dass man sich des eigenen Lebens nicht mehr sicher ist. Kann Gott noch sein Ja zu mir sagen, auch wenn ich meinen eigenen Zielen und Idealen nicht mehr treu war? Kann ich vor meinem eigenen inneren Gerichtshof noch bestehen, wenn Schuld mich drückt, die ich nicht schönreden kann? Die Nachfolger von Paulus schreiben diesen Brief in seinem Namen, weil sie sahen, dass auch das Projekt des frühen Christentums zu scheitern drohte. Nicht alle Hoffnungen auf Heilung, auf ein versöhntes Leben und Miteinander wurden eingelöst. Die Gemeinden wuchsen nicht. Das Bekenntnis bröckelte angesichts äußerer Bedrohungen. Als Ideal und Wirklichkeit sich nicht so ohne weiteres zur Deckung bringen ließen, erinnerten sie sich daran, dass es einen Neustart geben kann. War denn alles gelogen? Nein. Stimmen die Verheißungen etwa nicht, auf die man sich verlassen hatte? Nein. Sie nahmen sich Paulus zum Vorbild wie den Verlorenen Sohn, die beide von sich hätten sagen können:

Das ist gewisslich wahr und ein teuer wertes Wort:
"Christus Jesus ist in die Welt gekommen, die Sünder selig zu machen, unter denen ich der erste bin. Sich selbst und nicht den anderen als ersten Sünder zu erkennen, das macht den Neustart möglich."

Nicht sich schönreden, was schiefgegangen ist, oder zuerst bei anderen die Schuld suchen oder das Pech beschwören, was sicher auch mitgespielt hat, sondern dazu stehen, dass zwischen Wollen und Tun, zwischen Anspruch und Wirklichkeit, zwischen Beginnen und Abschließen ein Riss klafft, so dass das Leben einem selbst wie eine Lüge erscheint.

Alles gehört zu deinem Leben, sagt der Vater im Himmel, Gelingen und Versagen. Das tut deiner Würde keinen Abbruch. Alles Scheitern ist bei mir gut aufgehoben. Und dann breitet er die Arme und feiert ein Fest. Gut, dass du da bist. Gut, dass es dich gibt.

Ihm, dem ewigen König, dem Unvergänglichen und Unsichtbaren, der allein Gott ist, sei Ehre und Preis in Ewigkeit. Amen

Das Wort zum Tag spricht in dieser Woche:

Kurzbiografie Holger Treutmann

Holger Treutmann

1963 in Springe bei Hannover geboren | verheiratet | 2 Kinder | Studium in Bethel, Göttingen, Berlin | 1989 1. Theologisches Examen in der Evangelisch-Lutherischen Landeskirche Hannover | 1989-1993 Pharmareferent bei Astra-Chemicals Wedel/Hamburg | 1993-1995 Vikariat in Bröckel bei Celle | 1995 2. Theologisches Examen in der Evangelisch-Lutherische Landeskirche Hannover | 1995 Wechsel in die Evangelisch-Lutherische Landeskirche Sachsen | 1995-1999 Pfarrer in Eibenberg-Kemtau und Chemnitz-Reichenhain | 1999-2005 Pfarrer in St.-Pauli-Kreuz-Gemeinde Chemnitz | 2006 - Januar 2016 Pfarrer der Frauenkirche in Dresden | Ehrenamtlicher Mitarbeiter der Notfallseelsorge Dresden | seit Februar 2016 Senderbeauftragter der Ev. Kirchen beim MDR und Rundfunkbeauftragter der Ev.-Lutherischen Landeskirche Sachsens

Kurzbiografie Thomas Bohne

Thomas Bohne

1957 in Leipzig geboren | katholischer Priester seit 1989 | Mitglied in der Gemeinschaft Oratoriums zu Leipzig seit 1991 | Abitur, Ausbildung zum Gärtner | Theologiestudium am Theologisch-Philosophischen Studium in Erfurt von 1982-1989 | Kaplan in Greiz (Thüringen) von 1989-1991 | 1991 Eintritt in das Oratorium zu Leipzig, 1991-2000 Seelsorger in den Pfarreien Leipzig-Lindenau und Leipzig Gohlis | ab 2001 Militärseelsorger am Standort Leipzig, in dieser Zeit 2004/2005 und 2007/2008 in Afghanistan (Kabul und Feyzabad) | ab 2009 Pfarrer in der Pfarrei Leipzig-Lindenau | ab 2019 leitender Pfarrer der neugegründeten Pfarrei St. Philipp Neri Leipzig-West, Ende 2020 Entpflichtung und ab 2021 tätig als Gefängnisseelsorger und Flughafenpfarrer, außerdem Mitglied der "Katholischen Filmkommission für Deutschland", Filmkritiken für die Zeitschrift KOMPASS und Homepage des Oratoriums Leipzig | seit 2000 mehrfach Mitglied in den ökumenischen Jurys bei nationalen und internationalen Filmfestivals, zuletzt Mitglied und auch Präsident der Interreligiösen Jury bei DOK Leipzig | Mitarbeit beim YOUTUBE-Kanal des Oratorium Leipzig CO

Verantwortlich für Verkündigungssendungen im öffentlich-rechtlichen Rundfunk wie das Wort zum Tag...

... sind die Senderbeauftragten der evangelischen Landeskirchen, der evangelischen Freikirchen bzw. der römisch-katholischen Kirche.